Anschlagsplan auf Cemil Bayık: Türkischer Geheimdienst scheitert grandios

Arif Rhein, Mitarbeiter von Civaka Azad, 12.09.2017

Man schleuse einen Informanten in das unmittelbare Umfeld der Person ein, die als der Staatsfeind Nr. 1 gilt. Der Informant liefert seinen Auftragsgebern präzise Daten darüber, wo und wie sich das Zielobjekt bewegt. Und sobald sich die passende Gelegenheit bietet, erfolgt der Angriff. So in etwa sieht ein perfekter geheimdienstlicher Coup aus. Blöd nur, wenn der Informant ein Doppelagent ist, und statt des Zielobjekts die Auftragsgeber auffliegen lässt…

In unserem Artikel über die türkische Agententätigkeit gegen kurdische Aktivisten in Deutschland berichteten wir, dass das Enttarnen von MİT-Agenten und ihrer Pläne notgedrungener Weise von den kurdischen Strukturen selbst übernommen wird ((http://civaka-azad.org/vom-deutschen-umgang-mit-tuerkischer-agententaetigkeit-gegen-kurdische-aktivisten/)). Wie neue Details zeigen, ereignete sich ein weiterer spektakulärer Fall, in welchem die kurdische Bewegung ihre Fähigkeiten in Angelegenheiten wie diesen unter Beweis stellte, vor wenigen Wochen in der Autonomen Region Kurdistan (Südkurdistan). Dabei hatte sich der türkische Staatspräsident Erdoğan darauf vorbereitet, seiner Anhängerschaft den größten geheimdienstlichen Erfolg seiner Regierungszeit zu präsentieren. Nun ist er verzweifelt damit beschäftigt, die Geschehnisse vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Dass das Nachrichtenportal al-Monitor ausführlich über den Fall berichtet, macht die Sache für ihn hierbei nicht gerade einfach ((siehe: Ankara silent on Turkish agents allegedly caught in Iraq assassination plotTurkish silence speaks volumes as PKK points to spy ring, Developing PKK kidnapping story concerns KRG officials)).

Doch werfen wir einmal einen Blick darauf, was genau passiert ist: Im Visier des türkischen Geheimdienstes befand sich niemand geringerer als Cemil Bayık, der Co-Vorsitzende der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK). Seit Mai dieses Jahres bereitete sich der türkische Geheimdienst intensiv auf einen Coup vor, mit dem der größte Schlag gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit der internationalen Entführung von Abdullah Öcalan 1999 gelingen sollte. Um die Unternehmung erfolgreich durchzuführen, hatte der MİT seine Zellen im südkurdischen Silêmanî (Sulaimaniyya) aktiviert. Die Geheimdienststrukturen der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die in der Stadt das Sagen haben, beobachteten die Aktivitäten des MİT ohne dazwischenzufunken. Doch auch die Informanten der PKK erfuhren wohl frühzeitig von den Plänen des türkischen Geheimdienstes. Denn als der MİT versuchte, einen ihrer Männer in das unmittelbare Umfeld von Cemil Bayık zu platzieren, bot sich ihnen jemand an, der bereits zu dessen Sicherheitsleuten gehörte. Der Person gelang es, erfolgreich den Eindruck zu erwecken, als sei er übergelaufen. Über Wochen und Monate hinweg belieferte er den türkischen Geheimdienst mit Informationen aus dem Inneren der Organisation, die der Geheimdienst für glaubwürdig einstufte. Der vermeintliche Maulwurf in den Reihen der PKK soll auf diesem Wege das Vertrauen hochranginger Geheimdienstmitarbeiter gewonnen haben.

Vor wenigen Wochen gab der Mann dann dem MİT den Startschuss für die Operation auf Bayık. Dieser solle demnach wegen einer gesundheitlichen Behandlung inkognito nach Silêmanî gebracht werden, wo man seine Wachen überwinden und ihn festnehmen könne. Um die letzten Einzelheiten der Operation zu besprechen, reisten zwei hochrangige MİT-Verantwortliche nach Silêmanî, wo sie sich mit dem „Informanten“ treffen wollten. Dieser verlegte kurzfristig den Treffpunkt von Silêmanî in den Ort Dakok, wo es für ihn sicherer sei. Die MİT-Männer müssen so großes Vertrauen in den Mann gehabt haben, dass sie selbst hiervon keinen Verdacht schöpften. Sie reisten nach Dakok, trafen sich mit dem „Maulwurf“ und bevor sie den Treffpunkt verlassen konnten, wurden sie von PKK-Mitgliedern festgenommen und zu den Stützpunkten der Organisation in die Kandil-Berge gebracht.

Insgesamt 18 Leute des türkischen Geheimdienstes, darunter die genannten zwei hochrangingen Personen, sollen bei der Operation in die Hände der PKK gefallen sein. Der Fall gelangte zunächst nicht an die Medien. Die PKK äußerte sich aus Rücksicht auf die PUK nicht zu dem Fall, denn das Ganze ereignete sich letztlich im Einflussgebiet der Patriotischen Union Kurdistans. Die PUK, aufgrund der diplomatischen Probleme mit der Türkei nicht wirklich glücklich über den Vorfall, äußerte sich schließlich selbst. Das Mitglied ihres Politbüros, Sadi Ahmed Pirê, erklärte der Öffentlichkeit, dass eine Geheimdienstoperation der Türkei auf südkurdischem Boden missglückt sei. In der Zwischenzeit hatte die Türkei den PUK-Sprecher in Ankara sowie 80 weitere Personen aus dem PUK-Umfeld als Reaktion auf die fehlgeschlagene Operation des Landes verwiesen ((Warum das Büro der YNK in Ankara geschlossen wurde)). Schließlich äußerte sich die PKK auch zu der Festnahme der MİT-Verantwortlichen und gab die genannten Einzelheiten des Vorfalls bekannt.

Kalkulation der Türkei: Schlag gegen die PKK und Chaos in Südkurdistan

Ohne Zweifel, die Festnahme von Cemil Bayık wäre ein großer Erfolg des türkischen Staates im jahrzehntelangen Kampf gegen die PKK gewesen. Diesen Erfolg hätten die AKP und der türkische Staatspräsident nur zu gerne für sich ausgeschlachtet. Die Regierung Erdoğans würde sich gerne als diejenige in der Geschichte der Türkei verewigen, die den endgültigen Sieg über die PKK für sich beanspruchen kann. So posaunt der türkische Innenminister Süleyman Soylu immer wieder, das auf absehbare Zeit niemand mehr von dieser Organisation sprechen werde. Doch so selbstsicher die türkische Regierung im Kampf gegen die Kurden tönt, sowohl auf militärischem als auch auf politischem Boden verliert sie zusehends an Boden gegenüber der kurdischen Demokratiebewegung. Die Schmach der dargestellten Geheimdienstaffäre ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Denn sowohl in der Demokratischen Föderation Nordsyrien als auch in Südkurdistan finden derzeit aus Sicht der kurdischen Gesellschaft Entwicklungen statt, die Ankara so gar nicht schmecken dürften. Die geplante Festnahme Bayıks sollte deshalb so etwas wie einen Befreiungsschlag für die türkische Anti-Kurdenpolitik darstellten. Sie endete nun allerdings in einem Desaster.

Dabei erhoffte Ankara sich durch die Operation einen doppelten Effekt: Neben dem Schlag gegen die PKK sollte zugleich auch Chaos in Südkurdistan gestiftet werden. Die Rechnung sah vor, dass nach der Festnahme von Bayık die PKK die südkurdischen Parteien für mitschuldig erklären würde, da diese seit Jahren türkische Geheimdienstaktivitäten auf ihrem Boden dulden. So wäre dann eine Krise zwischen den unterschiedlichen kurdischen Kräften ausgebrochen, die aus Sicht der türkischen Verantwortlichen im Idealfall in bewaffnete Auseinandersetzungen, Chaos in der gesamten Region und folglich zu einer Annullierung des Unabhängigkeitsreferendums geführt hätten. Diese Risiken soll auch der US-Verteidigungsminister James Mattis bei seinem Besuch am 23. August in Ankara zum Ausdruck gebracht haben, weswegen er eine Unterstützung aus Washington für eine solche Operation auf Anfrage seiner türkischen Gesprächspartner ablehnte. Laut Medienberichten, die sich auf Geheimdienstkreise berufen, habe Mattis einen möglichen innerkurdischen Konflikt als große Gefahr für den internationalen Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) gewertet.

Der türkische Geheimdienst MİT schien sich seiner Sache wohl dennoch sicher. Zu sicher, wie sich im Nachhinein zeigte. Die Gefahr für Kurden, die derzeit von den türkischen Geheimdienstaktivitäten ausgeht, bleibt aber weiterhin bestehen. Und das gilt sowohl für die Türkei und Kurdistan, als auch für Europa und insbesondere Deutschland.