Aufbau der Demokratischen Autonomie in Qamislo

westkurdistan_frauenMako Qoçgiri, 01.04.2013

Als die Revolution in Westkurdistan im Juli 2012 ausbrach, richteten sich sofort viele Augen auf  die größte westkurdische Stadt Qamislo. Was wird in Qamislo passieren? Werden die Kurden auch dort versuchen, die Kontrolle an sich zu nehmen? Wie werden die Regimekräfte darauf reagieren? Werden sie beim Versuch der Kurden die Kontrolle der Stadt zu erlangen, diese kampflos übergeben oder eröffnet sich eine neue Front im syrischen Bürgerkrieg? Und wie wird die Türkei darauf reagieren, wenn die Kurden die Kontrolle in einer so wichtigen Stadt, die zudem an der direkten Grenze zum nordkurdischen Nisêbîn (Nusaybin) liegt, an sich reißen? Diese Fragen schwirrten vermutlich nicht nur mir durch den Kopf. Aber auf den ersten Blick tat sich in Qamislo zunächst nichts.

Mittlerweile sind alle wichtigen Städte in Westkurdistan unter der Kontrolle der dort ansässigen Bevölkerung. Nur in Qamislo hat sich vermeintlich noch nichts getan. Allerdings stimmt das nicht ganz. Denn auch wenn die Kräfte des Regimes aus Qamislo noch nicht von der Bevölkerung hinausgetrieben worden sind, hat die Bevölkerung der Stadt doch wichtige Schritte in Richtung des Aufbaus der Demokratischen Autonomie unternommen.

Bereits nach dem Qamislo-Massaker vom 12. März 2004, bei dem durch die Regimekräfte bis zu 40 Kurdinnen und Kurden in der Stadt ermordet worden waren, hat die Bevölkerung in Qamislo begonnen, sich selbst zu organisieren. Die stärkste Waffe, um Massaker dieser Art zu unterbinden, wurde in der Selbstorganisierung gesehen. Nach Ausbruch der Revolution in Westkurdistan am 19. Juli 2012 wurden die Arbeiten hinsichtlich der Organisierung der Bevölkerung Qamislos im Sinne der Demokratischen Autonomie abermals intensiviert. Weshalb es dennoch nicht zu einer Kontrolle der Stadt durch die Bevölkerung gekommen ist, wird durch die strategische Bedeutung Qamislos begründet. In der Stadt und im Umland Qamislos lebt eine nicht unbedeutende Zahl an arabischer Bevölkerung, die vor allem ab den 1970er Jahren im Rahmen der Politik des arabischen Gürtels durch das Baath-Regime in den kurdischen Gebieten Syriens angesiedelt worden sind. Da ein großer Teil der arabischen Bevölkerung mit dem Baath-Regime sympathisiert, wollen die Kurden nicht durch den Schritt der Kontrollübernahme in der Stadt die Gräben zur arabischen Bevölkerung vertiefen. Stattdessen konzentriert man alle Mühen, trotz der Präsenz des Staats, auf den Aufbau der Demokratischen Autonomie in Qamislo.

Das ist allerdings nicht so einfach, denn allein die Binnenmigration in Folge des Ausbruchs des syrischen Bürgerkriegs konfrontiert die Bevölkerung der Stadt mit ernstzunehmenden Problemen. Wurden bei der Volkszählung im Jahr 2010 in Qamislo noch 223.000 Einwohner, befindet sich die aktuelle Zahl der Bevölkerung bei rund 800.000. Die schwerwiegendsten Probleme hierdurch betreffen die Müllbeseitigung, sowie die Strom- und Wasserversorgung in der Stadt. Während die staatlichen Stellen praktisch ihre Arbeit eingestellt haben und sich deshalb mit diesen dringenden Problemen der Bevölkerung befassen, versuchen die Stadtteilräte von Qamislo Lösungen für diese Probleme zu finden.

In Qamislo haben sich insgesamt sechs Stadtteilräte organisiert. In diesen Räten werden auf regelmäßigen Versammlungen mit der Bevölkerung des jeweiligen Stadtteils die Probleme der Bevölkerung diskutiert und Lösungsvorschläge eingesammelt. Jedes dieser Stadtteilräte wählt eine Kommunalkammer, welche die Exekutivfunktion des Rates innehat. Jedes Mitglied dieser Kammer ist verantwortlich für einen Arbeitsbereich, zudem wird ein Kammersprecher alle sechs Monate gewählt. Neben den Stadtteilräten gibt es in Qamislo auch einen Stadtrat, der aus rund 300 Delegierten der Stadtteilräte besteht. Auch im Stadtrat wird eine neunköpfige Exekutive gewählt, die in erster Linie für die koordinierte Arbeit der Stadtteilräte Sorge trägt und für die Umsetzung der durch den Stadtrat beschlossenen Rahmengesetzgebung verantwortlich ist. Ziel der Rätestrukturen ist es, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung Qamislos in die kommunale Politik der Stadt einzubinden.

Auf dem zweiten Blick wird also deutlich, dass auch in Qamislo die Revolution in vollem Gange ist. Während das Regime in Qamislo jegliche Funktionsfähigkeit eingebüßt hat, entwickelt die Bevölkerung der Stadt selbst die Lösungen für ihre Probleme und setzt sie um. Der Stadtrat von Qamislo hat sich ein klares Ziel gesetzt: Sie wollen die Vorzeigestadt der Demokratischen Autonomie in Westkurdistan werden.

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