Ausforschen oder Auslöschen? Worin bestand die Aufgabe des türkischen Agenten Mehmet Fatih S.?

Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit zum anstehenden Gerichtsprozess gegen Mehmet Fatih S., der im Auftrag des türkischen MIT wohl kurdische Aktivisten in Europa ermorden sollte, 23.06.2017

Vor zwei Tagen hat die Generalbundesanwaltschaft in einer Presseerklärung die Öffentlichkeit darüber informiert, dass gegen Mehmet Fatih S. wegen gemeindienstlicher Agententätigkeit durch das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg Anklage erhoben wird. Der Angeklagte sei damit beauftragt gewesen, „die kurdische Szene in Deutschland auszuforschen“. Besonderes Zielobjekt des mutmaßlichen Agenten des türkischen Geheimdienstes war wohl Yüksel Koç, der heute Kovorsitzender des Demokratischen Gesellschaftskongresses der KurdInnen in Europa (KCDK-E) ist. Der Beschuldigte besuchte, getarnt als Journalist eines türkischen Fernsehsenders, u.a. Koç in seiner Privatwohnung und nahm in Bremen an kurdischen Kundgebungen und Demonstrationen teil.

Ein ganz zentraler Vorwurf gegen den Beschuldigten taucht allerdings in der Presseerklärung der Generalbundesanwaltschaft nicht auf: Yüksel Koç behauptet nämlich, der Angeklagte habe nicht bloß den Auftrag vom türkischen Geheimdienst erhalten, ihn auszuforschen. Vielmehr sei es seine Aufgabe gewesen, Koç und weitere kurdische Vertreter zu eliminieren. Die damalige Partnerin des Beschuldigten C.E. habe von dessen Vorhaben gewusst, und aufgrund von Gewissensbissen bei der prokurdischen Tageszeitung Yeni Özgür Politika angerufen, um den Angeklagten auffliegen zu lassen. C.E. berichtete außerdem davon, dass der Beschuldigte im ständigen Kontakt mit einer Person aus der Ukraine gewesen und mehrfach sogar rübergereist sei. Sie vermutet deshalb, dass der türkische Geheimdienst in der Ukraine über eine Art Außenposten verfüge. Nachdem den Beschuldigte mehr als vier Wochen nach den ersten Zeitungsberichten zu dem Fall in der Yeni Özgür Politika schließlich am 15. Dezember 2016 festgenommen worden war, erhielt Koç jedenfalls eine SMS von einer ukrainischen Mobilfunknummer, in welchem es u.a. heißt, dass er sein Leben zwar „dieser Hure“ (gemeint ist die Ex-Partnerin des Beschuldigten) zu verdanken habe. Dennoch würden sich weitere gut getarnte Agenten in seinem Umfeld bewegen, weswegen er sich nicht allzu sehr in Sicherheit wähnen solle. Neben dieser SMS berichtet der KCDK-E Kovorsitzende von einer Todesliste, die seinem Umfeld durch einen MIT-Agenten zugespielt worden sei. Insgesamt neun Namen von kurdischen Exilpolitikern hätten sich auf dieser Liste befunden, auch derjenige von Yüksel Koç.

Dass die Behauptungen von Koç ernstzunehmend sind, beweist der Fall des türkischen MIT-Agenten Ömer Güney. Dieser ermordete am 09. Januar 2013 drei kurdische Aktivistinnen in Paris, nachdem er sich zuvor in die dortigen kurdischen Vereinsstrukturen eingeschleust und das Vertrauen der Aktivisten gewonnen hatte. Der Gerichtsprozess gegen Güney kam es nicht, da der dringend Tatverdächtige Ende 2016 überraschend in französischer Haft verstarb. Zuvor hatte die französische Justiz den Beginn des Prozesses gegen Güney auf den 23. Januar 2017 datiert.

Generalbundesanwaltschaft klammert Mordpläne des Agenten aus

Trotz dessen, dass die Generalbundesanwaltschaft detailliert über diese Tatsachen in Kenntnis gesetzt worden ist, taucht nun in ihrer Pressemitteilung kein Wort über die Mordpläne des Beschuldigten auf.  Rechtsanwalt Frank Jasenski, der Koç im anstehenden Verfahren gegen Mehmet Fatih S. vertritt, erklärt, dass er zwar noch keinen Einblick in die Anklageschrift erhalten habe. Seinem Mandanten sei allerdings mitgeteilt worden, dass die vermuteten Anschlagspläne des Beschuldigten aufgrund von vermeintlich fehlender Beweislast kein Teil der Anklage sein werden. Rechtsanwalt Jasenski gab an, er werde die die Anklage der Generalbundesanwaltschaft deshalb genau prüfen, sobald sie ihm vorliegt. Auch warnte er vor einer Wiederholung des Koblenzer Gergerlioğlu-Prozesses aus dem 2015. Damals wurde ein eingeleitetes Verfahren gegen Muhammed Taha Gergerlioğlu und zwei weitere Personen wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Tätigkeit für den türkischen MIT in Deutschland gegen die Zahlung von 20.000 Euro frühzeitig eingestellt.