Bildung für Demokratie und Diversität

Ein Delegationsbericht aus Rojava/Nordsyrien von Mitgliedern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), 05.07.2018

Vom 22. bis zum 27. Mai 2018 besuchte eine Delegation von Mitgliedern aus den GEW-Landesverbänden Niedersachsen und Bayern verschiedene Orte in Rojava/Nordsyrien.

Ziel der Reise war es, sich über die Umsetzung der verschiedenen Solidaritätsprojekte im Bildungsbereich zu informieren (Projekt Schulaufbau und Schulpartnerschaften mit Kobanê und Girê Spî, Projekt Berufsschule für Mädchen in Kobanê) und sich mit den KollegInnen vor Ort persönlich über weitere sinnvolle bzw. notwendige Schritte der Unterstützung zu beraten.

Darüber hinaus sollten Kontakte zu den Bildungsräten hergestellt werden, um Informationen über die Lehrerorganisationen sowie über die inhaltliche und strukturelle Neugestaltung des Bildungswesens in der Föderation Nordsyrien zu erhalten und auf dieser Grundlage gewerkschaftliche Kooperationsmöglichkeiten zu diskutieren.

In Kobanê, Girê Spî, Ain Issa und Qamişlo führten die DelegationsteilnehmerInnen ausführliche Gespräche mit verschiedenen Einrichtungen des Bildungswesens und der Selbstverwaltung sowie mit KollegInnen an den Schulen in Kobanê und Girê Spî.

Der Aufbau des Bildungswesens in der Föderation ist beeindruckend. In den letzten Jahren wurden große Anstrengungen für den Wiederaufbau der Schulgebäude unternommen, um den SchülerInnen eine Fortsetzung des Schulbesuchs zu ermöglichen. Dort wird Bildung mit einer grundlegend neuen Ausrichtung vermittelt, die mit den Vorstellungen unserer Gewerkschaft in den Bereichen Diversität und Antidiskriminierung in vielen Zielsetzungen und Maßnahmen übereinstimmt. Dabei geht es vor allem um die Grundlage der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von SchülerInnen verschiedenen kulturellen (ethnischen und religiösen) Hintergrunds und mit verschiedenen Lernvoraussetzungen sowie um die Demokratie- und Friedenserziehung.

Bei den Besuchen in mehreren Schulen konnten wir uns von konkreten Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele überzeugen und erfahren, welche Fortschritte bereits gemacht wurden. Vor allem die konsequente Umsetzung des mehrsprachigen Unterrichtsangebots, meist in derselben Schule entsprechend der Bevölkerungsstruktur, die Neubearbeitung der Lehrmaterialien, die organisatorische Verankerung eines permanenten pädagogischen Austauschs sowie zahlreiche kreative Unterrichtsprojekte zur Verständigung verdeutlichen, wie stark das Bestreben zur Ablösung des früheren autoritär ausgerichteten und nationalistisch-diskriminierenden Schulsystems ist. Besonders beeindruckt hat uns dabei, wie viel Wert auf die starke, selbstbewusste Rolle der Frauen gelegt wird. Frauen sind im Vorsitz aller Gremien gleichberechtigt vertreten und gleichzeitig eigenständig organisiert.

Die SchülerInnen und ihre Zukunft in einer friedlichen, demokratischen und ökologischen Gesellschaft stehen im Mittelpunkt dieses Bildungswesens. Das wurde immer wieder auch in den Gesprächen mit KollegInnen an der Akademie für die LehrerInnenausbildung deutlich. Dort erhalten die KollegInnen regelmäßig in fachbezogenen und pädagogischen Fortbildungen die Unterstützung, die sie für die Bewältigung der noch großen Aufgaben benötigen. Denn trotz der Bedeutung, die der Bildung von den Selbstverwaltungen beigemessen wird, sind die Folgen des Kriegs und der Handelsblockaden noch an vielen Stellen in den Schulen präsent. Die noch sichtbaren Schäden an den Gebäuden, die unvollständige Innenausstattung, die mangelnde Versorgung mit Lehrmaterialien für den Fachunterricht und vor allem die dringend notwendigen Hilfen zur psychischen Verarbeitung der Kriegserlebnisse durch die SchülerInnen und Lehrkräfte stellen alle Beteiligten vor hohe Anforderungen. Mit viel Engagement und Kreativität angesichts der vorhandenen Möglichkeiten zeigen die Lehrkräfte den SchülerInnen, insbesondere im musikalischen und künstlerischen Bereich, Möglichkeiten auf, Erlebtes auszudrücken und ein Empfinden von Gemeinschaft, Sicherheit und Freude neu zu entwickeln. Dies gilt für die in Rojava gebliebenen und für die inzwischen zurückgekehrten SchülerInnen ebenso wie für die aus anderen Gebieten hierher Geflüchteten.

Beim Besuch der Bildungseinrichtungen in Nordsyrien haben wir, inmitten von ethnischer, religiöser und politischer Unterdrückung und Krieg, einen Ort der Umwälzungen und des Aufbruchs kennengelernt, an dem der jungen Generation Bildung auf der Grundlage der Gleichwertigkeit mit einer friedlichen, demokratischen, geschlechtergerechten und ökologischen Perspektive vermittelt wird.

Dieser Aufbau verdient und braucht die Unterstützung der KollegInnen, denn hier werden auch Ursachen der Flucht beseitigt. Solidaritätsprojekte für den Schulaufbau und deren Ausstattung, gewerkschaftliche Kontakte zu den LehrerInnenorganisationen und Schulpartnerschaften für den pädagogischen Austausch sowie das Engagement für ein Ende der politischen Isolation der Demokratischen Föderation Nordsyrien sind Aufgaben, denen wir uns noch stärker stellen sollten.

Ab September 2018 bieten die DelegationsteilnehmerInnen Vortragsveranstaltungen mit zahlreichen Fotos, Erlebnissen und Einschätzungen zur Reise nach Rojava/Nordsyrien an. InteressentInnen können sich bei Interesse für mehr Informationen bei Civaka Azad melden.