„Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Kurden sein“

bootan-tahsenBootan Tahsen im Interview mit Hülya Tektas, 20.03.2013

Bootan Tahsen, der Chefredakteur der kurdischen Tageszeitung „Bas News“, spricht im Interview mit M-MEDIA über die Politik, Religionen und die Objektivität der Journalisten in der autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Die Fragen stellte Hülya Tektas.

M-MEDIA: Woher kommt Ihr Interesse für die Politik?

Bootan Tahsen: Mein Vater wurde 1988 mit vielen anderen Kurden aufgrund seines politischen Engagements ermordet. Die Zerstörung und Bombardierung vieler Dörfer, die Ermordung der politisch aktiven Kurden, Zwangsumsiedlungen und diverse andere Repressionen ließen Kurden keine andere Wahl, als sich politisch zu engagieren.

Meinen Sie damit auch Kurden in der Türkei, im Iran und in Syrien?

Auch sie haben Ähnliches erlebt. Alle Kurden haben das gleiche Dilemma: die Unterdrückung, die sie auch verbindet. Als 1991 etwa drei Millionen Kurden vor dem Saddam Regime flohen, wurden sie sowohl von Kurden in der Türkei als auch von jenen im Iran sehr gut aufgenommen und respektvoll behandelt.

Kurdische Flüchtlinge aus Syrien kritisieren die schlechte Lebenssituation in den Flüchtlingslagern und fühlen sich von der kurdischen Regierung im Stich gelassen. Was hat sich seit damals geändert?

Man muss berücksichtigen, dass es sich hier um einen politischen Fall handelt. Die kurdische Regierung in Hewler ist ein Teil der irakischen Regierung und arbeitet mit Maliki (Anmerkung der Redaktion: Nouri al-Maliki ist der irakischer Premierminister) zusammen. Und Maliki unterstützt die Assad Regierung. Diese Angelegenheit ist also zu komplex, um es mit simplen Regeln zu lösen. Ich verstehe selbstverständlich die Enttäuschung der syrischen Kurden.

Bekanntlich gibt es unter Kurden viele Religionen. Wie kommen alle diese Religionen in dieser konfliktreichen Region zusammen aus?

Es gibt diverse Religionen unter Kurden. Viele jüdische Kurden wanderten nach Israel aus, sodass es heute in Kurdistan kaum Juden gibt. Die christliche Kurden sowie andere fühlen sich in Kurdistan viel sicher. Auch die Beziehung zwischen Vertretern von Jesiden und der kurdischen Behörden ist gut. Selbstverständlich ist es in Kurdistan nicht so wie in einem westlichen Staat, aber im Gegensatz zu Irakern sind Kurden anderen Religionen gegenüber aufgeschlossen bzw. säkular.

Wie geht es Journalisten in Kurdistan?

Laut der kurdischen Journalistengewerkschaft gibt es rund 700 Zeitungen in Kurdistan. Allerdings umfasst diese Zahl nicht nur Tages- Wochen- und Monatszeitungen und –Zeitschriften, sondern auch politische Periodika. Einige Zeitungen gehören politischen Parteien PUK (Patriotische Union Kurdistans) oder KDP (Demokratische Partei Kurdistans) an, die nicht sehr objektiv sind. Unabhängige Zeitungen, zu denen auch der Bas News gehört, haben alternative Informationsquellen und berichten objektiver, da sie die Meinung unterschiedlicher Parteien und Personen einholen.

Was die Meinungsfreiheit betrifft, teile ich die gleiche Meinung wie der deutsche Konsular. Bei einem Interview meinte er, dass Kurdistan sich gerade in einer Transformationsphase zwischen totalitärem und demokratischem System befindet. Wir erleben tagtäglich neue Fortschritte und entwickeln uns selber weiter. Innerhalb der letzten Jahre hat sich auch in Sachen Meinungsfreiheit vieles bewegt und geändert.

Wie sehen Sie die Zukunft von Kurdistan?

Der Mittlere Osten wurde beim geheimen Sykes-Picot-Abkommen im 1916 aufgeteilt. Mit diesem Abkommen haben die Briten und die Franzosen die Länder des mittleren Ostens nach ihren kolonialen Interessen aufgeteilt. Südkurdistan wurde damals zu Irak gegeben, um zwischen Schiiten und Sunniten eine Balance zu schaffen. Der Plan ging aber nicht auf, da die Kurden sich nicht als Iraker sehen und bei Kurden die Bindung zur Nationalität stärker ist als die Bindung zur Religion. Manche politische Analysten sehen nun das Ende von Sykes-Picot-Abkommen. Vielleicht ist für die Zukunft auch ein unabhängiges Kurdistan vorgesehen. Wir befinden uns gerade wieder an einem wichtigen Punkt der Geschichte. Im mittleren Osten werden politische Karten neu gemischt. Wie der berühmte Soziologe Ismail Besikci einmal sagte, wird hoffentlich das 21. Jahrhundert der Jahrhundert der Kurden sein.

Aber für welche Kurden? Die im Süden, im Norden, im Osten oder im Westen, oder für alle gemeinsam?

Das Konzept vom Nationalstaat hat sich geändert. Für die Bildung von einem Nationalstaat sind meist wirtschaftliche Faktoren ausschlaggebend. Vielleicht wird es einmal mehrere kurdische Länder geben, so wie es viele arabische Länder gibt.

Quelle: http://www.m-media.or.at

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