Das Guernica Syriens wird Rakka sein

Der aus Rakka stammende Künstler Mihemed Hesen beschreibt, was sein nächstes Bild nach der Befreiung von Rakka darstellen soll, 07.07.2017

Der aus der Gefangenschaft des Islamischen Staates befreite Künstler Mihemed Hesen beschreibt den IS als eine Pest, die das Blut der Menschlichkeit aussaugt. Hesen führt aus: „Wenn ich ein nächstes Bild malen werde, dann werde ich es Pest nennen. Wie Picasso einst den in Spanien tobenden Krieg mit seinem Guernica Gemälde erzählt hat, so werde ich mit einem ähnlichen Bild die Stadt Rakka beschreiben. Das Guernica Syriens wird Rakka sein“.

Im Zuge des „großen Krieges“ um die Stadt Rakka verbüßt der IS herbe Rückschläge. Während die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) immer weiter erfolgreich mit Vorstößen gegen Stellungen des IS agiert, werden gleichzeitig hunderte Menschen aus den eroberten Gebieten aus der Geiselschaft des IS befreit.

Die ersten Worte des nach nun fünfjähriger Geiselschaft befreiten 31jährigen Künstlers Mihemed Hesen lauteten: „Wie Picasso einst den in Spanien tobenden Krieg mit seinem Guernica Gemälde erzählt hat, so werde ich mit einem ähnlichen Bild die Stadt Rakka beschreiben.“

Von Statuen zu Bildern

Als wir in die vom SDF befreiten Teile Rakkas vorstießen, fielen uns immer wieder Bilder und Gemälde auf, die übermalt oder mit dem Symbol des IS verunstaltet wurden. Das zog unsere Aufmerksamkeit auf sich und wir machten uns auf die Suche nach dem oder die Künstler, denen diese Bilder gehörten. So lernten wir Mihemed Hesen kennen. Hesen lebte hauptsächlich in der Region zwischen Heil Hewa und Sebehîye. Die meisten Menschen aus Sebehîye kennen Hesen, denn viele der Gemälde, die sie zu Hause aufgehängt hatten, wurden von Hesen gemalt. Wir haben den seit langem vermissten Hesen in der Nähe einer Weide gefunden, auf der er seine Ziegen weiden ließ. Hesen stand mit einem grauen „gelab“ (ein von Arabern bevorzugtes einteiliges Ganzkörper Kleidungsstück) bekleidet und mit ein Stock in seiner Hand vor uns.

Er wollte mit uns an einem anderen, sichereren Ort reden, weil der Islamische Staat die gesamte Region mit Minen bespickt hatte. Er nahm uns mit zu einem fremden Arbeitsplatz in Sebehîye, an dessen Wänden seine Bilder noch hingen. Er erzählte uns dort, dass er mit neun Jahren anfing, Bilder zu malen. Mit 16 Jahren galt er schon als anerkannter Künstker. Später arbeitete er in Beirut als Bildhauer. Doch nach seiner Rückkehr nach Syrien widmete er sich wieder dem Bildermalen.

Das Malen von Bildern wurde verboten

Nachdem der Krieg in Syrien begann und der IS die Kontrolle über Rakka übernahm, wurde Hesen immer wieder bedroht. Hesen erzählt uns: „Sie sagten, dass diese Bilder islamisch verwerflich und deshalb verboten wären. Sie versuchten mich aufgrund meiner Bilder in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Nachdem sie Menschen wie mich mit dem Tod bedrohten, fingen wir an zu fliehen. Ich fing an, versteckt zu leben. Ich hielt mich an Orten auf, an denen sie mich nicht finden konnten.“

Folglich fing er an, nach dem Vorrücken des IS, als Hirte mit seiner Ziegenherde zu leben. Außerdem erzählte Hesen: „ Wenn ich Material zum Malen fand, dann zeichnete ich weiter. Alle Bilder, die ich malte, versteckte ich. Damit mein Talent nicht verkümmerte, zeichnete ich oft auch auf dem erdigen Boden. Seitdem ich als Hirte auf der Flucht bin, gibt es nur mich und meine Ziegen. Niemand befand sich in unserer Nähe. Ich zeichnete mit den Fingern in die Erde.“

Islamischer Staat: Ein Bild der Pest

Hesen unterstreicht nochmals aus seiner Sicht, welch großen Schmerz und Grausamkeit der IS den Völkern Syriens gebracht hat: „Wenn ich mein nächstes Bild male, dann nenne ich es ‚Pest‘. Diese Krankheit hat viele unserer jungen Menschen befallen. Um ehrlich zu sein, wird dessen Behandlung sehr aufwendig und schwierig werden. Falls ich etwas darüber zeichnen werde, dann wird ein sehr blutiges Bild entstehen. Mit den entstehenden Bildern möchte ich diese verwurzelte dunkle Mentalität in den Herzen dieser Menschen vertreiben,“ so Hesen.

Erneut nahm er seinen Pinsel in die Hand

Von allen Künstlern beeinflusste Picasso ihn am meisten. Hesen schilderte außerdem: „Wie Picasso einst den in Spanien tobenden Krieg mit seinem Guernica Gemälde erzählt hat, so werde ich mit einem ähnlichen Bild die Stadt Rakka beschreiben. Das Guernica Syriens wird Rakka sein. Weil in dieser Stadt wurden die Frauen lebendig in die Dunkelheit begraben. Kinder wurden vergiftet. Aber das wichtigste ist das, was die Frauen erleben mussten. Welche Schmerzen sie über sich ergehen lassen mussten, welche Grausamkeiten ihnen widerfahren sind und wie sie damit leben mussten. Wie sie daraufhin kämpften und ihre Städte wieder vom IS befreiten. All diese Dinge werde ich versuchen mit meinen Pinseln zu erzählen“. Hesen fügte hinzu, dass er wegen dem IS das Zentrum der Stadt nun fast drei Jahre nicht mehr gesehen hat. Nach der Befreiung vom IS habe er wieder endlich den Pinsel in die Hand genommen hat.