„Das iranische Regime wird in seinen Grundfesten erschüttert“

Der Journalist Seyit Evran zu den aktuellen Entwicklungen im Iran und Ostkurdistan, sowie dem Potential der gegenwärtigen Protestwelle; 03.01.2018

Die Menschen im Iran und Ostkurdistan sind in den letzten 20 Jahren zum dritten Mal in Massen auf die Straßen gegangen. In der Volkserhebung, die vor drei Tagen begann, werden klare Parolen wie “Nieder mit der Diktatur, wir möchten Freiheit” gerufen. Ein zentraler Unterschied dieser Volkserhebung zu vorherigen Protesten ist, dass sie diesmal in den ideologischen Zentren des Mullah-Regimes begonnen hat.

Ostkurdistan und der Freiheitsplatz in Teheran

19 Jahre nachdem Chomeini im Iran das Mullah-Regime gründete gab es auch im Jahr 1999 breite Aufstände. Nach der Entführung der kurdischen Führungspersönlichkeit Abdulah Öcalan im Jahr 1999 durch die Türkei kam es in ostkurdischen Städten zu Massendemonstrationen. Das iranische Mullah-Regime griff in den ersten Protesttagen nicht stark ein. Doch in den folgenden Tagen gab es Übergriffe in vielen Städten, vor allem in Urmia und es kam von Ort zu Ort zu Auseinandersetzungen. Infolge der Proteste wurden viele Menschen festgenommen und inhaftiert. Noch bevor die Proteste für Öcalan endeten, gingen diesmal die Studierenden der Universität in Teheran mit der Parole “Wir möchten Freiheit” auf die Straßen. Die Proteste begannen auf dem größten Platz in Teheran, dem Freiheitsplatz und verbreiteten sich von dort aus innerhalb kürzester Zeit in verschiedene Städten Irans. Das iranische Regime griff in die mehrere Tage andauernden Proteste ein, nahm eine Vielzahl von Studierenden fest und erhängte sogar einige von ihnen.

Im Iran wurden zu dieser Zeit die Erhebung und die Proteste als “reformistisch” definiert. In Wirklichkeit brachte das Regime Mohammad Chātami ins Spiel, der zum Staatspräsidenten wurde und dem System zehn Jahre lang Luft zum Atmen verschaffte.

Die Proteste von 2009 haben die Schrauben des Systems gelockert

Die Proteste, die im Jahr 1999 begannen, waren die größten seit der Gründung des Mullah-Regimes. Sie wurden durch die Festnahme einer Vielzahl von Studierenden und die Installierung eines angeblich reformistischen neuen Staatspräsidenten unterdrückt. Genau zehn Jahre später gab es kurz nach den iranischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 wieder eine große Erhebung. In diesem Aufstand nahmen diesmal auch der Präsidentschaftskandidat Mir Hossein Mussawi, Mehdi Karroubi und die Tochter des ehemaligen Präsidenten Ali Akbar Hāschemi Rafsandschāni eine führende Rolle ein. Die Erhebung von 2009 begann wieder in Teheran. Mit dutzenden Toten und tausenden Festnahmen wurde dieser Protest in kurzer Zeit niedergeschlagen. Tausende Menschen, darunter auch die Tochter von Rafsandschāni, wurden festgenommen. Der Präsidentschaftskandidat Mussawi und auch Karroubi wurden unter Hausarrest gestellt, der bis heute andauert.

Die Gründe und Unterschiede der jüngsten Erhebung

Der vor drei Tagen in einigen Städten Irans begonnene und sich in kürzester Zeit auf andere Städte in Ostkurdistan uns Iran ausbreitende Volksaufstand hat ernsthafte und bedeutende Unterschiede zu den vorherigen Aufständen. Seit der Gründung der Islamischen Republik Irans waren die Zentren der bisherigen zwei großen Aufstände die Städte Ostkurdistans uns Teheran. Von dort aus breitete sich die Protest auf andere Orte aus. Diesmal begann der Protest jedoch nicht in Teheran und Ostkurdistan, sondern in den ideologischen Zentren des Iran wie Maschhad, Schiras, Isfahan und Ghom. Die Stadt Ghom ist das Zentrum der Ajatollahs. Diejenigen, die nicht aus dieser Stadt kommen oder dort keine Bildung erhielten, können nicht ohne Weiteres Ajatollah werden.

Die Erhebung begann in diesen ideologischen Zentren des Iran und breitete sich später auf andere Städte des Iran und Ostkurdistans aus. Dass auch in Lorestan, wo es seit dem ersten Tag der Gründung des Mullah-Regimes keinerlei Protest gegen das bestehende System gegeben hat, der Protest begann, verdeutlicht den Unterschied zu bisherigen Protesten.

Der Hungerstreik von Mussawi und Karroubi, die Kampfansage von Ahmadinedschad…

Es wäre nicht falsch den vor drei Tagen in den ideologischen Zentren begonnenen und von dort aus sich in ganz Iran und Ostkurdistan ausbreitenden Aufstand in gewissem Sinne als eine Fortsetzung des 2009 vom Mullah-Regime niedergeschlagenen, aber umfassenderen Aufstandes zu bewerten. Denn der nach den Protesten von 2009 unter Hausarrest gestellte Präsidentschaftskandidat Mir Hossein Mussawi sowie Mehdi Karroubi haben im vergangenem August einen Hungerstreik aus Protest gegen die bestehende Ordnung begonnen. Nach einer gewissen Zeit brachen sie den Streik ab. In der Zeit, in der Mussawi und Karroubi den Hungerstreik abbrachen, begann der ehemalige Präsident Ahmadinedschad gegenüber Ali Chamene’i und Hassan Rohani scharfe Kritik zu äußern. Ahmadinedschad steigerte die Dosis seiner bisherigen Kritik bis hin zu einer offenen Kampfansage. In dem seit drei Tagen währenden Protest, der sich zunehmend ausweitet und von Ort zu Ort eskaliert, haben sich die ehemaligen Konkurrenten von 2009 Ahmadinedschad, Mussawi und Karroubi zusammengefunden.

Mussawi ist einer der ältesten Kader der Islamischen Iranischen Republik. Während Abolhassan Banisadr der erste gewählte Präsident der Islamischen Republik war, wurde Mussawi von Chomeini zum Premierminister ernannt. Banisadr ließ sein Amt fallen und begab sich nach Frankreich. Mussawi setzte sein Amt als Kader der Islamischen Republik fort. Karroubi kommt aus den Reihen der Volksmodschahedin. Während der Präsidentschaft von Chātami hatte Karroubi von 1997 bis ins Jahr 2005 das Amt des Parlamentsvorsitzenden inne.

Ahmadinedschad ist ein zentraler Kader der Volksmodschahedin. Während des Iran-Irak-Krieges war er Kommandeur einer Einheit der Iranischen Revolutionsgarden. Von Chomeini wurde er 1983 in die Gebiete Sanandadsch und Marivan geschickt um die Komala und KDP zu liquidieren. Innerhalb von drei Jahren ließ er tausende Peschmerga und kurdische Zivilisten ermorden. Im Jahr 1988 wurde er nach dem Krieg Verantwortlicher des berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Innerhalb von zwei Jahren wurde er für den Tod tausender politischer Gefangener verantwortlich. Er plante den Mord an dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran, Abdul Rahman Ghassemlou.

Das Regime wird erschüttert

Ob der Beginn der aktuellen Erhebung in ideologischen Zentren wie Maschhad, Ghom und Isfahan oder die Position und scharfen Kritiken der zentralen Kader des Mullah-Regimes gegen Ali Chamene’i und Hassan Rohani; sie alle zeigen, dass das Regime in seinen Grundfesten erschüttert wird und beginnt auseinander zu brechen. Es ist eine andere Frage, wie lange und ob der Aufstand weiter andauern wird. Der iranische Staat als Kenner von Spezialkriegsmethoden kann den Aufstand vielleicht aufhalten und niederschlagen, aber die Positionen der zentralen Kader des Regimes zeigen uns, dass die Lebenszeit des Systems ans Ende angelangt ist. Es scheint so, dass das Mullah-Regime, das 2009 die ersten Risse bekam, sich selbst im Falle einer Niederschlagung der Proteste nicht mehr lange auf den Beinen halten.

Im Original erschien der Artikel am 01.01.2018 unter dem Titel “Çatırdayan sistem İran molla rejimi”auf der Homepage der Nachrichtenagentur Firatnews (ANF).


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