In den Sengalbergen erleben die Turkmenen eine zweite Tragödie

Turkmenen_SengalBotan Gulan berichtet aus den Sengalbergen für die Nachrichtenagentur Firatnews (ANF), 10.08.2014

Nach der Einnahme von Sengal am 3.August durch den Islamischen Staates (IS) flüchteten neben kurdischen Êziden auch zehntausende schiitischen Turkmenen und Araber auf die Sengalberge. Die Turkmenen mussten sogar zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit fliehen. Denn am 15. Juni fiel die mehrheitlich turkmenische Stadt Tal Afar, die an Mosul gebunden ist, in die Hände des IS, weshalb hunderttausende zumeist schiitische Menschen aus ihren Häusern flohen, von denen rund zehntausend in Sengal Zuflucht fanden.

Während durch die Ankunft der Volksverteidigungseinheiten (YPG) und HPG-Guerillakräfte ein weiteres Massaker in den Sengalbergen verhindert werden konnte, gaben einige Menschen, vor allem Kinder, schon in den ersten Tagen aufgrund von Hunger und Durst ihr Leben.

Die Turkmenen, die weiterhin auf den Bergen ausharren, bitten dringend um Hilfe. Turkmenische Familien mit Frauen und Kindern berichten, dass sie schnellstmöglich befreit werden müssen, da sie keine Kraft mehr haben diese Umstände auszuhalten.

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Video von der Nachrichtenagentur Firatnews zu dem Thema 

https://www.youtube.com/watch?v=sCbDA2cqoVI#t=146

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Êziden, Turkmenen und schiitische Araber leben nun nebeneinander und teilen gemeinsam die schwierigen Lebensumstände und versuchen diese Herausforderung anzugehen. Am Tag ist es bis zu 50 Grad heiß. In der Nacht fallen die Temperaturen rapide. Deshalb gibt es einen großen Bedarf an Decken. Die Mütter nehmen ihre Kinder auf ihren Schoß, um sie tagsüber vor der Hitze und nachts vor der Kälte zu schützen.

Eine von ihnen berichtete den kurdischen Medien Vorort: „ Unsere Kinder starben. Wir haben kein Wasser, es gibt kein Brot (…), wo sollen wir hin gehen. Wo ist unsere Regierung. Vier unserer Kinder sind gestorben. Es gibt nichts, nur Steine. Sie sollen uns mit einem Flugzeug retten. ”

Die kurdischen Êziden haben uns beschützt

Eine weitere Frau sagte, während sie über die gleiche Situation berichtete: „ Schaut in welcher Lage unsere Kinder sind. Wo sollen wir hin? […] Wir wollen an einen sicheren Ort. Wir halten das nicht mehr aus. Wir haben keine Decken, wir haben nichts.“

Eine schiitischer Turkmene aus Tal Afar, Muhammad Muhammad Jalil, berichtete, dass die êzidischen Kurden sie hier sehr herzlich aufgenommen haben, aber wegen den Angriffen des IS selber dazu gezwungen waren, auf die Berge zu fliehen.

Die Familie Muhammad hat ein einmonatiges Baby. Aber für einen Zeitraum von mehr als einer Woche können sie ihm keine Milch geben, um ihn zu ernähren. Es ist unmöglich Babynahrung zu finden. Deswegen wurde das Baby krank. „Wenn wir noch zwei oder drei Tage unter diesen Bedingungen leben müssen, würde das Baby sicher sterben“, erklärte Muhammad.

20 Menschen wurden aus seiner Familie ermordet

Êli Silêmani ist ein 50 Jahre alter Schiit. Er lebt mit seiner Familie und zwei weiteren êzidischen Familien auch auf den Bergen. Seine Tochter wurde von dem IS entführt. Seine Frau starb bei dem gleichen Angriff.

Helo Îlyas war das einzige Mitglied seiner Familie, der vor den Angriffen fliehen konnte. Die restlichen Mitglieder seiner Familie wurden alle ermordet. Wir versuchen mit ihm sein Leid zu teilen, doch er versinkt stets in Tränen. Nachdem er lange geweint hat, holt er einmal tief Luft und berichtet, dass aus seiner Familie 20 Frauen ermordet worden sind.

Newaf Wehab trägt den schiitischen Glauben. Wehab zeigt uns noch seine 20 Monate alte Tochter. “Sie heißt Amine”, sagt er. Ihre Augen sind stets geschlossen. Weil das Baby Herzproblem hat, muss sie jeden Monat bei einem Arzt untersucht werden. Aber die Umstände lassen es nicht zu, dass Amine zu einem Arzt gebracht werden kann. Deswegen hat sich ihre Gesundheit verschlechtert und sie kann ihre Augen nicht mehr öffnen.

In Sengal wird eine Menschheitstragödie erlebt. Tausende solcher Dramen werden hier erzählt, die nicht alle in Worte gefasst werden können. Zehntausende von Menschen, die hier auf die Berge von Sengal geflohen sind und noch ihr Leben nicht verloren haben, verweilen hier in der Sehnsucht auf Hilfe.