Der Mittlere Osten und die globale Krise – Auf der Suche nach einer neuen Weltordnung

Arif Rhein, Mitarbeiter von Civaka Azad, über die globalen Machtkämpfe und deren Auswirkungen auf die politische Lage im Mittleren Osten, 10.09.2018

Der Dritte Weltkrieg, dessen Zentrum wir im Mittleren Osten verorten, gewinnt an Fahrt. Mit dem Beginn der ‚Handelskriege‘ hat nun eine Phase der Auseinandersetzungen begonnen, in dem die Konflikte um Handelsprofite offen zu Tage treten. Bei dieser von den USA angestoßenen neuen Phase handelt es sich jedoch nicht ausschließlich um einen ökonomischen Konflikt. Vielmehr müssen wir die derzeitigen Entwicklungen im Rahmen des globalen Hegemoniekampfes verstehen. Nur so können wir angemessen verstehen, warum der Dritte Weltkrieg die Tagesordnung bestimmt, wie er geführt wird und warum er im Rahmen der ‚Handelskriege‘ eine neue Form annimmt.

Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus in den 90er Jahren begann eine Entwicklung, die wir als Dritten Weltkrieg bezeichnen. In den 1970er Jahren war dem eine Vertiefung der Widersprüche des globalen Systems zuvor gegangen. Das Weltsystem war nach dem Ende des 1. Weltkrieges installiert und in Folge des Zeiten Weltkrieges gefestigt worden. Zunächst feierte der Liberalismus Anfang der 90er den Niedergang des Realsozialismus als großen Erfolg. Doch schon bald trat eine Vielzahl politischer, sozialer und ökonomischer Probleme zutage, die während des Kalten Krieges gewissermaßen eingefroren waren. Mit der rapiden, globalen Ausbreitung des Kapitals nach dem Ende des Kalten Krieges ging auch ein steigender Druck der Nationalstaaten auf die verschiedenen Völker, kulturellen Gruppen, Frauen, Jugendliche und die arbeitende Bevölkerung einher. Diese Gruppen reagierten mit Forderungen nach Freiheit und Demokratie. Mit der Zeit wurden die Nationalstaaten zum Angriffsziel für das Kapital, aber auch für die Bevölkerung. Während sie für das Kapital zunehmend ein Hindernis für dessen globale Ausbreitung darstellten, kamen sie aus Sicht der Menschen den Forderungen nach Demokratie, Gleichheit und Freiheit nicht entgegen. Zweifellos unterschieden sich diese beiden Gruppen stark in ihrer Kritik am Nationalstaat. Während die globalen Wirtschaftsmächte nichts mehr mit der Einteilung in zwei klassische Machtblöcke anfangen konnten, begannen auch die Völker mit dem Widerstand gegen diese beiden Blöcke.

Der Mittlere Osten ist im Zuge dieser Entwicklungen zu der Region geworden, in der sich die Krise des Systems am deutlichsten zeigt und die beteiligten Akteure ihre Konflikte miteinander ganz offen austragen. Grund dafür sind neben dem Ressourcenreichtum der Region sicherlich auch die regionalen politischen und sozialen Probleme. Die mittelöstlichen Nationalstaaten waren aus Sicht ihrer Bevölkerungen zu einer untragbaren Last geworden, während die globalen Kapitalmächte genau bei ihnen ansetzten, um eine Lösung in ihrem Sinne herbeizuführen. In diesem Rahmen kam es zu den Interventionen der internationalen Mächte in Afghanistan bzw. im Irak und zu zahlreichen Volksaufständen während des ‚Arabischen Frühlings‘. Die westliche Offensive unter Leitung der USA führte jedoch zu Gegenwehr. So wurden China und Russland aktiv, um die globale Hegemonie der USA und der EU nicht alleine zu überlassen bzw. ihren Einfluss innerhalb der Weltordnung auszubauen. Auch regionale Akteure wie der Iran und die Türkei beteiligten sich aktiv an den Auseinandersetzungen in der Region. Dabei verfolgten sie zunächst das Ziel, die Krise für den Ausbau ihres Einflusses in der Region zu nutzen. Seitdem sie einsehen mussten, dass sie damit nicht den erwünschten Erfolg erzielen würden, kämpfen sie um den Schutz ihrer Nationalstaaten. Wir können also sagen, dass sich drei Akteure aktiv am Dritten Weltkrieg beteiligen: die globalen Mächte, die regionalen Staaten und lokale, gesellschaftliche Kräfte.

Während es in gewisser Hinsicht Parallelen zu den Entwicklungen im 1. und 2. Weltkrieg geben mag, unterscheidet sich der Dritte Weltkrieg doch deutlich von der damaligen Zeit. Die strikte, unflexible Aufteilung der Mächte in verschiedene Blöcke, aber auch der Einsatz all ihrer militärischen Ressourcen stellen heute aus Sicht des globalen kapitalistischen Systems Hindernisse für die Umsetzung der eigenen Interessen dar. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu den beiden vorangegangenen Weltkriegen. Die heutigen Konflikte werden eher mit niedrigerer Intensität und beschränkt auf einzelne Regionen ausgetragen. Zudem wird der militärische Kampf um weitere Dimensionen wie z.B. die ‚Handelskriege‘ ergänzt. Ein weiteres Novum dieses Dritten Weltkrieges ist die aktive Beteiligung der lokalen, gesellschaftlichen Akteure. Die Bewaffnung von Gruppen wie dem Islamischen Staat (IS) und der Al-Nusra-Front stellt in diesem Zusammenhang nicht viel mehr als ein vorübergehendes Werkzeug dar. Betrachten wir die Entwicklungen weltweit und im Mittleren Osten auf diese Art und Weise, können wir feststellen, dass der Dritte Weltkrieg derzeit eine wichtige Etappe hinter sich lässt. Sie war geprägt vom ‚Arabischen Frühling‘, dem Entstehen von Organisationen wie dem IS und Al-Nusra und deren anschließender Niederlage. Diese Phase, die nun zu Ende geht, hat ohne Zweifel wichtige Konsequenzen mit sich gebracht.

Eine der grundlegendsten und wichtigsten Folgen: Die Auseinandersetzungen, die in Nordafrika ihren Anfang nahmen und sich später in Syrien und dem Irak verschärften, sind heute ausschlaggebend für die Neugestaltung des Mittleren Ostens und des globalen Systems. Das können wir zweifellos erkennen, wenn wir uns die Entwicklungen und deren Folgen in der Region genauer ansehen. In Tunesien kam es nach dem Volksaufstand zu einem Regierungswechsel, der nicht einmal innerhalb von Tunesien selbst zu tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen führte. Libyen wurde in einen Bürgerkrieg gestürzt, der wohl so bald kein Ende nehmen wird. In Ägypten führten die Aufstände weder zu einem demokratischen System, das die wirklichen Bedürfnisse der Menschen befriedigen kann, noch konnte ein Regime errichtet werden, das den Erwartungen der globalen Mächte entspricht. Das kurzweilige Projekt der Muslimbruderschaft konnte weder die Gesellschaft, noch die globalen Akteure zufrieden stellen. Daher kam es im Rahmen eines Putsches zur Restauration des Mubarak-Regimes. Auch in Syrien und dem Irak führte der Versuch ein neues System zu implementieren nur zur Vertiefung der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme. All diese Entwicklungen zeigten, dass die politischen, militärischen, ökonomischen und geostrategischen Ressourcen der Region nicht ausreichen, um die Systemkrise zu überwinden.

Eine zweite Folge der nun abgeschlossenen ersten Phase des Dritten Weltkrieges ist, dass es für die Fortführung des Krieges neuer Methoden und Werkzeuge bedarf. Der Beginn der ‚Handelskriege‘ steht zweifellos in direktem Zusammenhang damit. Dass parallel zum Beginn der ‚Handelskriege‘ die Akteure zunehmend auf den Einsatz von Proxy-Kräften verzichten und direkt mit eigenen Kräften in den Krieg eingreifen, ist kein Zufall. Vielmehr ergibt sich diese Notwendigkeit aus dem Verlauf der ersten Phase des Dritten Weltkrieges. Die dritte Folge dieser ersten Etappe ist die Verschiebung des Zentrums der Konflikte in der Region in Gebiete, die das Potential haben, die gesamte Region tiefgreifend zu verändern. Denn ohne eine Verschiebung in diese Gebiete würden die Formen der Auseinandersetzung sich nur wiederholen und in eine Sackgasse führen. Zudem wäre es unmöglich die Ordnung zu etablieren, das die globalen Akteure der Region aufzwingen möchten.

Die wichtigsten Charakteristika der zweiten Phase des Dritten Weltkrieges treten damit deutlich zu Tage. Der ‚Handelskrieg‘ und der verstärkte Einsatz eigener militärischer Kräfte der jeweiligen Akteure werden diese nächste Phase prägen. Der Stellvertreterkrieg mithilfe von Proxy-Kräften wird in den Hintergrund rücken. Zudem werden sich die Auseinandersetzungen in dieser nächsten Phase zunehmend in strategische Gebiete verlagern.

Wir sollten die ‚Handelskriege‘ nicht auf die leichte Schulter nehmen und sie vielmehr in Verbindung mit den inner-systemischen Konflikten und der Systemkrise betrachten. Die derzeitigen Entwicklung und die Politik der USA lassen sich nicht einfach mit der Persönlichkeit Donald Trumps erklären. Es handelt sich vielmehr um ein Projekt, das bereits vor der Machtergreifung der Republikaner umfassend vorbereitet und auf anderen Wegen begonnen wurde. Vieles weist darauf hin, dass sich die derzeitige Weltordnung in näherer Zukunft entscheidend verändern und sich das wirtschaftliche Zentrum Richtung Osten verschieben wird. Führt man sich die enge Verbindung von Macht und Kapital im Kapitalismus vor Augen, lässt sich auch eine hegemoniale Verschiebung von West nach Ost vorhersehen. Was als ‚Handelskriege‘ bezeichnet wird, stellt im Kern einen Krieg um Macht und Hegemonie dar: Das Kapital kann ohne Macht weder wachsen, noch kann es sich ausbreiten.

Das globale Kapital hat eine paradoxe Situation hervorgebracht, die sich anhand der USA gut konstatieren lässt. Dort können wir derzeit beobachten, wie sich nationalistische und isolationistische Tendenzen durchsetzen. Doch das sollte uns nicht weiter verwundern. Wie viele der Begriffe des Systems ist auch der Begriff der ‚Globalisierung‘ höchst irreführend. Mit diesem Begriff ist nicht gemeint, dass alle gleichberechtigt an den Ressourcen der Erde teilhaben können. Stattdessen steht die Globalisierung für das Monopol der hegemonialen Kraft bzw. Kräfte auf den Zugriff der weltweiten Ressourcen. Die oben beschriebene Haltung der USA ist dementsprechend ein Ausdruck für den Versuch, die eigene Position zu verteidigen, im Inneren Ordnung zu schaffen und im Rest der Welt die Wirtschafts- und Handelsbedingungen entsprechend der eigenen Interessen neu zu gestalten. Kurz gefasst: Die USA versucht, unter Einsatz der eigenen hegemonialen Macht die Welt neu zu ordnen und zwar so, dass die eigenen Interessen gewahrt bleiben. Interessant ist, dass Russland, China und sogar die EU aus unterschiedlichen Gründen die Auflösung der alten Ordnung durch die USA mit Argwohn betrachten. Denn der Status-Quo kommt ihnen allen auf die eine oder andere Art gelegen, während die USA sich durch ihn benachteiligt sehen.

Es liegt auf der Hand, dass die ‚Handelskriege‘ ohne eine Flankierung durch politische und militärische Mittel zu keinerlei Ergebnissen führen werden. Die USA unternimmt daher zahlreiche flankierende Offensiven, um ihre Hegemonie zu sichern. Die Stationierung eigener Truppen im Mittleren Osten, der Aufbau einer israelisch-arabischen Koalition gegen den Iran, aber auch die Forderung nach einem höheren finanziellen Beitrag der NATO-Partner können alle in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Die Drohungen und der diplomatische Druck der USA auf Nordkorea stellen ebenso einen Teil dieser politischen Phase dar.

Zweifellos bekommt die USA als Reaktion auf ihre Maßnahmen Gegenwind zu spüren. Insbesondere China und Russland reagieren auf die wirtschaftlichen Sanktionen mit Gegensanktionen. Sie schrecken auch vor dem Einsatz politischer und militärischer Mittel nicht zurück. Eine defensivere Reaktion würde einer Kapitulation ihrerseits gleich kommen, wodurch die USA und ihre Verbündeten darin bestärkt würden, die Welt ganz nach ihren eigenen Vorstellungen neu zu ordnen.

Auch wenn die Auseinandersetzungen in den verschiedensten Teilen des Mittleren Ostens den Status-Quo zu einem gewissen Grad ins Wanken gebracht haben, wurde dieser noch nicht wirklich aufgelöst. Dafür gibt es aus Sicht der regionalen und globalen Akteure verschiedene Gründe. Entscheidend ist, dass auf Basis der geostrategischen, politischen, militärischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Mittleren Ostens auf regionaler Ebene keine konkreten Ergebnisse herbeigeführt werden konnten. Hätten die regionalen demokratischen Kräfte die Möglichkeiten richtig erkannt, wäre in allen Teilen der Region der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft in Gang gesetzt worden. Doch weil die dortigen regionalen Kräfte nicht über die richtige Mentalität, Politik und Organisierung verfügten, konnten sie die entstandenen Möglichkeiten nicht nutzen. Als auch die globalen Mächte ihre eigentlichen Ziele nicht erreichen konnten, unterbanden sie jegliche Entstehungstendenzen demokratischer Optionen.

Entwicklungen, die Veränderungen in der gesamten Region bewirken können, sind nur im Rahmen von Umbrüchen im Iran und der Türkei möglich. Der Iran verfügt zwar über eine noch ältere Geschichte als die Türkei, doch beide Mächte teilen sich seit ca. 1000 Jahren die Hegemonie in der Region. Beide verfügen in ihren Einflussgebieten über starke konfessionelle, politische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen. Sie stellen die wichtigsten politischen, militärischen und ökonomischen Akteure der Region dar. Ohne sie lässt sich eine Veränderung des Mittleren Osten also nur schwer bewerkstelligen. Der Iran und die Türkei verfolgen zwar in taktischen Fragen und der Konkurrenz um die regionale Hegemonie jeweils eigene Interessen. Bezüglich der Frage nach einer Umgestaltung der Region, vertreten sie aber ähnliche Positionen. Ihre Weigerung, das kurdische Problem zu lösen und damit eine tiefgreifende regionale Veränderung herbeizuführen, ist ein Ausdruck für diese Haltung. Zweifellos schaffen es diese beiden Mächte nicht, nur mithilfe der eigenen Kräfte gegen die Neugestaltung der Region Widerstand zu leisten. Ohne die internationale Unterstützung würde keiner der beiden Akteure lange gegen die innenpolitische Opposition ankommen. Erst die internationalen Beziehungen und die Widersprüche innerhalb des globalen Systems ermöglichen der Türkei und dem Iran ihre widerspenstige Haltung.

Die Globalisierung des Kapitalismus hat ganz grundlegend den freien Kapital- und Warenverkehr zum Ziel. Höchste Priorität hat die Aufhebung entsprechender Hindernisse. Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus nahm die USA als Supermacht die Rolle des weltweiten Gendarmen ein, der den ungehinderten Verkehr von Kapital und Waren gewährleisten sollte. Aus diesem Anspruch heraus ergab sich die Notwendigkeit, die Eigenschaften der klassischen Nationalstaaten entsprechend neoliberaler Maßstäbe zu verändern. Die Führung nahm dabei die USA ein, flankiert durch zahlreiche internationale Abkommen. Mit dem Prozess der Globalisierung trat der weltweite Konkurrenzkampf der kapitalistischen Mächte an die Stelle des Kampfes um abgesteckte geographische Gebiete. China ging in diesem Rahmen in Fernost im Handelsbereich in die Offensive und erreichte einen beachtlichen Wirtschaftswachstum. Es gelang China sogar von internationalen Abkommen zu profitieren und bis in die Einflusssphären der USA einzudringen, wodurch diese sich deutlich gestört fühlte. So ergab es sich, dass die Verteidigerin des Neo-Liberalismus und die treibende Kraft hinter der Veränderung des Charakters der Nationalstaaten zu protektionistischen Maßnahmen griff, was in gewisser Hinsicht ein Paradox darstellt. Diese paradoxe Situation findet ihren Ausdruck darin, dass die USA bezüglich sich selbst und der von ihr kontrollierten Gebiete eine Haltung einnimmt, die ihrem Ziel einer Öffnung des Mittleren Ostens für den freien Kapital- und Warenverkehr widerspricht. Diese Situation verdeutlicht den neuen Charakter der globalen kapitalistischen Kräfte: Während sie einerseits alle Regionen der Welt für den freien Verkehr von Kapital und Waren zu öffnen versuchen, tun sie andererseits alles dafür, den Zugriff anderer Mächte auf die von ihnen kontrollierten Gebiete zu unterbinden. Wir werden aufgrund des Charakters des globalen Kapitalismus in der nächsten Zeit vermehrt derartige Situationen in verschiedenen Regionen der Welt beobachten können.

Die USA vertritt den Anspruch, als Supermacht des globalen Kapitalismus die Hegemonie über den Mittleren Osten zu erlangen. Sie versucht daher, die nationalstaatlichen Strukturen in der Region zu liberalisieren und sie auf diesem Weg dem Zugriff des Kapitalismus zu öffnen. Dies wird nicht ohne ökonomische und politische Folgen für das weltweite Gleichgewicht bleiben und zudem eine Verschärfung der inner-systemischen Kämpfe im Mittleren Osten mit sich bringen. Während die USA also eine protektionistische Politik verfolgt, gerät sie in Konflikte mit mittelöstlichen protektionistischen Akteuren, die sich gegen die Ausweitung des amerikanischen wirtschaftlichen und politischen Einflusses in der Region wehren. Russland und China, aber auch zahlreiche europäische Länder, unterstützen die Türkei und den Iran, um ein Gegengewicht zu den USA herzustellen und die eigenen Interessen zu verteidigen. Der Status-Quo gerät von oben durch die USA und von unten durch gesellschaftliche Oppositionsbewegungen zunehmend unter Druck. Diese Situation nutzen Mächte wie Russland oder die EU, um umfangreicher Zugeständnisse von der Türkei und dem Iran einzufordern und den Status-Quo aufrecht zu erhalten. Nichts anderes bedeutet die Absicht der EU, das Atom-Abkommen mit dem Iran fortzusetzen, oder das Spiel Russlands mit der ‚kurdischen Karte‘ gegenüber der Türkei. Auch die USA verzichtet nicht auf ihre Beziehungen zur Türkei, was beide Seiten in ernstzunehmende Konflikte miteinander bringt. Die USA unterstützen die Aufrechterhaltung des türkischen Regimes und bestärken die Status-Quo-Macht Türkei somit in ihrem rückwärtsgewandten Widerstand. Angesichts dieser Lage wird es unmöglich sein, tiefgreifende Veränderungen in der Region hervor zu rufen, ohne den Iran und die Türkei mit unterschiedlichsten Methoden ins Visier zu nehmen. Angriffe gegen die Türkei oder den Iran führen zu Konsequenzen, die weit über das jeweilige Land selbst hinausgehen. Unausweichlich wird es auch zu Folgen kommen, die sowohl das jeweils andere Land, als auch die Beziehungen der internationalen Mächte betreffen, die hinter dem iranischen und türkischen Regime stehen. Das wird zu einer Situation führen, die tiefgreifende Veränderungen in der Region mit sich bringt.

Es ist daher äußerst wichtig, bei der Bewertung der Lage im Mittleren Osten die Entwicklungen in einem bestimmten Land oder einem einzelnen Teil Kurdistans nicht isoliert zu betrachten. Jegliche Entwicklungen in der Region müssen in Verbindung mit der globalen Systemkrise und der weltpolitischen Lage betrachtet werden. Auch die Beziehungen von Ereignissen in einzelnen Teilen des Mittleren Ostens untereinander dürfen nicht vernachlässigt werden. Das Gleiche gilt für die enge Verwobenheit der Entwicklungen in den verschiedenen Teilen Kurdistans untereinander und mit den regionalen und globalen Entwicklungen.

Kurz gefasst, kann man sagen, dass wir in der derzeit beginnenden zweiten Phase des Dritten Weltkrieges folgende grundlegende Tendenzen beobachten werden:

  1. Das Zentrum der Auseinandersetzungen wird sich in Richtung des Irans und der Türkei verschieben.
  2. Die Proxy-Kräfte, mit deren Hilfe bisher Stellvertreterkriege geführt wurden, werden zunehmend durch das Militär der eigentlichen Mächte ersetzt.
  3. Die Intensität der Widersprüche, Auseinandersetzungen und Gewalt wird deutlich zunehmen.
  4. Es wird vermehrt zum Einsatz ökonomischer Druckmittel kommen.