Der Widerstand von Kobanê – eine Chronologie des Kampfes um die Stadt

worldkobanedayKobanê-Special anlässlich des Welt-Kobanê-Tages am 01. November, Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 24.10.2016

Liebe Leserinnen und Leser,

mit Beginn der militärischen Operation auf Mossul im Norden des Iraks ist der sogenannte Islamische Staat (IS) wieder in aller Munde. Doch die Art und Weise wie über den IS gesprochen wird, hat sich in den letzten zwei Jahren doch deutlich gewandelt. Denn als der IS im Juni 2014 die Kontrolle über die irakische Millionenmetropole Mosul kampflos übernahm, eilte der Terrorbande der Ruf der Unbesiegbarkeit voraus. Gepaart mit einer brutalen Terrorpropaganda, die der IS erfolgreich über die sozialen Medien über die gesamte Welt streute, gelang es den Islamisten sowohl im Irak als auch in Syrien eine Stadt nach der anderen einzunehmen. So wie die irakische Armee in Mossul vor dem IS floh, genauso flohen anschließend auch die Peshmerga-Einheiten in Shengal vor der Terrorbande und überließen die Bevölkerung ihrem eigenen Schicksal. Das hatte den Genozid der Êzîden zur Folge. Nur dem schnellen Einsatz der Verteidigungseinheiten aus Rojava und den Guerillakräften der PKK, die gemeinsam den Berg Shengal gegen den IS verteidigten und einen Korridor für die geschundene Bevölkerung freikämpften, war es zu verdanken, dass der Massenmord an den Êzîden durch den IS nicht noch dramatischere Ausmaß annahm. Und doch wurden tausende Zivilisten in Shengal durch den IS damals ermordet, unzählige Frauen und Kinder befinden sich immer noch in der Hand der IS-Terroristen.

Der IS schien beflügelt durch ihren grausamen Siegeszug in jenen Tagen. Und so hatte er sich im Norden Syriens ein neues Ziel auserkoren. Dieses Mal sollte mit den Waffen der irakischen Armee, die in Mossul erbeutet wurden, der endgültige Sturm auf den Kanton Kobanê in Rojava, also dem Norden Syriens erfolgen. Doch dieser Versuch scheiterte und mit ihm der Mythos der Unbesiegbarkeit des IS. Unvergessen in diesem Zusammenhang ist die weltweite Solidarität mit dem Widerstand von Kobanê, der am 01. November 2014 mit dem Welt-Kobanê Tag seinen Höhepunkt erreichte. Diese Solidarität und der heldenhafte Widerstand in der Stadt selbst ließen letztendlich der Internationale Koalition unter der Führung der USA keine andere Wahl, als von der Luft aus den Kampf gegen den IS in Kobanê zu unterstützen. Alles andere hätte ihre Glaubwürdigkeit im internationalen Kampf gegen den IS gleich null gesetzt.

Und so ist es der Widerstand von Kobanê gewesen, der den Anfangspunkt des langsamen Untergangs des „Kalifats des Schreckens“ gesetzt hat. Heute, Ende Oktober 2016, streiten die regionalen Kräfte des Mittleren Ostens darum, wer im Kampf gegen den IS die Hauptverantwortung tragen darf. Staaten wie die Türkei, die lange den IS unterstützt und gerade dadurch stark gemacht haben, wollen nun den IS bekämpfen, um in einer Ära nach dem IS ihren Einfluss in der Region vergrößern zu können. Der türkische Präsident Erdogan träumt sogar bereits davon, Teile des Territoriums, das derzeit noch unter der Kontrolle des IS steht, in ein zukünftiges türkisches Großreich einverleiben zu können. Und hierfür scheut er sich in Syrien und Rojava auch nicht davor zurück, gemeinsam mit islamistischen Gruppierungen zu agieren, die dem IS ideologisch in Nichts nachstehen. Doch warum sollte er sich davor auch scheuen, hat er doch den IS beim Kampf um Kobanê aktiv unterstützt und sich zum Mittäter am tausendfachen Tod an Unschuldigen gemacht, die dem IS zum Opfer fielen.

Doch während die Kämpfe im Mittleren Osten weitergehen, die Fronten immer weiter verwischen und der IS, unter Druck gesetzt, zu unzähligen Verzweiflungsattacken greift, die allesamt zum Scheitern verurteilt sind und dennoch seinen Untergang verlangsamen sollen, möchten wir anlässlich des anstehenden dritten Welt-Kobanê Tages einen Blick zurück auf diesen großen Widerstand werfen. In den folgenden Tagen werden wir bis zum 1. November in mehreren Teilen die Übersetzung einer Rückschau auf den Kobanê-Widerstand des Journalisten Sedat Sur, der die Verteidigung der Stadt miterlebt hat, mit euch teilen.

Wir wünschen euch bereits jetzt viel Spaß bei der Lektüre!