Dialog und Demokratie statt Instrumentalisierung und Kriminalisierung

mannheim6Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V.

»Es gibt kein richtiges Leben im falschen«, sagte Theodor W. Adorno und bringt die Situation der KurdInnen in Deutschland auf den Punkt. Viele werden sich fragen, was hat der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno mit KurdInnen und Mannheim zu tun? Vieles, behaupten wir … Auch Goethe hätte sich auf diese Art und Weise mit der kurdischen Frage beschäftigt. Denn auf die KurdInnen hört ja niemand, deswegen möchten wir diesmal mit Beispielen aus der deutschen Literatur unsere Perspektive darstellen.

Mit großem Entsetzen verfolgen wir als Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V., wie die deutsche Öffentlichkeit und die Medien die Auseinandersetzung am Rande des 20. Internationalen Kurdischen Kulturfestivals in Mannheim zum Anlass genommen haben, um über die KurdInnen zu diskutieren und zu berichten.

Noch am 11. September hatten wir mit einer Presseerklärung zu den Vorfällen beim 20. Internationalen Kurdischen Kulturfestival in Mannheim mit der Überschrift »Wie man Legitimation für weitere Repressalien erschafft …« darauf hingewiesen, dass die gesamte Debatte falsch geführt wird. Aber genau so, wie wir es geahnt hatten, verlief die Debatte auch im baden-württembergischen Landtag und es wurden mehr Konsequenzen und Verbote gefordert.

Ohne die kurdischen VertreterInnen wie z.?B. den Veranstalter Yek-Kom e.?V. zu hören oder zu Wort kommen zu lassen, wurde im Landtag am 26. September 2012 unter der hetzerischen Überschrift »Kurdenkrawalle in Mannheim – Polizei als Freiwild?« diskutiert. Dass verantwortungsbewusste LandespolitikerInnen im Parlament über den Fall diskutieren wollen, ist völlig nachvollziehbar. Aber ohne eine Stellungnahme der KurdInnen sollten diese nicht zum Anlass genommen werden, um Demokratie, Versammlungs- und Demonstrationsrecht einzuschränken. Dafür sollten die politischen EntscheidungsträgerInnen in der Lage sein, sowohl mit der Gesellschaft als auch mit den Betroffenen einen Dialog zu führen, um die Probleme zu beheben.

Aber es ist halt so, wie es ist oder wie man es haben möchte. Die Rechtfertigung des baden-württembergischen Landtagspräsidenten Guido Wolf (CDU), dass der Terminus »Kurdenkrawalle« in den Medien ein gängiger Begriff und bereits in Südwestpresse, Spiegel Online und Südkurier genannt worden sei, ist eine unverantwortliche Herangehensweise an die Problematik.

Genau an diesem Punkt spricht der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno mit seinem Wort »es gibt kein richtiges Leben im falschen« den KurdInnen aus der Seele. Also wenn man die Betroffenen nicht als Ansprechpartner wahrnehmen will, sollte man von Adorno lernen. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn mit falschen Ansätzen und mit Vorurteilen keine vernünftigen Ergebnisse erzielt werden. Und so ist es auch geschehen.

Es ist bedauerlich, dass auf dem Rücken der KurdInnen Parteipolitik betrieben wird und die zweitgrößte MigrantInnengruppe in Deutschland lediglich instrumentalisiert wird. Die Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann beanstandete die Debattenüberschrift. Diese diskreditiere die gesamte kurdische Volksgruppe, weil sie allen KurdInnen ein hohes Gewaltpotenzial unterstelle. Der Grünen-Politiker Sckerl attackierte die CDU mit den Worten: »Wir befinden uns im Landtag und nicht in den Redaktionsstuben eines Revolverblattes.« So wurde über eine Stunde hin und her diskutiert, ohne ein vernünftiges Resultat zu erzielen.

Die Mannheimer Polizei hingegen setzt auf »anonyme« Zeugenaussagen, die zur Untersuchung der Ausschreitungen herangezogen werden sollen. Weiterhin heißt es in den Medien: »Das Angebot richtet sich an Zeugen, die Angst haben, bedroht zu werden.« Meinen wir nicht alle, dass es hier ein wenig komisch wird? Wie will man ausschließen, dass »anonyme« Zeugen keine falschen, erfundenen oder »vorbestellten« Aussagen abgeben? Die 18-köpfige Ermittlungsgruppe, die Filmaufnahmen vom Krawall auswertet, ist unseres Erachtens ebenfalls problematisch und nicht akzeptabel. Da gerade die Polizei einen Teil der Gewalteskalation darstellte, kann es nicht zu einer unparteiischen Auswertung kommen. Es ist schwer einschätzbar, wohin all diese Debatten, Zeugenaussagen und polizeilichen Ermittlungen führen werden. In solchen Fällen sollte die Politik eingreifen und eine unparteiische Ermittlungsgruppe von PolitikerInnen, NGO-VertreterInnen, AkademikerInnen und kurdischen VertreterInnen zusammenrufen, um eine vertretbare Lösung und Aufklärung des Vorfalls zu finden.

Das Ganze sollte weder egalisiert noch als Negativbild in die Geschichte der öffentlichen Meinungsbildung eingehen. So wie Goethe damals in seinem Drama Faust I die Ignoranz beschrieb: »Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, Wenn hinten, weit, in der Türkei, Die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus, Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten; Dann kehrt man abends froh nach Haus, Und segnet Fried und Friedenszeiten.« Die KurdInnen, die hier in Deutschland leben, sind dieselben, die vor Krieg und Unterdrückung geflohen sind. Während die türkische Gesellschaft wegschaute, wurde auf die KurdInnen eingeschlagen, ihre Dörfer wurden niedergebrannt und mit deutschen Waffen wurde Staatsterror betrieben. Diese Menschen sind Opfer eines schmutzigen Krieges. Daher sollten doch Zehntausende von KurdInnen etwas sagen dürfen, oder ist das auch illegal?

Man sollte diesen Menschen zuhören, anstatt mit demütigender Gewaltrhetorik zu diskutieren. Warum reist eigentlich ein Kurde, eine Kurdin aus Italien, Frankreich, der Schweiz, Österreich nach Deutschland, um an einem Festival mit politischen Inhalten teilzunehmen? Sie wollen uns doch allen etwas vermitteln, und zwar, dass in ihrer Heimat undemokratische, unmenschliche Verhältnisse immer noch an der Tagesordnung sind. So wie der anhaltende Staatsterror des AKP-Regimes, mit dem die Bundesregierung eine strategische Partnerschaft unterhält und dessen Repression sie mit unterstützt. Die Verbots- und Kriminalisierungspolitik gegen KurdInnen beruht auf dieser strategischen Partnerschaft zwischen Bundes- und türkischer Regierung. Also dürfen wir nicht so tun, als bestände das ganze Problem lediglich aus den KurdInnen.

So bedankte sich Innenminister Reinhold Gall auch noch bei der türkischen Gemeinschaft in Mannheim und der Integrationsministerin Bilkay Öney für ihr vorbildliches Verhalten. Damit wird die Doppelmoral in der deutsch-türkischen Partnerschaft nicht nur im Krieg in Kurdistan, sondern auch in Deutschland bewusst demonstriert.

Statt Konsequenzen zu fordern und zu drohen, sollte die Politik mit Vernunft an die Sache herantreten und fragen: »Inwieweit dürfen unsere politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der Türkei unseren Umgang mit KurdInnen beeinflussen?« Diese Frage führt zwangsläufig zu der nächsten: »Wozu dient die Verbotspolitik gegenüber der PKK?«

Die KurdInnen sind hier in der Bundesrepublik Deutschland MitbürgerInnen und wollen ein vorurteilsfreies Zusammenleben. Aus der Presseerklärung von Yek-Kom e.?V. vom 8. Oktober sind die Forderungen der KurdInnen nach Dialog und Anerkennung ersichtlich. Diese Bemühungen sollten Gehör finden, wie im Falle der Stadt Mannheim und ihres Oberbürgermeisters Dr. Kurz geschehen. Diese Zusammenkunft aller Beteiligten sollte als Beispiel genommen werden, um mit kurdischen Organisationen sowohl auf Lokal- und Landes- als auch auf Bundesebene in Verbindung zu treten, um Probleme zu beheben und ein friedliches und vorurteilsfreies Zusammenleben zu fördern.

Ein kurdisches Sprichwort lautet: »Kî bixwaze bireqse, nabêje erd xwar e!« (dt: Wer tanzen will, wird nicht sagen, dass der Boden uneben ist!) Das heißt, wenn die PolitikerInnen im Landtag mehr Verbote fordern, ignorieren sie die Diskriminierung und die Einschränkungen der demokratischen Rechte der KurdInnen. Damit meinen wir, dass solche Debatten zu keinem vernünftigen Ergebnis führen und keinesfalls das Zusammenleben mit den kurdischen MitbürgerInnen fördern. Mit einer verantwortungsbewussten Herangehensweise sollten ihre Vereine, Verbände und Institutionen als Ansprechpartner anerkannt werden.

Wenn es um die Demokratie und den Abbau von Vorurteilen geht, betrifft es alle BürgerInnen. Dasselbe gilt auch für die Verbotspolitik. Die Geschichte ist hier für uns eine große Lehre. Daher appellieren wir an die Gesellschaft in Deutschland, ihre gewählten PolitikerInnen zu überzeugen, dass endlich eine Debatte zur Klärung der Frage, was das antidemokratische PKK-Verbot der deutschen Politik rechtfertigt, fällig ist. Es sind fast 20 Jahre her, dass ein PKK-Verbot verhängt wurde. Seitdem hat sich sowohl auf der Welt als auch bei KurdInnen und in Deutschland vieles verändert. Verblieben sind das Verbot und die Kriminalisierung ihrer Rechte, was zu einem erschwerten Leben der KurdInnen in Deutschland führt.

In der kurdischen Frage ist es an der Zeit, neue Wege und Methoden zu wagen, anstatt mit weiteren Konsequenzen und Verboten zu drohen. Neue Wege führen über Dialog und Anerkennung und nicht über Diskriminierung!

Genau an diesem Punkt möchten wir mitreden und uns einsetzen. Wir wagen es, neue Wege zu gehen. Dafür ist Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V. – bereit, Verantwortung zu übernehmen, um den Dialog auf allen Ebenen und mit allen KurdInnen herzustellen.

Unsere Zielsetzung ist die Förderung von Dialog, Respekt, Toleranz und Völkerverständigung sowie der Abbau von Vorurteilen unter allen Menschen.

Quelle: Kurdistan Report Nr. 164 November/Dezember 2012

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