Die Angeber-Politik

Der Journalist Fehim Taştekin über die diplomatischen Besuche des türkischen Außenministers im Iran und dem Irak, 26.08.2017

Unter dem Begriff der „Angeber”-Politik meine ich das „Kasımpaşa”-artige Auftreten türkischer Politiker auf internationalem Parkett – sowohl verbal als auch gestisch. Dies gilt insbesondere für die Zeit des „Arabischen Frühlings”, als die Regierung so tat als könne sie die Geschehnisse im Mittleren Osten lenken und somit all ihre Verbündete irritierte.

Die Themen, die als Anforderung oder Wünsche derjenigen, die der türkischen Diplomatie eine Richtung geben, werden mit Antworten wie “Mal schauen” bei Seite gelegt. Der Öffentlichkeit wird es aber so präsentiert, als hätte man eine Einigung. Noch wichtiger ist die Außenpolitik, die mittlerweile zum Spielball der Innenpolitik degradiert ist, bei der man Besprechungen auf wichtigen internationalen Ebenen in ihrem Sinn verzerrt darstellt.

Dieses Intro habe ich aus folgendem Grund gemacht: Die kritischen Besprechungen zwischen Ankara und Teheran, die Bagdad-Hewlêr-Besuche des türkischen Außenministers, der Amman-Besuch des türkischen Staatspräsidenten und die Ankara-Visite des US-Verteidigungsministers deuten auf eine frische Brise in der Außenpolitik. Doch sobald die Brise ein wenig an Fahrt bekommt, fühlt man sich in Ankara beflügelt.

Wenn die „Kasımpaşa Angeber-Politik“ auch außenpolitisch geprobt wird, führt dies unweigerlich zu Turbulenzen. Schockwellen sind manchmal nötig um Krisen zu überwinden. Aber weil die Regierung diese Wellen nicht unter Kontrolle bringen kann, muss sie ständig einen Rückzieher machen und zerstört auf diesem Weg das außenpolitische Ansehen der Republik Türkei.

Die jüngsten diplomatischen Ereignisse sind ein Versuch, Fehler der Außenpolitik wieder gut zu machen. Manche bezeichnen dies sogar als „auf Werkseinstellungen zurücksetzen“. Allerdings wurden die Häfen so sehr beschädigt – man weiß nicht wo das Schiff andocken soll.

Zwei der Gespräche vergangener Tage waren sehr kritisch: der iranische Generalstabchef war am 15. August zur Besprechung bezüglich der Themen Syrien, Irak und des Referendums in Südkurdistan in Ankara. Militärischen Besuch dieser Art gab es zuletzt vor 40 Jahren, was ihn erwähnenswert macht. Aber wichtiger ist, dass militärische Diplomatie in den Vordergrund tritt. Dies bedeutet, dass die direkten Ansprechpartner in Aktion sind und das besprechen, was normalerweise die zivile Administration tun sollte. Erdogan hat dies als „gemeinsame Operation gegen Terrororganisationen mit dem Iran“ bezeichnet. Jedoch verneinte der Iran dies.

Die Türkei verhandelt Idlib gegen eine Afrîn-Operation, um so Rojava und Nordsyrien einen tödlichen Schlag zu versetzen. Gleichzeitig versucht sie eine gemeinsame Operation auf Kandil und Şengal zu organisieren. Doch obwohl sowohl der Iran als auch der Irak gleiche Gefahren in Bezug auf die Kurden verspüren, haben die Staaten in Sachen Lösung der kurdischen Frage Differenzen. Der Iran weiß, dass ohne die Türkei eine Lösung in Syrien nicht einfach sein wird. Deswegen bewahrt er eine bestimmte, distanzierte Nähe. Eine Änderung in der Kurdenpolitik ist allerdings derzeit nicht abzusehen.

Der Iran und die PKK haben 2011 eine Waffenruhe vereinbart, damit beide sich auf den Syrien-Konflikt konzentrieren können. Wenn der Iran also den Krieg wieder aufnehmen würde, müssten alle Optionen in Syrien und dem Irak aufgebraucht sein. Davon kann  derzeit aber nicht die Rede sein. Natürlich kennt der Iran die „Türkei-Keule“ gegenüber der YPG, um die Zusammenarbeit mit den USA aufzukündigen und in Richtung Damaskus zu bewegen. Allerdings sind die Iraner sich auch dessen bewusst, dass es unumkehrbare Folgen haben wird, wenn man eine Operation startet, wie sie von der Türkei gefordert wird. Beispielsweise könnte der Irak in sich zerfallen und die USA wäre in Syrien dauerhaft präsent. Auch das syrische Regime hat es nicht nötig, die Sache mit den Kurden vorzuziehen. In Sachen Şengal hat der Iran nicht die gleichen Befürchtungen wie die Türkei. Daher muss man so genau hinsehen, was mit „Operation” bzw. „Maßnahmen“ der einzelnen Akteure gegen die PKK gemeint ist.

Die Regierung protzt, dass „in der Region ohne ihr Einverständnis nichts passieren könne“. Doch die gleiche türkische Regierung besuchte den Irak, inmitten der vielen Krisen. Obwohl man – laut Regierung – nicht auf Augenhöhe sei.

Regierungsnahe Medien sprachen davon, dass der Irak signalisierte auch dabei zu sein, wenn eine mögliche Iran-Türkei-Operation stattfindet. Als ob der Irak, der jetzt nicht einmal ganz Mossul unter Kontrolle hat, bis nach Kandil könnte!

Şengal wirkt zwar aus Sicht des Iraks machbar, aber es gibt keine Eile dort zu intervenieren. Die Milizen der Hashd al-Shaabi haben Regionen Şengals an die Kurden übergeben, nachdem sie von dem IS befreit wurden. Ohnehin ist die Einstellung des Iraks auf Şengal wichtiger. Während die südkurdische Regierung das Referendum auf der Tagesordnung hat, haben die politischen Kräfte in Şengal eine völlig andere. Dies kann von Vorteil für Bagdad sein. Şengal, das offiziell zu Mossul gehört, könnte sich der Regierung in Bagdad zuwenden. Das könnte auch begründen, warum Bagdad diejenigen Kräfte finanziert, die der südkurdischen Regierung ein Dorn in Auge sind.

Nach den Informationen, die ich kriegen konnte, ging der Besuch des türkischen Außenministers im Irak überwiegend um Şengal und um eine mögliche militärische Operation. Des Weiteren wurde das Referendum thematisiert. In der Regel stellt die türkische Seite ihrer Standpunkt mit „offenen“ und „unmissverständlichen“ Worten dar. Der Standpunkt der Gegenseite wird meist nicht thematisiert. Die Reaktionen irakischer Politiker soll aber wie folgt gewesen sein: „Nur dank dem Energiehandel mit euch sind die Kurden so erstarkt”.

Zweifelsohne sind sich die Iraker dessen bewusst, dass Kurdistan sich ab den 90’ern zu einer Eigenständigkeit hin entwickelt. Ausgenommen einiger Kreise findet ein unabhängiges Kurdistan eigentlich Akzeptanz. Aber viele sind auch der Meinung, dass ein unabhängiges Kurdistan zu jetzigem Zeitpunkt einen instabilen Irak zurücklassen wird. Und dann ist da noch die Frage „was“ alles unabhängig sein soll. Diese zwei Gründe lassen die Referendum-Gegner derzeit erstarken. Hinzu kommen die Reaktionen der Nachbarn, wobei der Iran größeren  Einfluss auf Südkurdistan hat und somit gelassener als die Türkei sein kann.

Auch in Sachen Başika hat sich die Einstellung der Seiten nicht geändert. Bagdad sieht dies noch immer als Hindernis guter Beziehungen. Die Türkei jedoch sieht dieses Camp als unverzichtbar solange die PKK in Şengal ist.

Zusammengefasst: Diplomatie ist gut, aber nicht die Quantität, sondern die Qualität der Gespräch ist ausschlaggebend. Jedoch ist die Regierung vielmehr hinter eigenen Befürchtungen her und mit dem eigenen Komplex beschäftigt. Es scheint so, als würde man das letzte bisschen Ansehen hierfür opfern.

Im Original ist die Analyse am 25.06.2017 unter dem Titel “Raconatif diplomasi” bei Gazete Duvar erschienen.