Die Entvölkerungspolitik Rojavas …

rojavaSelahattin Erdem, 26.08.2013

Der Exekutivrat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistan (KCK) hat in seiner letzten Erklärung die Bevölkerung von Rojava (Westkurdistan/Nordsyrien) dazu aufgerufen, nicht aus ihrer Heimat zu flüchten. Der Grund für diesen Aufruf ist die massenhafte Fluchtbewegung aus Rojava der letzten Zeit. Durch den Krieg in Syrien, der ohne jeglichen Regeln geführt wird, wird Rojava geradezu entvölkert.

 Die KCK erklärt diese Politik als Spiel, das gegen Rojava gespielt wird. Zunächst wurden gewisse bewaffnete Gruppen aufgebaut, unterstützt und gegen die Revolution und die Bevölkerung von Rojava gehetzt. Diese Angriffe werden gegenwärtig vor allem durch die Al-Nusra-Front durchgeführt. Einerseits greifen diese bewaffneten Banden die Bevölkerung an, verüben sogar Selbstmordanschläge und andererseits haben die AKP und die KDP ihre Grenzübergänge zu Rojava geschlossen und die Region einem wirtschaftlichen Embargo ausgesetzt. So wird durch die Angriffe Furcht und Schrecken in die Bevölkerung getragen und durch das Embargo zur Flucht getrieben. Die Flucht erscheint den Menschen als einziger Ausweg, auf dem sie dem Krieg und dem Hunger entgehen können. Und die AKP und die KDP befördern diese Fluchtbewegung.

Als der Präsident der Autonomen Region Kurdistans Mesud Barzani die Flüchtlinge aus Rojava in seiner Region besuchte, sagte er: „Das hier ist euer Haus. Hier könnt ihr solange bleiben, wie ihr möchtet.“ Diese Ansprache war ein Aufruf für die Flucht der Menschen aus Rojava. Genau in diese Phase fallen die Meldungen, dass in Damaskus chemische Waffen eingesetzt worden seien, was wiederum noch mehr Angst in der Bevölkerung schürt und sie noch mehr zur Flucht treibt.

Der Exekutivrat der KCK bewertet eben diese Situation als Spiel, das gegen Rojava gespielt wird. Und genau deswegen rufen die Kovorsitzenden des Exekutivrats die Bevölkerung zur Ruhe und Geduld auf. Die Menschen sollen nicht voreilig ihre Heimat verlassen.

Wenn wir die Situation ein wenig genauer unter die Lupe nehmen, verstehen wir, dass eine Reihe übler Spielen gespielt werden. Zunächst einmal ist die KDP darin involviert. Denn sie sorgt dafür, dass die Grenzübergänge für den Handel verschlossen bleiben und dadurch die Bevölkerung Rojavas ausgehungert wird. Sie unterstützt die Bevölkerung Rojavas auch nicht bei der Verteidigung gegen die Angriffe, die von allen Seiten gegen sie geführt wird. Zugleich öffnet sie die Grenzen einseitig und erklärt, „kommt hierher, das hier ist euer Land“. Sie tritt also offen für eine Entvölkerung Rojavas ein.

Die Haltung der AKP spiegelt ein noch viel tieferes und komplexeres Spiel wider. Sie hat zunächst einmal die Banden, die Rojava gegenwärtig angreifen, organisiert und mit Waffen ausgestattet. Sie hat für diese Banden ihre Grenzübergänge zu Syrien in Ceylanpinar geöffnet, damit diese sich problemlos über die Grenze bewegen können. Die Banden haben ihre Sitzungen in Antep und Istanbul, also auf türkischem Staatsgebiet, abgehalten. Kurz gesagt, die Banden, die Rojava angreifen, nähren sich vor allem in der Türkei. Zugleich unterstützt die Türkei das wirtschaftliche Embargo gegenüber Rojava und hält, außer für die bewaffneten Banden, die Grenze geschlossen.

Auf der anderen Seite unterstützt auch die Türkei die Fluchtbewegung der Bevölkerung aus Rojava. Sie schafft Möglichkeiten zur Flucht, nutzt hierbei auch verwandtschaftliche Bindungen der Menschen auf beiden Seiten der Grenze. Die Flüchtlinge verteilt sie über die gesamte Türkei bis nach Istanbul. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es für arabische Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei eigens eingerichtete Flüchtlingscamps gibt. Für die kurdischen Flüchtlinge hingegen gibt es diese nicht. Das Ziel der AKP bei dieser Politik ist offen ersichtlich. Sie will die Revolution in Rojava vernichten. Sie ist klipp und klar dagegen, dass die KurdInnen in Rojava einen politischen Status erlangen, sie ist gegen die kurdischen Errungenschaften in Syrien. Weil sie dieses Ziel nicht mit anderen Mitteln erreichen konnte, setzt sie nun auch auf diese Karte der Entvölkerungspolitik. Zweitens verteilt sie die Menschen aus Rojava über die gesamte Türkei, um sie zu assimilieren. Das ist eine bewusste Politik des kulturellen Genozids. Als ob die Assimilationspolitik, die sie gegen die Bevölkerung Nordkurdistans seit Jahrzehnten ausübt nicht ausreichen würde, will sie nun selbige Politik gegen die Flüchtlinge aus Rojava einsetzen.

Die AKP-Regierung und die KDP stecken also hinter diesen Spielen. Für ihre gegenwärtigen Ziele in Rojava betreiben sie also eine gemeinsame Politik.

Es sei daran erinnert, dass nach der Revolution in Rojava am 19. Juli 2012 eine Depesche des türkischen Außenministeriums an die türkische Botschaft in Hewler vom Winter letzten Jahres an die Presse gelangte. Alles, was jetzt passiert, stand eigentlich in jener Botschaft. Das Außenministerium der Türkei gab den Befehl, dass alles getan werden müsse, damit die KurdInnen in Syrien keinen politischen Status erlangen. Die KDP müsse gewarnt werden, ein Chaos müsse in Rojava geschaffen werden, die Bevölkerung müsse zur Flucht getrieben werden, für die Flüchtlinge müsse Südkurdistan und über Südkurdistan auch die Türkei als Zielland gestaltet werden … All das war bereits im oben genannten Befehl des türkischen Außenministeriums aus dem Winter letzten Jahres zu lesen.

Jetzt wird das alles in die Tat umgesetzt. Es ist offensichtlich, dass die Türkei also hinter dieser Massenflucht steckt, und dass auf diese Fluchtbewegungen Schritt für Schritt hingearbeitet wurde. Das ist also ein Vernichtungskonzept gegen die Revolution in Rojava. Und einige kurdische Gruppierungen, allen voran die KDP, lassen sich für solch ein Konzept instrumentalisieren.

Quelle: YÖP, 26.08.2013, ISKU

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