Die gewöhnliche Banalität der USA

Ferda Çetin, Yeni Özgür Politika, 22.07.2017

Eine Nachricht und ein Bild: Weil die eine Hälfte der Kuppel noch unbeschädigt ist, ist zu erkennen, dass es sich bei dieser Ruine um eine Moschee handelt. Rund um diese Ruine sind Häuser zu sehen, die ineinander gefallen sind. Unter dem Bild ist folgender tragisch komischer Titel zu lesen: Es wird an die Zeit nach dem Sieg in Mossul gedacht.

Der Weg, der zum „Sieg“ führte, begann am 18. Dezember 2010 mit der Selbstverbrennung des Tunesiers Muhammed Buazizi. Die Volksaufstände, welche in Tunesien begannen und dann nach Ägypten, Jemen, Algerien, Saudi Arabien, Jordanien, Marokko, Irak und Syrien überschwappten und somit den ganzen Mittleren Osten und Nordafrika umfassten, bereiteten den Weg zum „Sieg“. Die Aufstände forderten mehr Demokratie. Alle richteten sich gemeinsam gegen Korruption, autoritäre Regime, Arbeitslosigkeit und Armut.

Bis auf ein paar Ausnahmen, handelt es sich bei den Ländern, in denen es zu den Aufständen kam, um solche, welche nicht den Interessen ihrer Völker, sondern den Interessen der Großunternehmen dienten. Es handelt sich um autoritäre Staaten, die in der Regel ein gutes Verhältnis zu den USA pflegten und so etwas wie eine international reaktionäre Konföderation repräsentierten.

„Das schwächste Glied in der Kette“ rebellierte gegen das System auf und wollte die Veränderung der vorhandenen Herrschaften. Als sich im Mittleren Osten die Volksaufstände – gleich einem Domino-Effekt – verbreiteten, tauchte eine Organisation namens „IS“ (Islamischer Staat) auf. In kürzester Zeit hat diese Organisation ein Herrschaftsgebiet auf die Beine gestellt, das dem Gebiet vom Irak oder Syrien gleichkommt. Das Ergebnis des rasanten Anwachsens dieser Organisation war die größte Emigrationswelle des letzten Jahrhunderts. Millionen von Menschen mussten ihre Heimat aufgeben und verlassen.

Für die Beseitigung dieses scheinbar „unüberwindbaren“ Unheils, welches die gesamte Welt mit Angst verfolgt, bedarf es hierbei einer größeren Kraft. Immer dann, wenn die ehrhaften (!) Gründe für den Krieg wie internationale Sicherheit, Freiheit, gemeinsame Werte der Menschheit, Zivilisation, internationale Vorschriften auftauchten, so war die USA zur Opferbereitschaft (!) bereit.

Der Krieg brachte große Zerstörung mit sich und fügte der Menschheit unheilbare Wunden zu. Im Zuge der gemeinsamen Planungen zwischen der Türkei und dem IS begannen im August 2014 zeitgleich die Umzingelungen als auch Angriffe auf die Städte Şengal und Kobanê. Die Menschen in Şengal erlebten ein großes Genozid, die Stadt Kobanê wurde dem Erdboden gleichgemacht.

Die größten Leidtragenden dieses Krieges waren die Kurden, die sich weder beugten noch aushändigten. Im Namen der kurdischen Gesellschaft führten die HPG (Volksverteidigungskräfte), die YJA/STAR (Verband der freien Frauen – Star), die YPG (Volksverteidigungseinheiten) und die YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) einen heldenhaften Kampf. Denn die irakischen als auch die syrischen Streitkräfte konnten keine zwei Tage lang gegen den IS standhalten. Der IS erlitt seine erste Niederlage im nordsyrischen Serekanîyê. Später erlitt er weitere Niederlagen in Şengal und Kobanê. Infolge des militärischen Siegs über den IS in Şengal, Kobanê, Kirkuk, Rojava und Syrien, begannen sich die Gegner des IS zu organisieren und zu kämpfen.

Am 11. Juli fand in den USA die Konferenz mit dem Titel „Was passiert nachdem IS?“ statt, an dem Vertreter aus 70 Ländern teilnahmen. Zur Konferenz wurden Staaten wie die Türkei eingeladen, die den IS direkt unterstützen. Die kurdischen Vertreter, die gegen den IS kämpfen und bislang tausende Opfer zu beklagen hatten, wurden nicht eingeladen.

Zur selben Zeit fand in der Vorreiterrolle der USA die siebte Friedenskonferenz in Genf statt, an der auch die syrische Opposition beteiligt war. Hierbei wurden keine nennenswerten Entscheidungen getroffen. An dieser Konferenz waren wieder Akteure beteiligt, die über keine Macht, Einfluss und öffentliche Unterstützung innerhalb Syriens genießen. Unzählige Splittergruppen ohne gesellschaftliche Basis in Syrien wurden eingeladen, außer dem wichtigsten politischen Akteur in Syrien, der PYD (Partei der demokratischen Einheit).

Denn die USA bringen immer wieder neue Ausreden vor und halten die kurdische Gesellschaft mit Versprechen für die Zukunft hin. Es handelt sich hierbei um eine Politik, die darauf ausgerichtet ist, die PYD vor der Weltöffentlichkeit und auf offiziellen Plattformen bezüglich ihrer Legitimation in eine zwiespältige Rolle zu bringen. Mit Besuchen der Kämpfer und Kämpferinnen vor Ort und Waffenlieferungen versucht die USA ihre Hinterlistigkeit zu vertuschen.

Anhand der Politik der USA gegenüber den Kurden in Syrien und Irak wird klar, dass die letztgenannten nicht als Demokratie stiftenden Akteure anerkannt werden. Die Kurden sind für die USA nur dann gute Kämpfer und Kämpferinnen bzw. furchtlose und mutige Kriegsverbündete, wenn sie fortwährend kämpfen. Die Politik der USA, die PYD nicht anzuerkennen und sie auszublenden, ist eine Politik zur Trivialisierung der von den Kurden aufgebauten Lebens- und Regierungsformen.

Die YPG/YPJ und SDF (Demokratische Kräfte Syriens), welche gegen den IS ankämpfen, haben mit tausenden Toten als auch tausenden Verletzten bis dato einen großen Preis bezahlt. Es handelt sich um eine ernstzunehmende militärische Kraft, die dabei ist die Hauptstadt des IS, sprich die Stadt Rakka zurückzuerobern. Diese militärische Kraft ist eine für diesen Krieg organisierte Kraft, eine Volksverteidigungskraft, welche nach dem Krieg für die Sicherheit der Bevölkerung zuständig und verantwortlich sein wird.

Der politische Wille hingegen ist die Demokratische Föderation Nordsyrien, die autonomen Selbstverwaltungen und die PYD. Genau diesen Willen erkennt die USA nicht an. Die USA nimmt als Ansprechpartner die Türkei wahr, die diesen Krieg mitverursachte und verschiedene Banden in Syrien unterstützt. Zudem nimmt sie Banden wahr, die überhaupt keinen Einfluss haben und diverse Kriegsverbrechen zu verantworten haben. Wieso werden die offiziellen Vertreter der Kurden nicht anerkannt?

Derek Chollet, ehemals für das Pentagon zuständig, ließ verlautbaren, dass die USA für die Zeit nachdem gemeinsamen Kampf über keine Strategie verfüge, die sie mit ihren Verbündeten aus Europa und Mittelost teilen könnte. Chollet erklärte weiter: „Es gab keinen Zweifel daran, dass dem IS ein militärischer Schlag versetzt werde. Aber wir wussten alle, dass das eigentlich wichtige, die Zeit nach dem IS darstellt. Nun sind wir an diesem Zeitpunkt angelangt. Die jetzige Regierung war im Grunde damit beschäftigt die fortwährende Strategie gegen den IS hautnah mit zu verfolgen. Hier müssen wir einsehen, dass es für die Zeit nach dem bewaffneten Konflikt keine vorzugebende Strategie gibt.“

Während sich der Krieg dem Ende naht, beantwortet diese drängende Frage ein anderer Amerikaner mit aller Klarheit.

Im Original ist die Kolumne am 17.07.2017 unter dem Titel “ABD’nin sıradan bayağılıkları” in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika erschienen.