Die mobilen Dschihadisten und unser neuer Nachbar Afghanistan

Cüneyt Özdemir* / Journalist und Kolumnist, 04.08.2013

Diejenigen die der türkischen Außenpolitik eine sunnitisch-religiöse Prägung verpasst haben, sind bemüht, die mobilen Dschihadisten zu übersehen, die im Moment ein Massaker in Rojava (Westkurdistan/Nordsyrien) verüben. Der Preis für das wegsehen wird unermesslich sein.

Um das aktuell stattfindende Massaker in Rojava, direkt an unserer Grenze, besser verstehen zu können ist es von Nöten ein Bild genauer zu betrachten. Denn dieses Bild allein reicht dafür aus, um uns zu erklären, wer nur 50 Meter entfernt von unserer Grenze auf der Seite von Rojava Krieg gegen die Kurden führt. Dieses Bild stellt Ebu Musab in der Hand mit einer Kalaschnikow und einem schwarzer Baskenmütze dar.

Aufgrund seiner Ausrüstung mit der Kalaschnikow und der Schutzweste ist es offenkundig, dass es sich hierbei um einen Krieger handelt. Seine dunkelblonden Haare und heller Teint widersprechen eher, trotz des extrem langen Vollbarts, der Erscheinung eines Syrers (allg. Arabers). Es wirkt eher so, als wenn es sich bei ihm um einen Slaven oder Nordländer handelt. Der Name Ebu Musab passt auch nicht ganz zu dieser Erscheinung.

Nach kurzer Recherche findet man sehr leicht heraus, dass es sich hierbei um ein Pseudonym handelt. Der wahre Ebu Musab stammt aus Allepo, mit vollem Namen Ebu Musab el Suri und ist weltweit allen Geheimdiensten, allen voran dem CIA und selbstverständlich auch der al-Qaida eine bestens bekannte Persönlichkeit. Dieser konnte 1982 vor dem Massaker der syrischen Armee in Hama nach Spanien fliehen. Er hat 1987 in Afghanistan in den Reihen der al-Qaida gegen die Sowjets gekämpft. Sein 1700 Seiten umfassendes Buch „El Mukavame“ ist eine Inspirationsquelle für den internationalen Dschihad. Er wurde 2005 in der pakistanischen Garnisonsstadt Rawalpindi gefasst und an Syrien überstellt. Es wird behauptet, dass er immer noch in Syrien in Haft sitzt.

Unser auf dem Bild abgelichteter tschetschenischer -„Held“ scheint von den Ideen und dem Wirken des wahren Ebu Musab der Art beeindruckt und beeinflusst zu sein, dass er sich dieses Pseudonym gegeben hat. Im Moment hat er sich zum Gebieter (Emir) über ein klammheimlich proklamiertes islamisches Emirat, direkt an unserer Grenze, erklärt.

Ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Namen dieses Emirats gehört haben. Es heißt „Islamischer Staat Irak und das Emirat Damaskus“. Letzte Woche ist eben dieser tschetschenische Ebu Musab im vom Kurdischen Hohen Rat kontrollierten Gebiet in Gefangenschaft geraten. Er ist zugleich auch Kommandeur der Al-Nusra-Front, welcher der syrische al-Qaida-Ableger ist. Diese Gruppierung mit direkten Verbindungen zur Freien Syrischen Armee (FSA) ist die innerhalb der Opposition am stärksten umstrittene bewaffnete Gruppe. Er wurde im Austausch für 300 bis 400 ZivilistInnen, die von der Al-Nusar-Front verschleppt wurden, frei gelassen. Hinter dem Massaker in Rojava steckt eben dieser „Held“.

Dieser Ebu Musab und tausende weiterer mobile Dschihadisten, die innerhalb der FSA gegen Assad kämpfen, sind mit Sicherheit fast alle über die Türkei nach Syrien eingereist.

Er ist nur einer von vielen, die gerade in Syrien in Namen des Dschihads kämpfen, ähnlich wie zuvor in Afghanistan, Bosnien, Pakistan oder Libyen.

Sie werden sich vielleicht daran erinnern, dass ich vor einigen Monaten hier einen Kommentar mit dem Titel „Lassen Sie uns die Freie Syrische Armee aus der Nähe kennen lernen“ verfasst hatte, indem ich Ihnen die „Ebu Musabs“ von damals, welche gerade in luxuriösen Hotels Tagungen abhielten, einzeln vorstellen versuchte. Ich wollte auf diese mobilen Dschihadisten hinweisen, die damals wie Befreier bzw. Erlöser betrachtet wurden. Inzwischen haben wir, die Türkei, einen neuen Nachbarn an unserer Grenze.

Syrien ist untergegangen und Afghanistan ist proklamiert worden.

Aus aller Welt strömen die mobilen Dschihadisten im Traum vereint, dass das zukünftige Syrien durch die Scharia regiert wird, in dieses unkontrollierte Gebiet.

Mir wundert hierbei, dass weltweit mit großer Sorge die Entwicklungen beobachtet werden und die türkischen Medien außer der Radikal so gut wie gar nicht über diesen Sachverhalt berichten.

Die mobilen Dschihadisten werden durch eine unsichtbare Hand stur und bewusst übersehen. Es ist ja nicht so, dass wir sie nicht sehen können, denn es ist gar entschlüsselt in welchen Istanbuler Hotels sie für die Weiterreise unterkommen. Da die Entwicklungen sich direkt an unserer Grenze abspielen kann man davon ausgehen, dass unsere Geheimdienste jeden Einzelnen beim Namen ermittelt haben. Die Frage ist nur, ob sie denn diese mobilen Dschihadistend denn wirklich, wie sie wohl glauben, unter Kontrolle haben. Eben dieser Aspekt beunruhigt mich zu tiefst.

Ich bin den mobilen Dschihadisten das erste Mal 1997 in Afghanistan begegnet. Hierbei war Kabul erst zwei Tage zuvor in die Hand der Taliban gefallen. Die vollbärtigen mobilen Dschihadisten freuten sich gerade über die Befreiung einer Stadt zu der sie gar nicht gehörten. Sie wirkten damals gar nicht so als wenn sie in der Lage wären 2001 die USA im Herzen zu treffen. Die al-Qaida, welche durch den saudischen Geheimdienst genährt, dem CIA unterstützt und dem pakistanischen Geheimdienst ISI kontrolliert wurde, hat all diese Dienste und ihre Regierungen bloß gestellt. Sie alle hatten sich mit ihrer Einschätzung zur al-Qaida geirrt.

Nun gilt es das Bildnis von Ebu Musab erneut zu betrachten, dieses Mal genauer.

Der al-Qaida-Ableger die Al-Nusra-Front begrenzt ihren Krieg nicht nur auf die Bekämpfung des Assads-Regimes sondern vermehrt auch gegen die säkularen Kurden. Diese Tatsache ist ein extrem wichtiger Hinweis in Bezug auf die Zukunft der Türkei. Die Türkei verharrt weiterhin in ihrer paranoiden Kurdenpolitik und erkennt nicht ein Mal, dass sich ein neuer Krieg abzeichnet, nur dies Mal hat er eine andere Farbe.

Diejenigen die der türkischen Außenpolitik eine sunnitisch-religiöse Prägung verpasst haben, sind bemüht die mobilen Dschihadisten zu übersehen, die im Moment ein Massaker in Rojava (Westkurdistan-Nordsyrien) verüben. Der Preis für das wegsehen wird unermesslich sein.

Verzeihung im Allgemeinen war es ja so, dass wir stets den Preis dafür zahlen.

 

*Cüneyt Özdemir ist Journalist beim TV Sender CNNTurk und Kolumnist der linksliberalen Tageszeitung Radikal in der Türkei.

Quelle: Radikal, 04.08.2013, ISKU

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