Die politische Verantwortung der KCK-Operationen

erdogan-gulDer Ökonom, Journalist und Verleger Prof. Dr. Ahmet Insel* schreibt in seiner Kolumne über die seit mehr als drei Jahren andauernden KCK-Operationen, bei denen mehr als 8 000 kurdische AktivistenInnen inhaftiert wurden, dass „die politische Verantwortung für die KCK-Operationen und die in seinem Schatten durchgeführten zu einem Staatsterror verkommenden Repressions- und Unterdrückungsoperationen allein bei der AKP-Regierung liegt“.

Ahmet Insel / 26.06.2012, Radikal

In einer Phase, in der die Reformpakete über die Strafgerichtsbarkeit von einem Tag auf den anderen verschoben werden, das Geflüster von einem Ohr ins andere wandert, dass die Regierung durch die Berufungen in das Richteramt, die Gerichte nach den eigenen Vorstellungen gestaltet, dauern die sehr umfangreichen Repressions- und Unterdrückungsmaßnahmen, die dem Anschein nach genauestens durchgeplant sind, an.

Im Zentrum dieser Kampagnen stehen die aus drei Strängen geführten KCK-Operationen. Es werden auch andere linke Gruppierungen, oppositionelle Organisationen, Bündnisse oder lose Netzwerke Gegenstand der Maßnahmen. In den meisten Fällen könnten die absurden Anschuldigungen aus einer Erzählung des [prominenten türkischen Schriftstellers] Aziz Nesin stammen, Beschuldigungen ohne Anhaltspunkte, Menschen werden bei den Vernehmungen durch Polizei und der Staatsanwälte zu Opfer von gerissenen Erfindungen. Aber dies ist keine Boulevardkomödie. Die Menschen sind Gegenstand einer sich immer weiter ausweitenden und entfesselten Repressions- und Unterdrückungskampagne.

Der erste Strang der KCK-Operationen ist gegen die BDP als Partei gerichtet. Durch die Verhaftungen soll eine Lähmung in der Partei erreicht werden. BürgermeisterInnen, lokale Parteiverantwortliche, Stadtabgeordnete und AktivistInnen sind Ziel dieser Maßnahmen. Von dem Rausch der Verhaftungen ist keine einzige lokale Führung der BDP unberührt geblieben. Die fortschrittliche Demokratie bevorzugt, anstelle der Schließung [dem Verbot] der Partei, eine Partei ohne Führung, ja sogar ohne Menschen. Diese neue Methodik scheint besser zu greifen, als die Partei zu verbieten. Vorher konnte, wenn eine Partei verboten wurde, mit einer neuen Partei weiter gemacht werden, mittlerweile sind alle lokalen PolitikerInnen verhaftet. Auch die, die anstelle dieser kommen werden, werden verhaftet – eine Partei wie ein leerer Briefumschlag –, erlaubt, aber eine entleerte Partei. Uns steht eine charakteristische Fiktion der türkischen politischen Tradition gegenüber. Im Parlament ist eine Partei mit einer Fraktion vertreten, handelt es sich um eine „große Frage der Nation“, dann ist der Ministerpräsident bereit sich mit den Co-Parteivorsitzenden zu treffen. Doch fast die gesamten Führungskräfte der Partei sind im Gefängnis! Diese Tatsache jemanden zu erklären, der oder die nicht in der Türkei geboren und aufgewachsen ist, scheint mir ein nicht einfaches Unterfangen zu sein.

Der zweite Strang der KCK-Operationen ist gegen die Gewerkschaften gerichtet. Die neue Welle hat die zentrale Führung des [Gewerkschaftsdachverbandes des öffentlichen Dienstes] KESK und die [Bildungsgewerkschaft] Egitim-Sen und damit die unter dieser Konföderation organisierten Gewerkschaften zum Ziel. Zuerst wurden bei der Egitim-Sen vor allem die kurdisch-stämmigen GewerkschaftlerInnen zum Ziel. Danach wurden die, die im Gesundheitsbereich arbeiten und organisiert sind, SES zum Ziel. Jetzt wird über den Generalvorsitzenden der KESK die ganze Konföderation zum Ziel genommen. Hier wird der Versuch unternommen, mit einem Stein mehrere Vögel zu erwischen.
Einerseits soll die kurdische politische Aktivität in den Gewerkschaften unterbunden werden und andererseits sollen die Gewerkschaften, die noch immer ihre Stimme gegen die Regierungspolitik erheben und Widerstand leisten sowie die Arbeiter, die im öffentlichen Sektor organisiert sind, vernichtet werden. Neben dem Versuch, die Arbeit der KurdInnen im legalen Bereich bei Parteien, Gewerkschaften, Vereinen, oder bei der Organisierung mit den anderen Völker der Türkei zu unterbinden, soll die KESK nun in Verruf geraten, die Mitglieder sollen abgeschreckt, eine Fluktuation der Mitglieder zu den anderen Gewerkschaften soll gefördert werden. Somit ist dies eine Operation gegen die Gewerkschaften.

Der dritte Strang der KCK-Operationen hat den Demokratischen Kongress der Völker (Halkin Demokratik Kongresi – HDK) zum Ziel. Letzten Herbst wurden die ersten Schritte dieser Operationen gegen diejenigen, die außerhalb der kurdischen politischen Ebene aktiv sind und innerhalb des HDK organisiert sind, durchgeführt. Die Sozialistisch Demokratische Partei [SDP] stand an erster Stelle. Viele ihrer Mitglieder sind noch immer inhaftiert. Jetzt werden in dieselbe Richtung die Operationen ausweitet, die VertreterInnen der Sozialistischen Partei der Unterdrückten [ESP] innerhalb des HDK werden festgenommen. Somit sind die kleinen und großen politischen Organisationen innerhalb des HDK verstimmt, weil sie sich sagen „Wir sind als nächstes dran“. Sie werden in eine reine Verteidigungsposition gedrängt. Die Organisationen oder Netzwerke, die eine Verteidigung aufbauen oder zu einer Verteidigungsposition gezwungen werden, sollen mit ihrer politischen Arbeit auf die Proteste vor den Toren der Gefängnisse und der Gerichte beschränkt und somit ohne Wirkung bleiben. Dieses Unterfangen stellt einen Teil einer hinterhältigen Falle dar. Gleichzeitig soll der HDK, der bei den Kommunalwahlen einen breiten Zusammenschluss der Organisationen und Netzwerke zum Ziel hat, in Verruf geraten und neutralisiert werden.

Es ist unmöglich, dass diese Operationen nur in den Köpfen der Geheimdienste und der Staatsanwaltschaft Gestalt annehmen, ohne Wissen und Zustimmung der Regierung können diese Operationen nicht durchgeführt werden. Bei einer demokratischen Ordnung hat die politische Verantwortung weder die Polizei, die Staatsanwaltschaft noch das Richteramt. Die wirklichen politischen Verantwortlichen sind die gewällten Verantwortlichen, der Ministerpräsident und die Mitglieder der Regierung. Die politische Verantwortung der KCK-Operationen und die in seinem Schatten durchgeführten zu einem Staatsterror verkommenden Repressions- und Unterdrückungsoperationen liegt allein bei der Regierung. Sollte es nicht so sein, dann heißt es, dass die Situation undefinierbar grausamer ist.

Zum Autor:
Ahmet Insel, Ökonom, Journalist und Verleger. Er hat eine Professur in Paris und in Istanbul/Galatasaray, schreibt wöchentlich für die linksliberale Tageszeitung Radikal, arbeitet für die Zeitschrift „Birikim“ und leitet den Verlag Iletisim. Indem er aktuelle ökonomische Erkenntnisse in Frage stellt und die neuen Herrschaftsformen analysiert

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