»Die Repression geht unvermindert weiter«

kurdistan-iranIrans Präsident Rohani hatte vor der Wahl viele Versprechungen gemacht. Bisher ist nichts geschehen. Ein Gespräch mit Révar Awdanan
Interview: Martin Dolzer, Südkurdistan, 02.09.2013 

Révar Awdanan ist Mitglied des Vorstandes der »Partei des freien Lebens in Kurdistan« (Partiya Jiyane Azadiye Kurdistan, PJAK)

(…) Aufgrund jahrzehntelanger Unterdrückung liegt sämtliche Oppositionsarbeit brach. Die linken und sozialistischen Parteien haben ihre Arbeit weitgehend eingestellt oder sind ins Exil gegangen – in den Irak oder nach Europa. Die Versammlungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Vereinigungsrecht sind faktisch ausgehebelt. Alle Bevölkerungsgruppen sind davon betroffen. (…)

Wie ist zur Zeit die Lage der Kurden im Iran?

Seit der Staatsgründung betreiben die iranischen Regimes eine antikurdische Politik. Die Zeit unter dem bis zum 3. August dieses Jahres amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war eine der schlimmsten: Es gab viele Hinrichtungen, Inhaftierungen und Folter. Nach dem Regierungswechsel ist die Ausrichtung seines Nachfolgers Hassan Rohani noch nicht klar. Die Repression geht jedenfalls unvermindert weiter.

Rohani hat allerdings bezüglich der Rechte der Kurden und weiterer Bevölkerungsgruppen im Wahlkampf viele Versprechungen gemacht. Wenn er diese einhält, könnte es zu einer Demokratisierung des Landes kommen.

Wie viele kurdische politische Gefangene gibt es zur Zeit?

Schwer zu sagen. Aufgrund jahrzehntelanger Unterdrückung liegt sämtliche Oppositionsarbeit brach. Die linken und sozialistischen Parteien haben ihre Arbeit weitgehend eingestellt oder sind ins Exil gegangen – in den Irak oder nach Europa. Die Versammlungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Vereinigungsrecht sind faktisch ausgehebelt. Alle Bevölkerungsgruppen sind davon betroffen.

Die kurdische PJAK ist zur Zeit die einzige relevante Oppositionskraft. Sie hat eine Guerilla in den Bergen und betreibt illegale politische Arbeit in den Städten und Dörfern, weil man im Iran keine legalen Strukturen aufbauen kann. Wir haben deshalb keine Möglichkeit, die Festnahmen und die Situation in den Gefängnissen zu dokumentieren. Wir wissen von 17 kurdischen Gefangenen, denen die Hinrichtung droht. Folter ist in den Gefängnissen alltäglich, einige der Gefangenen wurden dabei lebensgefährlich verletzt.

Wie stark wirkt das Militär in die iranische Innenpolitik hinein?

Das politische Zentrum im Iran ist der religiöse Führer Ali-Khamenei, das Militär hat allerdings große ökonomische Macht. Zur Zeit gibt es zwischen Militär und Religionsrat eine Auseinandersetzung um die Vorherrschaft.

In einer solchen Situation ist die politische Arbeit sicherlich nicht einfach. Welche Projekte hat die PJAK?

Die »Partei des freien Lebens in Kurdistan« (PJAK) ist den Ideen des in der Türkei inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan und seinem Projekt der »Demokratischen Autonomie« verbunden. Dessen Ziel ist es, auf der Grundlage gewachsener kommunaler Strukturen eine basisdemokratische Organisierung der Bevölkerung aufzubauen. Die Befreiung der Frau und der Jugend sowie das friedliche und demokratische Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen steht dabei im Zentrum. Jeder Mensch soll an demokratischen Prozessen beteiligt werden – nicht nur die ins Parlament gewählten Abgeordneten.

Die Frauen werden im Iran stark unterdrückt. Erst kürzlich noch haben sich drei Frauen angezündet, die der Xoresan-Religion angehören; sie hielten die mehrfache Unterdrückung nicht aus. Es kommt auch immer wieder zu Steinigungen. Die PJAK hat eine eigene Frauenbewegung und Frauenguerilla, wir lösen die Frauen aus häuslicher und staatlicher Unterdrückung heraus. Mit ihrem Selbstbewußtsein geben sie der gesamten PJAK wichtige Impulse.

Gibt es zur Zeit bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der PJAK?

Nein, wir befinden uns gerade in einem Waffenstillstand. 2011 hatte die Armee versucht, im Rahmen einer Großoffensive gemeinsam mit der türkischen Armee in die Kandilberge einzudringen, wo die PJAK eine Region kontrolliert. Trotz ungezählter Luftangriffe haben wir diese Offensive zurückgeschlagen, wir hatten nur geringe Verluste. Nun hoffen wir im Iran auf eine friedliche Lösung der kurdischen Frage und erarbeiten einen Dialogvorschlag an die Regierung. Wenn sie sich entscheidet, die Rechte aller Bevölkerungsgruppen zu respektieren, kann aus diesem Land eine stabile Demokratie werden. Tut sie das nicht, wird sich die Bevölkerung über kurz oder lang erheben. Ein großes Risiko ist eine Intervention von außen. Das ist für uns eine inakzeptable Lösung, die das ganze Land ins Chaos stürzen würde. Die Bevölkerung muß die Demokratie selbst entwickeln.

Quelle: Junge Welt

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