Die Rolle Öcalans in Friedensverhandlungen

Internationale Initiative „Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan“

Wenn über eine friedliche Verhandlungslösung für die kurdische Frage in der Türkei diskutiert wird, fällt zumeist ein Name: Abdullah Öcalan. Warum ist das so? welche Rolle hat er in den bisherigen Verhandlungen gespielt und welche Rolle wird er in Zukunft spielen? Um diese Fragen zu klären, müssten wir zunächst einige Jahre zurück gehen.

Die Vorgeschichte

Bereits nach wenigen Jahren des bewaffneten Kampfes reifte in der PKK die Erkenntnis heran, dass ein militärischer Sieg gegen die türkische Armee (wie es den Viet-Kong in Vietnam gegen die US-Armee noch gelungen war) nicht möglich ist. Daher wurde bereits Anfang der 1990er Jahre formuliert, dass es letztlich eine Verhandlungslösung geben müsse. Konsequent richtete Öcalan damals Gesprächsangebote an den türkischen Staat, auf die als erster der damalige Staatspräsidenten Turgut Özal reagierte.

Celal Talabani vermittelte einen einseitigen Waffenstillstand der PKK. Im Gegenzug dazu signalisierte Özal, dass er für radikale neue Ansätze in der Kurdenpolitik bereit ist.

Sein plötzlicher, höchstwahrscheinlich unnatürlicher Tod und ein provokativer Angriff einer von Şemdin Sakık kommandierten Guerillaeinheit, bei der 33 unbewaffnete Rekruten der türkischen Armee getötet wurden, markierten das schnelle Ende dieser viel versprechenden Phase und den Beginn des „totalen Kriegs“ (Tansu Çiller) mit staatlichen Todesschwadronen, Dorfzerstörungen bis hin zur Bombardierung von Städten und endemischer Folter.

Die 1990er Jahre hindurch erneuerte Öcalan immer wieder seine Verhandlungsangebote, die auf Seiten des türkischen Staates jedoch auf taube Ohren stießen. Seine andauernde Suche nach einem Ansprechpartner gab damals sogar einem Buch seinen Titel: „Bir muhatap arıyorum“ (Zu Deutsch: Ich suche einen Gesprächspartner). Weiterhin gab es verschiedene Kontakte und einen weiteren einseitigen Waffenstillstand der PKK, die jedoch alle nicht in einen Verhandlungsprozess mündeten.

1997 begann eine weitere Phase indirekter Kontakte zwischen der Armee und der Bewegung. Die indirekten Gespräche führten zum Waffenstillstand vom 1. September 1998, der von Öcalan trotz seiner Entführung am 15. Februar 1999 aufrecht erhalten wurde. Im Gefängnis intensivierte er sogar seine Friedensbemühungen und versuchte, jede sich bietende Möglichkeit zu nutzen, die kurdische und die türkische Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einer politischen Lösung zu überzeugen. Dieses Motiv zieht sich konsequent durch die mehr als ein Dutzend Bücher, die er seither in der Isolationshaft verfasst hat. So wurde die Verlagerung des Schwerpunktes der kurdischen Bewegung vom Guerillakampf auf die politische Auseinandersetzung und dem Aufbau basisdemokratischer Rätestrukturen von Öcalan entworfen und ideologisch begründet. Allerdings stießen diese Ansätze zunächst auch auf den teilweise erbitterten Widerstand rechter Kreise innerhalb der Bewegung.

Doch mehr noch als Öcalans Reden und Schriften, die bisher leider nur ein begrenztes Publikum außerhalb der kurdischen Bewegung erreichten, demonstrierten seine politischen Handlungen seinen unbedingten Friedenswillen. Die „Friedensgruppen“, die auf seinen Aufruf hin 1999 aus den Bergen und aus Europa in die Türkei zurückkehrten, und der Appell an die Guerillakräfte, sich vom Territorium der Türkei zurückzuziehen, waren deutliche Manifestationen seiner Fähigkeit, für den Frieden auch ungewöhnliche Vorstöße zu wagen. Ebenso wie die einseitigen Waffenstillstände 1993, 1995 und 1998 waren diese Schritte innerhalb der kurdischen Bewegung durchaus nicht unumstritten und ihre Bedeutung wurde teilweise erst im Nachhinein gewürdigt.

Die konsequenten Friedensbemühungen Öcalans und die ungebrochene Unterstützung innerhalb der kurdischen Gesellschaft – 2006-2007 unterzeichneten 3,5 Millionen Kurdinnen und Kurden eine Deklaration, dass sie Öcalan als politischen Repräsentanten betrachten – machen Öcalan zum logischen Partner für jegliche ernsthafte Friedensbemühungen auf türkischer Seite. Es gibt schlicht niemanden, der besser geeignet wäre, die Rolle eines „kurdischen Mandela“ zu spielen als Abdullah Öcalan. Auch Mandela bezog seine Glaubwürdigkeit nicht zuletzt aus der Tatsache, dass er den bewaffneten Flügel des ANC aufgebaut hatte, und aus dem Ansehen, dass er innerhalb des ANC genoss. „Wenn wir mit Leuten aus der zweiten Reihe ein Abkommen geschlossen hätten, wäre ihnen schlicht niemand gefolgt“, erklärte sinngemäß der letzte weiße Präsident Südafrikas, de Clerk in einer viel beachteten Rede über den Friedensprozess, die er in der Türkei hielt.

Der „Oslo-Prozess“ 2009-2011

2009 begann der bisher ernsthafteste Verhandlungsprozess. Daran beteiligt waren MİT-Direktor Taner, seine Stellvertreterin Güneş und sein jetziger Nachfolger Hakan Fidan, damals noch Sondergesandter von Ministerpräsident Erdoğan. Sie führten Gespräche auf der Insel Imralı mit Abdullah Öcalan und an unbekanntem Ort, davon möglicherweise ein- oder mehrmals in Oslo, mit hochrangigen PKK-Funktionären. Öcalan legte seine Vorstellungen ausführlich schriftlich in seiner Roadmap dar, die auch bei der PKK auf Zustimmung stieß und fortan als eine Art Arbeitsgrundlage fungierte. Einige zentrale Vorschläge wie eine Verfassungskommission, eine Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission und eine Kommission zur Festlegung der Bedingungen einer Entwaffnung wurden in Protokollen festgehalten, auf die sich die drei beteiligten Seiten einigten.

Anstatt diese Vorschläge konkret umzusetzen, entschied sich Erdoğan nach der gewonnenen Parlamentswahl im Juni 2011 jedoch dafür, die Verhandlungen abzubrechen und auf eine militärische und politische Eskalation zu setzen. Das mühsam aufgebaute Vertrauen der kurdischen Seite in die Möglichkeit einer Verhandlungslösung – ohnehin massiv beschädigt durch die sogenannten „KCK-Operationen“ – erhielt auf diese Weise einen weiteren empfindlichen Dämpfer.

Ohne Vertrauen kein Frieden

Ein gewisses Maß an gegenseitigem Vertrauen ist jedoch eine wichtige Bedingung für das Entstehen, und mehr noch, für das Gelingen eines Friedensprozesses. Die Unmengen an Lügenpropaganda, die sich seit Jahrzehnten über die Bevölkerung der Türkei ergießt, hat insbesondere auf türkischer Seite enorme Vorurteile mit sich gebracht, die abzubauen entsprechend schwer fällt. Dass dies trotzdem gelingen kann, haben die Jahre 2009-2011 bewiesen, als es die Medien für eine Weile unterließen, Öcalan mit den üblichen negativen Attributen zu belegen und sie statt dessen recht sachlich über seine Vorschläge und Argumente berichteten. Unter anderem führte dies dazu, dass in der Türkei zunehmend die Einsicht heranreifte, dass Öcalan ein Ansprechpartner für einen Frieden sein kann und muss. Aus der gleichen Logik leitete sich die relativ breite Unterstützung in der Türkei für die Forderung nach Hausarrest oder anderen Verbesserungen seiner Haftsituation her, da dies seinen Spielraum für konstruktive Beiträge vergrößern würde.

Nachdem sich die Erdoğan-Regierung für eine Politik der Eskalation und Gewalt entschieden hatte, scheint es nur folgerichtig, all diese „gefährlichen“ Erkenntnis nach Kräften rückgängig zu machen. Dies ist das offensichtliche Ziel, das sie mit der seit dem 27. Juli 2011 andauernden Totalisolation Öcalans und der anderen Gefangenen auf der Insel Imrali betreibt. Wenn weder Familie noch Anwälte Öcalan besuchen können, kann er sich auch nicht zur politischen Lage äußern. Neu ist in diesem Zusammenhang, dass sowohl Ministerpräsident Erdoğan als auch Justizminister Sadullah Ergin öffentlich zugaben, dass es sich um einen Regierungsbeschluss handelt (und damit nicht um schlechtes Wetter, defekte Boote oder sonstige mäßig glaubwürdige Widrigkeiten).

Ausblick

Nichts am Scheitern des sogenannten „Oslo-Prozesses“ hat ernsthaft die Rolle Öcalans als wichtigsten Verhandlungspartner auf kurdischer Seite kompromittiert. Ebenso hat bisher niemand eine Alternative zu seiner Roadmap vorgelegt. Da eine militärische Lösung so gut wie ausgeschlossen sein dürfte, ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass Öcalan bei erneuten Verhandlungen wieder die wesentliche Rolle spielen wird. Seine Isolation zu durchbrechen, um dies zu ermöglichen und das gegenwärtige Blutvergießen zu beenden, sollte das Etappenziel all derjenigen sein, die an einer friedlichen Lösung interessiert sind.

Quelle: Ronahî – Zeitschrift des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan

(Weitere Infos: freedom-for-ocalan.com)

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