Die Spirale der Gewalt versetzt das Land in Aufruhr

Demokratische Partei der Völker (HDP), Europa-Vertretung, 19.12.2016

Nach den Anschlägen in Istanbul am 10. Dezember und der Bombenexplosion in Kayseri diesen Samstag, die viele Tote und Verletzte zur Folge hatten und die vom Vorstand der HDP scharf verurteilt wurden, hat die Erdoğan-AKP-Regierung einen ultranationalistischen Diskurs angeheizt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und sich der Verantwortung für ihre festgefahrene Außenpolitik zu entziehen.

Neben der neuen, gegen HDP-Mitglieder gerichtete Festnahme- und Verhaftungswelle kanalisiert die Regierung die öffentliche Wut auf die Anschläge in von einem organisierten Mob durchgeführten Angriffe auf HDP-Büros. Dies ist eine Sündenbock-Politik, die vom Versagen der Regierung bei der Verhinderung solcher Anschläge ablenken soll.

Am 12. Dezember versuchte eine Gruppe von Angreifern, die Tür unseres Büros in Yalova aufzubrechen. Nachdem dies misslang, steckten sie die Tür in Brand und schmierten Graffitis an die Wände. Am gleichen Tag wurde unser Büro in Balıkesir mit Schusswaffen attackiert. Cafer Saritepe, der Ko-Vorsitzende des Büros in Balıkesir, wurde verhaftet nachdem er wegen dieses Angriffes Anzeige erstattet hatte. Am 13. Dezember griff ein rassistischer Mob unser Büro im Istanbuler Stadtteil Büyükçekme an und setzte es in Brand. Da die Angreifer nicht in das Büro eindringen konnten, zündeten sie den Wagen unseres Kreisvorsitzenden an. Unser Kreis-Kovorsitzende Sidar Keser wurde festgenommen, während er bei Gericht eine Beschwerde wegen dieser Angriffe vorbringen wollte. Am gleichen Tag plünderte ein rassistischer Mob unsere Büros in Konya und Mersin und schmierte rassistische Graffitis an die Wände. Am 14. Dezember wurde unser Büro in Adalar (Istanbul) von einem ähnlichen Hassmob mit Steinen beworfen und beschädigt.

Wir sind inzwischen solche Anschläge auf Büros unserer Partei gewohnt. Zwischen April und November 2015 wurden hunderte unserer Büros, einschließlich unserer Zentrale in Ankara, von rassistischen Mobs angegriffen, viele wurden durch Brandstiftung zerstört. Diese Anschläge fanden unter den Augen der anwesenden Polizei und des Innenministeriums statt.

Nach den Anschlägen in Istanbul und zusätzlich zu den Schäden, die der rassistische Mob angerichtet hat, durchsuchte und beschädigte die Polizei zahlreiche Provinz-Büros der HDP und nahm über 800 HDP-Funktionärinnen, Mitglieder oder Unterstützer fest. Die Anwälte informierten uns darüber, dass viele dieser Festgenommenen schwer gefoltert und/oder misshandelt wurden; weibliche Gefangene waren sexueller Gewalt und Belästigung ausgesetzt, einigen wurde mit Vergewaltigung und/oder mit dem Tode gedroht, alle wurden psychisch gefoltert. Nach Angaben der Anwälte waren einige der Inhaftierten aufgrund der erlittenen Folterungen nicht in der Lage zu gehen oder zu stehen.

Für uns ist klar, dass Präsident Erdoğan das Verfassungsreferendum (zur Einführung des von ihm angestrebten Präsidialsystems, Anm. d. Ü.) in einem Klima des sozialen Chaos´ und der politischen Polarisierung abhalten möchte. Am 14. Dezember rief Herr Erdoğan die “nationale Mobilmachung” zum “Krieg gegen den Terror” aus und erklärte, dass der Kampf der Polizei und Armee nicht genüge und er die Unterstützung “der Nation” benötige. In einer anderen Rede forderte er die Polizei auf, “kein Erbarmen mit den Terroristen” zu haben. Da für das Erdoğan-AKP-Regime die Hälfte der Bevölkerung des Landes entweder aus “Terroristen” oder “Terrorunterstützern” besteht, ist es wahrscheinlich, dass Polizeigewalt und systematische Folter auf dem Weg zum Referendum zunehmen werden. Erdoğans Aufruf zur “nationalen Mobilmachung” sollte als klare Ansage an den rassistischen und ultranationalistischen Mob verstanden werden, die Angriffe auf die HDP zu steigern. Ein kurzer Blick in die sozialen Netzwerke zeigt, dass bei vielen dieser Rassisten und Ultranationalisten die Nachricht bereits angekommen ist.