Die Terrorismus-Rhetorik verzerrt die Diskussion …

michael-gunterDie PKK von der Terror-Liste streichen
Prof. Michael M. Gunter*, USA

Die jüngsten Ereignisse geben Anlass zur vorsichtigen Hoffnung, dass die Zeit zur Wiederaufnahme der direkten Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK gekommen ist. Seit Anfang April scheinen sich die Kontakte weiterzuentwickeln. In Silêmanî (Sulaimaniya) im irakisch-kurdisch regierten Nordirak ist bereits eine Delegation der BDP eingetroffen, um eine Botschaft Abdullah Öcalans an die in den Kandil-Bergen im Grenzgebiet zu Irak und Iran ansässigen Guerilla-Anführer der PKK zu überbringen 1. Ein solcher Brief wurde auch an die PKK-Europa-Führung geschickt. In diesen Briefen äußert sich Öcalan über einen Waffenstillstand, den Rückzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei, die Freilassung von PKK-Gefangenen, die Entwaffnung von etwa 7 000 PKK-Kämpfern und ihre Reintegration in die türkische Gesellschaft sowie über Verfassungsreformen.

Damit hat der inhaftierte PKK-Führer optimistische wie auch pessimistische Erwartungen ausgelöst. Er führt auch seine Erwartungen aus für die Zeit nach dem »Erreichen des Friedens … Weder Hausarrest noch Amnestie, dafür gibt es keinen Bedarf. Wir werden alle frei sein.«

Auf türkischer Seite zeigen Meinungsumfragen, dass die wiedereröffneten kurdischen Friedensgespräche eine vorsichtige öffentliche Unterstützung genießen – ein großer Unterschied zur Vergangenheit, als solche Vorschläge sofort den Vorwurf des Verrats mit sich brachten. Die türkische Regierung hat begonnen, Öcalan schrittweise menschlicher darzustellen, um so den Weg für Gespräche zu öffnen. Sein erfolgreicher Aufruf an etwa 600 Anhänger, einen Hungerstreik zu beenden, der im Herbst 2012 gefährliche Rückwirkungen auf die Regierung zeigte, ist dafür ein gutes Beispiel.

Dazu erklärte der türkische Ministerpräsident Recep Tay­yip Erdogan: »Wenn wir schon vom Schierlingsbecher trinken müssen, können wir das auch tun, um unserem Land Frieden und Wohlstand zu bringen.«2 Der AKP-Abgeordnete aus Amed (Diyarbakir), Galip Ensarioglu, schlussfolgerte: »Öcalan ist vernünftiger als Außenstehende. Öcalan handelt verantwortungsbewusst und ist eine Chance für die Türkei.«3 Dr. Hakan Fidan4, Chef des türkischen Geheimdienstes MIT – er war schon an den vorangegangenen Osloer Gesprächen mit führenden PKKlern beteiligt – spricht seit Ende 2012 mit Öcalan. Nach Angaben Ayla Akat Atas, einer BDP-Abgeordneten, die Öcalan vor kurzem besuchen konnte, haben »Fidan und Öcalan es geschafft, sich gegenseitig zu verstehen«5.

Vorbereitungen im Hintergrund hatten Kurden und Türken bereits in Großbritannien und Irland zusammengebracht, um sich dort über das erfolgreiche Freitagsabkommen zu informieren, das diesen alten Konflikt schließlich friedlich hatte abschließen können.6 Auch Erdogan hat diese Kontakte bestätigt. In diesem Rahmen gab es auch einen Besuch im schottischen Parlament in Edinburgh, um dort zu sehen, wie Macht dezentralisiert werden könnte – eine entscheidende Frage in den derzeitigen Verhandlungen zwischen der Türkei und der PKK. Die türkische Regierung hat ebenso eine ressortübergreifende Kommission eingerichtet, um die die kurdische Frage betreffende Politik von Sicherheit über Bildung bis hin zur Sozialpolitik zu koordinieren. Der Vorsitzende der Kommission war vor kurzem Teilnehmer der Besuche in Großbritannien.

Das EU-Parlament hat seinerseits den wiederbelebten kurdischen Friedensprozess auf einer Sondersitzung behandelt, auf der Lucinda Creighton, eine irische Politikerin, im Namen der EU-Präsidentschaft erklärte: »Es ist klar, dass die gesamte kurdische Frage eine friedliche, umfassende und stabile Lösung erfordert.«7 Štefan Füle, Erweiterungskommissar der EU, fügte hinzu, die wiedereröffneten Gespräche seien »historisch … [und] können einen großen Einfluss auf den [EU-]Beitrittsprozess der Türkei nehmen, da sie die Rolle der Europäischen Union als Maßstab für die Reformen in der Türkei ausbauen können.«

Wenn die Türkei jedoch die Verhandlungen mit Öcalan und der PKK fortsetzen will, muss sie bald damit aufhören, die PKK eine Terrororganisation zu nennen, und stattdessen beginnen, friedlich zu verhandeln. Die Terrorismus-Rhetorik verzerrt die Diskussion und hält nicht nur die beiden Hauptakteure von umfassenden Verhandlungen ab, sie verhindert auch, dass die EU eine stärkere Rolle im Friedensprozess spielt.
Auch hält, im Falle der USA, die Bezeichnung der PKK als terroristisch deren Bürger sogar davon ab, der PKK einen friedlichen Weg zu empfehlen, wie der Fall des ehemaligen Verwaltungsrichters Ralph Fertig zeigt. Dieser prominente US-Bürger hatte gegen die neuen Terrorismus-Gesetze seines Landes verstoßen, indem er der PKK empfahl, sich zu entwaffnen und friedliche Mittel zum Erreichen ihrer Ziele einzusetzen. Der Oberste Gerichtshof der USA entschied mit 6 zu 3 Stimmen, dass die nationale Sicherheit Fertigs verfassungsmäßiges Recht auf Redefreiheit einschränke und er sich nach dem USA PATRIOT Act für die illegale »materielle Unterstützung« von Terroristen verantworten müsse.8 Solange die PKK auf der US-Liste der terroristischen Organisationen steht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch andere Akademiker vor juristischen Problemen stehen. Diese unglückliche Situation würde sich auflösen, wenn die Türkei die PKK nicht länger als terroristisch brandmarkte und Verhandlungen mit ihr begänne, da dann sowohl die Vereinigten Staaten wie auch die Europäische Union die PKK vermutlich von ihren Terrorlisten streichen würden.

Daher sollte, als logischer Schritt in Richtung einer endgültigen gerechten Lösung der kurdischen Frage in der Türkei, diese die PKK von ihrer Terrorliste streichen. Sobald das geschehen ist, können beide Seiten mit größerem Realismus an der Ausarbeitung ihres formulierten Friedenswunsches arbeiten. Verhandlungen, die auf friedlichem politischem Wege anstelle von Gewalt basieren, können wahrscheinlich erfolgreich sein, wenn die KCK-Repräsentanten aus dem Gefängnis entlassen werden und die Bezeichnung »Terrorismus« fallen gelassen wird. So würde das Streichen der PKK von der Terrorliste die Entwicklung eines neuen Verfassungsprozesses ermöglichen, der die Grundlage für eine vollwertige Staatsbürgerschaft für alle Bürger der Türkei, muttersprachliche Bildung und verantwortungsbewusste Selbstverwaltung bildet. ?

 

* Michael M. Gunter ist Doktor in der politischen Disziplin der Internationalen Beziehungen, mit Schwerpunkt auf dem Nahen und Mittleren Osten. Gunter hat insgesamt neun Bücher über die kurdische Frage veröffentlicht. Darunter befanden sich auch die ersten englischprachigen Analysen zur Situation der Kurdinnen und Kurden. 1998 hat Gunter hierfür eine Auszeichnung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch für seine Leistungen für das kurdische Volk erhalten.

1) Die folgende Analyse basiert größtenteils auf: »PKK Leader’s Letter to Kandil Reaches Northern Iraq: Report,« Hurriyet Daily News, 28. Februar 2013 (http://www.mesop.de/2013/02/28/pkk-leaders-letter, abgerufen am 1. März 2013); und Ayla Jean Yackley, »Kurdish Rebel Leader Ocalan Airs Frustrations in Turkey Peace Process,« Reuters, 1. März 2013 (http://www.mesop.de/2013/03/01/kurdish-rebel-leader-ocalan-airs-frustrations-in-turkey-peace-process/, abgerufen am 1. März 2013).

2) »Turkey’s Erdogan Calls for More Support for Peace Move,« Today’s Zaman, 26. Februar 2013 (http://www.todayszaman.com/news-308165-turkeys-erdogan-calls-for-more-support-for-peace-move.html, abgerufen am 1. März 2013).

3) »Leak of Imrali Record Sparks Controversy over Its Source,« Hurriyet, 29. [sic] Februar 2013 (http://www.mesop.de/2013/02/28/leak-of-imrali-record-sparks-controversy-over-its-source/, abgerufen am 1. März 2013).

4) Hakan Fidan wurde 2010 Chef des MIT. Er ist Mitte 40 und verfügt über bemerkenswerte Erfahrung in militärischen, geheimdienstlichen und außenpolitischen Bereichen. Bis vor kurzem war er auch Chef der Agentur für Entwicklung und Zusammenarbeit (TIKA), die mit der Entwicklung von Programmen zur Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung beauftragt ist. Er hat einen ersten Abschluss des University College der Universität Maryland in Management und Politikwissenschaft. Danach erwarb er einen MA sowie Doktorgrad an der Bilkent-Universität in Ankara. Seine Doktorarbeit trägt den Titel: »Die Rolle der Informationstechnologie bei der Überprüfung internationaler Abkommen im Informationszeitalter.«

5) Ian Traynor und Constanze Letsch, »Locked in a Fateful Embrace: Turkey’s PM and His Kurdish Prisoner,« The Guardian, 1. März 2013 (http://www.guardian.co.uk/world/2013/mar/01/turkey-pm-kurdish-prisoner-peace, abgerufen am 1. März 2013).

6) Die folgenden Angaben aus: Ian Traynor, »Turks and Kurds Look to Good Friday accords as template for peace,« The Guardian, 1. März, 2013 (http://www.guardian.co.uk/world/2013/mar/01/turk-kurd-good-friday-accord, abgerufen am 1. März 2013).

7) Dieses und das folgende Zitat aus: Ayhan Simsek, »EU Voices Pro Peace Talks« SES Turkiye, 14. Februar 2013 (http://www.mesop.de/2013/02/14/eu-voices-pro-peace-talks-stefan-gule-lucinda-creighton-michael-cashman-andrew-duff-ismail-ertug-et-al/, abgerufen am 14. Februar 2013).

8) Adam Liptak, »Court Affirms Ban on Aiding Groups Tied to Terror,« New York Times, 21. Juni 2010.

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