Die Türkei driftet in Richtung des östlichen Machtblocks ab

Rıza Altun, Exekutivratsmitglied der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), zu der Annäherung zwischen der Türkei und dem Iran, sowie den Hintergründen zum Kauf des russischen Raketenabwehrsystems seitens der Türkei; 15.09.2017

Seitdem die Türkei Teil der Syriengespräche in Astana ist, können wir eine Annäherung zwischen Teheran und Ankara erkennen. Zuletzt besuchte nun der iranische Generalstabschef die Türkei. Welche Faktoren führen zu dieser Annäherung des Irans und der Türkei? Welche Wirkung dürfte die Annäherung auf das Verhältnis zwischen dem Iran und den Kurden haben?

In der Krise des Mittleren Ostens hat die Türkei mehrfach ihren Kurs auf den Kopf gestellt. Jedes Mal, wenn sie mit ihrer Politik an die Wand gefahren ist, musste sie versuchen, sich irgendwie neuauszurichten. Im Syrienkrieg und im Irak ist dies in den Rissen im Bündnis zwischen der Türkei – Saudi-Arabien – Katar, und vor allem im militärischen Niedergang von Organisationen, auf welche die Türkei gesetzt hat, wie dem Islamischen Staat oder der Al-Nusra Front, zum Ausdruck gekommen. Diese Entwicklungen stellten zugleich den Bankrott der bisherigen türkischen Politik im Mittleren Osten dar. Die AKP erhoffte, durch die von ihr erzeugte Krise mit Russland, auf einen Befreiungsschlag. Über die Gegnerschaft zu Moskau sollte eine stärkere Einbindung in das westliche Bündnis erfolgen. Als auch dies scheiterte und die Türkei zusehends isoliert dastand, vollzog man abermals eine 180-Grad-Wende und suchte das Bündnis mit Russland. Wir sehen also, dass die Position Ankaras derzeit eine sehr einsame ist. Es gibt kaum Akteure, die ein strategisches Bündnis mit der Türkei suchen. Es bleiben lediglich Länder wie Katar, die selbst tief in der Krise stecken, oder radikal-islamistische Gruppierungen, über die der eigene Einfluss zumindest beschränkt noch aufrechterhalten werden soll.

Doch auch über die Muslimbrüder, die Al-Nusra Front oder den IS kommt Ankara nicht mehr wirklich weit. Das sieht auch die AKP. Wer bleibt, ist Katar. Denn auch die Beziehungen mit den USA und Europa befinden sich auf einem Tiefpunkt. Und so klammert man sich in Ankara an jeden noch übrigen Halm, der einem unter noch so schlechten Voraussetzungen gereicht wird.  Deshalb hat die Türkei derzeit ihren Fokus darauf gesetzt, die Wogen mit Russland zu glätten und die Beziehungen in der östlichen Hemisphäre aufzubauen. Gleichzeitig versuchte sie mit dieser anberaumten Neuausrichtung auch den Westen gewissermaßen unter Druck zu setzen und die eigene Stellung dadurch zu stärken. Doch mit dem Scheitern dieser Erpressungsstrategie ist ein stärkeres Abdriften der Türkei in Richtung des östlichen Machtblocks zu erkennen.

Damit meine ich beispielsweise den Kauf des Raketenabwehrsystems von Russland und ähnliche Entwicklungen. Ankara versucht verzweifelt seinen Platz unter seinen neuen „Partnern“ zu ergattern. Russland und der Iran wissen diese Verzweiflung der Türkei gut für ihre Zwecke auszunutzen. Sie richten die Außenpolitik der türkischen Regierung auf ihre Außenpolitik aus. Russland tut dies sehr offensichtlich. Der Iran versucht ebenfalls von dieser Situation zu profitieren. Die Türkei ihrerseits erzeugt den Schein, als befinde sie sich keineswegs in der Isolation und versucht in diesem Rahmen gewisse Vorstöße zu machen.

Was für Vorstöße?

Die Entsendung von türkischen Soldaten nach Bashiqa in Südkurdistan oder die Militärintervention in Nordsyrien von Dscharablus bis al-Bab und die von dort ausgehenden Angriffe auf Mınbiç oder Afrîn – das sind die Vorstöße, die für die Türkei in der neuen Bündniskonstellation möglich werden. Für jeden dieser Vorstöße muss Ankara Zugeständnisse an Russland und den Iran machen. Nur so wird ihnen der begrenzte Raum für die eigenen Initiativen gegeben. Auf diese Weise findet die Annäherung zwischen der Türkei und dem Iran statt. Damit begibt sich die AKP aber in Anbetracht der Isolationspolitik, welche die USA gegen Teheran auf die Beine stellen will, auf ein äußerst gefährliches Terrain.

Im Gesamtbild betrachtet, wird deutlich, dass die Annäherung zwischen dem Iran und der Türkei kein bloßes Ergebnis von beidseitigen diplomatisch-politischen Bemühungen ist. Denn letztlich verfügen beide Länder über eine lange Tradition politischer und konfessioneller Widersprüche. Dass sie sich dieser Tage dennoch auf diese Weise annähern, hat mit der internationalen Politik, der Gesamtlage in der Region und der Situation der beiden Staaten in der aktuellen Konstellation zu tun.

Sowohl Teheran als auch Ankara werten die aktuellen regionalen Entwicklungen zu ihrem Nachteil. Aus diesem Grund agieren sie gemeinsam. Um es noch offener zu sagen, die kurdische Frage ist sowohl im Iran als auch in der Türkei ein grundlegendes Problem. Wenn jetzt die kurdische Frage in Südkurdistan und in Rojava sich teilweise in Richtung einer Lösung zubewegt, kann dies dazu führen, dass der Iran und die Türkei ihre Zusammenarbeit noch weiter intensivieren. Das ist der gefährliche Part dieses Zweckbündnisses und aus diesem Grund sollte man die Annäherung zwischen beiden Staaten auch genau beobachten.

Für uns ist es von Bedeutung, dass seit der Islamischen Revolution erstmals ein iranischer Generalstabschef die Türkei besucht. Dahinter steckt mehr, als der Versuch der beiden Staaten, sich aus der gegebenen Isolation zu lösen. Vielmehr versucht man auszuloten, ob und in welcher Weise die beiden Regierungen im Falle einer neuen Krise in der Region zusammenarbeiten können. Für den Mittleren Osten stellt diese Annäherung eine potentielle Gefahr dar. Auch ein gemeinsamer Kampf gegen die Errungenschaften und die Linie des kurdischen Freiheitskampfes kann ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit sein.

Doch können sich die beiden Staaten wirklich Hoffnung machen, dass aus diesem Bündnis für sie etwas rausspringt? Haben sie berechtigten Grund zur Hoffnung?

Die Türkei befindet sich in einer Position, in welcher sie im Kampf gegen kurdische Errungenschaften bereit ist mit jedem und alles zusammenzuarbeiten. Ihre gesamte Politik ist geradezu auf dem Fundament der Verleugnung der Kurden errichtet. Im Falle des Irans ist die Situation hingegen etwas komplexer. Aufgrund ihrer gegenwärtigen Stellung in der Weltpolitik, aber auch aufgrund ihrer Rolle im Irak und in Syrien könnte es für den Iran zu einem Nachteil werden, wenn sie sich mit der Türkei auf eine anti-kurdische Linie einschwört. Das würde den Iran noch angreifbarer machen. Denn der Preis dafür, die Türkei ins eigene Lager zu ziehen, kann für den Iran kaum sein, mit allen anderen politischen Akteuren der Region in Konflikt zu geraten. Das Bündnis mit Ankara könnte also für Teheran zur Falle werden. Die Türkei könnte hingegen dadurch, dass Iran zur allgemeinen Zielscheibe wird, elegant den eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen.

Man schaue sich für diese Hypothese nur die Aussagen aus der Türkei nach dem Treffen mit dem iranischen Generalstabschef an. Aus Regierungskreisen kamen Statements wie, dass man bereit sei, für eine gemeinsame Militäroperation mit dem Iran gegen die PKK. Mit Hinblick auf Rojava wurden auch Aussagen wie, „auch in anderen Gebieten können wir gemeinsam agieren“, laut. Interessant ist nur, dass der Iran anschließend klar gemacht hat, dass eine solche Übereinkunft, wie sie die Türkei vorgibt, gar nicht gegeben sei. Allein aus diesen widersprüchlichen Aussagen kann man also erkennen, dass die Annäherung an die Türkei für den Iran große Risiken birgt. Sollte man sich in Teheran trotz dessen für einen gemeinsamen anti-kurdischen Kampf mit der Türkei entscheiden, wäre das gleichbedeutend mit einem Verteidigungskrieg der Kurden gegen den Iran.

Wichtig für uns an diesem Punkt ist es deshalb, zu erkennen, was die Gründe für die Annäherung zwischen den beiden Staaten sind. Wenn wir diese Gründe ausfindig gemacht haben, werden wir auch die Gefahren, die aus einem türkisch-iranischen Bündnis erwachsen, besser begreifen.

Im Original erschien das Interview am 14.09.2017 unter dem Titel “Türkiye artık Avrasya çizgisinde” auf der Homepage der kurdischen Tageszeitung Yeni Özgür Politika.