„Ein neuer Befreiungskampf…“ – Die AKP-Art der Situationsanalyse

logoBewertung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 26.06.2016

Die AKP-Regierung führt die Türkei weiterhin mit entschiedenen Schritten in Richtung einer dunklen Epoche. Beweise dafür liefern der Krieg in den kurdischen Siedlungsgebieten, eine immer repressivere und autoritärere Politik gegenüber jeglicher Opposition und eine außenpolitische Isolation durch kapitale Fehlschläge in der Diplomatie. Doch eins nach dem anderen…

Das Vernichtungskonzept im Südosten des Landes

In Bruchstücken ist die Zerstörung ganzer Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei auch in die deutschen Medien vorgedrungen. Doch eine politische Reaktion hierauf blieb aus. Denn Deutschland solle sich nicht anmaßen, Schiedsrichter in Sachen Menschenrechten bei der Türkei zu spielen, erklärte der deutsche Innenminister de Maizière. Doch die Türkei, der NATO-Partner und vermeintlicher Retter in der „EU-Flüchtlingskrise“, setzt sein Vernichtungskonzept in den kurdischen Siedlungsgebieten konsequent fort. Sur, Cizîr (Cizre), Nisebîn (Nusaybin), Şirnex (Şirnak), Gever (Yüksekova) und weitere Städte bzw. Stadtbezirke wurden komplett dem Erdboden gleichgemacht. Hunderte Menschen ermordet, z.T. außergerichtlich hingerichtet und tausende weitere verletzt und vertrieben. Und die Angriffe gehen weiter. Aktuelle wird die Kreisstadt Licê zerstört, zahlreiche Gebiete in und um die Stadt wurden niedergebrannt und die Bewohner in die Flucht getrieben. Auch aktuell betroffen vom Vernichtungskrieg der AKP ist die Provinz Colemêrg (Hakkari). Insgesamt 52 Orte der Provinz wurde zu militärischen Sperrzonen erklärt. Der Krieg tobt in all seiner Brutalität in den kurdischen Siedlungsgebieten. Doch die Welt schaut da schon längst nicht mehr hin…

Die Vernichtung der Opposition auf dem Weg zur Präsidialdiktatur

Das Gesetz zur Aufhebung der Immunitäten ist durch. Die ersten HDP Abgeordneten sind bereits von der Staatsanwaltschaft vorgeladen worden. Die Abgeordneten der HDP erklärten, dass sie nicht bereit seien „eine Figur in einem Justiz-Theaterstück zu werden, das auf Befehl Erdoğans errichtet wurde“ (Zur vollständigen gemeinsamen Verteidigungsrede der HDP-Abgeordneten klicke HIER). Doch noch bevor die Aufhebung der Immunitäten der HDPler so richtig ins Rollen gekommen ist, machte die AKP bereits klar, was als nächstes folgen werde, nämlich die Übernahme kurdischer Kommunen mittels Zwangsverwaltung (Dazu mehr HIER)

Die Logik ist einfach: Diejenigen Stadtverwaltungen, in denen bei den Kommunalwahlen nicht die AKP sondern die HDP respektive die DBP (Demokratische Partei der Regionen) durch die Bevölkerung gewählt wurde, sollen jetzt mittels Direktive aus Ankara doch der AKP unterstellt werden. Wo also die „Demokratie“ nicht im Sinne der AKP funktioniert, wird eben Mal an einigen Rädchen gedreht, bis das Wunschergebnis dann doch da ist. So kennt man es ja von der AKP auch von den Parlamentswahlen aus dem vergangenen Jahr, bei denen das Volk eben nach den Wahlen im Juni einfach nochmal zur Wahl im November bestellt wurde. Einmal Neuwahlen und Krieg in Krieg in Kurdistan inkl. Aufschwappen der nationalistischen Stimmung im Land verhalfen dann der AKP dazu, dass sie doch alleine weiterregieren durfte.

Die Abschaffung der Pressefreiheit, die jüngst zu der Inhaftierung von drei Journalisten führte, die sich mit der Tageszeitung Özgür Gündem solidarisierten, sei hier noch als Randnotiz angemerkt. Dass es sich bei einer der drei Inhaftierten um die Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung TIHV handelt, scheint da wohl auch ins Konzept der AKP zu passen (Mehr dazu siehe HIER).

Die Ausweitung der Befugnisse des türkischen Militärs, die jetzt im Prinzip rechtlich abgesichert in den kurdischen Siedlungsgebieten Kriegsverbrechen begehen dürfen, darf natürlich auch nicht fehlen, wenn ein Staat in Richtung Präsidialdiktatur voranschreiten möchte (Mehr dazu siehe HIER). Doch sei auch hier angemerkt, dass es auch bisher keine bekannten Fälle von Verhaftungen türkischer Militärs aufgrund von Kriegsverbrechen im Südosten des Landes gegeben hat. Der einzige Grund, weshalb in der Türkei Militärs in der jüngeren Vergangenheit hinter Gittern kamen, waren vermeintliche Putschpläne gegen die AKP-Regierung. Doch selbst diejenigen Militärs, die aus diesem Grund ehemals von Erdogan eingebuchtet worden waren, wurden vom selben Herrn Erdogan jüngst wieder begnadigt, damit sie ihren Dienst zur „Verteidigung des Vaterlands“ bzw. der Zerstörung Kurdistans wieder antreten können.

Die diplomatische (Selbst-)Vernichtung der AKP

Irgendwie passt es doch der AKP auch sehr gut ins Konzept, wenn sie ihrer eigenen Bevölkerung suggerieren kann, „die ganze Welt ist gegen uns, doch wir sind im Recht“. Das türkische Sprichwort „bir türk dünyaya bedeldir“ („Ein Türke wiegt die ganze Welt auf“), spiegelt diese Geisteshaltung sehr gut wieder. So wundert es nicht weiter, dass die Anerkennung des Armeniergenozids durch den Papst von der Türkei als „Kreuzzugmentalität“ bezeichnet wird. So richtig austoben kann sich die türkische Diplomatie derzeit aber an der EU und insbesondere an Deutschland. Denn die hat man aufgrund der Flüchtlingsfrage in der Hand…so scheint man es zumindest in Ankara aufzufassen. Über den Brexit lächelt man in der AKP und bringt selbst ein Referendum über die EU-Beitrittsgespräche ins Spiel. So wolle man das hässliche Gesicht der EU enttarnen, die ihre Versprechungen gegenüber der Türkei nicht einhalte. Die Ablehnung einer Visite  deutscher Staatssekretäre auf der Militärbase in Incirlik hingegen reiht sich wunderbar ein, in eine ganze Reihe von Affronts gegen die Bundesregierung, die sich von der Bedrohung deutscher Abgeordneter mit türkischen Wurzeln bis hin zur Causa Böhmermann reiht. Man weiß, dass Frau Merkel für die Ruhe in ihrer eigenen Regierungskoalition aufgrund der “Flüchtlingsfrage” auch auf die AKP angewiesen ist, deswegen kann man sich das auch leisten, ohne ernsthafte Reaktionen aus Berlin fürchten zu müssen.

„Der zweite Befreiungskampf“

Doch die Analyse der AKP-Außenpolitik wäre nicht vollständig, wenn wir die Verschwörungstheorien der türkischen Regierungsparteien aus dem Blick lassen würden. Doch lassen wir da den Abgeordneten und Gründungsmitglied der AKP, Mehmet Ali Şahin, selbst sprechen: „Sie [gemeint die PKK] haben mit unseren kurdischen Bürgern absolut nichts zu tun. Sie sind das Vehikel von fremden Mächten, die unser Land spalten möchten. Deswegen haben sie auch nichts mit unserem Glauben und Ramadan am Hut. Doch sollen sie tun und lassen, was sie wollen, wir werden nicht zulassen, dass sie unser Land teilen. Es wird nicht ein Ziegelstein dieses Landes, dieser Nation geopfert. Diese Verräter werden ihr Ziel nicht erlangen. Solange es unsere Mehmetcikler [liebevolle Bezeichnung der türkischen Soldaten] gibt, die mit dieser Überzeugung für ihre Nation, ihre Fahne, ihren Banner mit Freude dem Tod ins Gesicht blicken, kann die ganze Welt zusammenkommen und sie werden ihr Ziel nicht erreichen. Das Ziel von ihnen, den Amerikanern, der Russen und des Westens, ist es im Norden Syriens, in Rojava ein Autonomes Kurdistan zu errichten. Nun sagen sie, ‚wir helfen der PYD, wir kämpfen mit ihnen gegen den IS’, doch diesen IS haben sie selbst ausgeheckt. Um diesen Boden zu beschlagnahmen, haben sie den IS für sich gefunden und hervorgebracht. Der IS ist ein Vorwand. Sie sind mit dem IS-Vorwand gekommen, um dort ihre Pläne zu verwirklichen.

Und warum lassen sie den PKK Terror auf unser Land los? Sie wollen im Osten unserer Region genau wie in Rojava, in Kobani ein autonomes Kurdistan errichten. Doch wir sind uns dessen bewusst. Deswegen kämpfen wir nicht bloß gegen eine Terrororganisation. Mit denselben Zielen, mit denen wir im Befreiungskrieg [gemeint ist der sog. Befreiungskrieg unter dem türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal nach dem 1. Weltkrieg] gegen die ganze Welt, gegen die Besatzer gekämpft haben, genauso kämpfen wir derzeit auch einen zweiten Befreiungskampf. Unsere Mehmetcik befinden sich in eben solch einem Kampf.“

Das wollen wir Mal so stehen und die Bewertung euch überlassen…