Eine Reise mit der Türkei in die Tiefen der Diplomatie

Hintergrundartikel zum diplomatischen Tauziehen im Mittleren Osten von Harun Ercan, 31.05.2017

Das US-Repräsentantenhaus wurde Ort einer Veranstaltung des Unterausschusses für Auswärtige Angelegenheiten für Europa, Eurasien und aufkommende Bedrohungen ((U.S. House Subcommittee on Europe, Eurasia and Emerging Threats)). Die Sitzung hat das für seine Nähe zu Trump bekannte Mitglied im US-Repräsentantenhaus Dana Tyrone Rohrabacher organisiert um über den Gewaltexzess der Leibwächter Erdoğans während seiner US-Reise zu diskutieren. Zu dieser Diskussionsveranstaltung waren auch kurdische, ezidische und armenische Protestierende eingeladen, die Opfer von den Übergriffen der Leibwächter wurden. Es wurden Sätze formuliert, die wahrscheinlich bislang gegenüber keinem anderen Staatspräsidenten formuliert wurden, zu dem die USA auch nur ein minimales Interessensbündnis unterhält. Ein Teil der an Erdogan gerichtetem Worte von Rohrabacher lauten wie folgt:

„Wir haben keinen Bedarf mehr, dass Menschen wie du die USA besuchen. Du vertrittst nicht dein Volk. Wenn wir mit den Türken sprechen wollen, sprechen wir mit den Türken, die eine demokratische Gesellschaft wollen. Nicht mit einem Mann, der in seinem eigenen Land einen islamischen Faschismus gründen will… Erdogan darf nicht noch einmal in die USA eingeladen werden. Er ist ein Feind all dessen, wofür wir kämpfen. Noch wichtiger; er ist seinem eigenem Volk ein Feind. Wir sollten an der Seite des türkischen Volkes stehen, nicht an der Seite des Menschen, der sie unterdrückt.”

Auf derselben Sitzung bringt das für seine Nähe zur türkischen Regierung bekannte Mitglied der Demokratischen Partei, Gregory Meeks, folgendes zur Sprache: „Friedliche Protestierende wurden von Raufbolden angegriffen. Die aufgetauchten Aufzeichnungen zeigen, dass Erdogan die Ereignisse vom Auto aus beobachtet, sich ohne einzugreifen entfernt und somit passiv zugestimmt hat.” Wenige Stunden nach dieser Podiumsdiskussion hat der Sprecher des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten, Paul Ryan, in einer schriftlichen Erklärung betont, dass man die Taten der Leibwächter von Erdogan an keinem Punkt rechtfertigen könne und die Antworten der türkischen Regierung nach der Gewaltaktion “unzureichend” seien. Zudem heißt es, dass dieses “brutale Verhalten gegenüber den ihre Meinungsfreiheit nutzenden unschuldigen Zivilisten von dem türkischen Staatspräsidenten verurteilt und entschuldigt” werden müssen. Er fordert also eine „offizielle Entschuldigung” von der Türkei. Am selben Tag verurteilte das Komitee für Außenbeziehungen des US-Repräsentantenhauses den in Washington stattgefundenen Angriff einstimmig.

Weder der letzte Besuch von Menderes in den USA, noch der berüchtigte „Johnson-Brief“ des US-Präsidenten an İnönü vor der Besatzung von Zypern… Der Bankrott der Beziehungen zwischen der Türkei und den USA lassen sich mit keiner anderen historischen Phase vergleichen. Schauen wir auf den vor wenigen Tagen stattgefundenen NATO-Gipfel in Brüssel. Bei dem Gipfel, auf dem es für die Türkei keine nennenswerten positiven Entwicklungen gab, hat die NATO offiziell ihren Beitritt in die internationale Koalition gegen den Islamischen Staat erklärt. Dieser neue Vorstoß bedeutet, dass ein NATO-Mitglied, welches nicht die Erwartungen im Kampf gegen den IS erfüllt, durch die NATO mit einem neuen Druckmechanismus konfrontiert sein wird. Ein Beispiel zur Veranschaulichung; die Versuche der Türkei Incirlik gegen Deutschland auszuspielen und die dadurch geschaffenen Probleme werden nun zu Problemen der NATO. Aber vergessen wir nicht, dass ständige Niederlagen auf diplomatischer Ebene im Mittleren Osten, nicht gleichbedeutend sind mit wirklichen Niederlagen. Ohne die militärischen Entwicklungen zu betrachten, ist es unmöglich das Bild aus der Perspektive der Türkei und der Kurdinnen und Kurden vollständig zu erfassen.

Während auf der einen Seite die Demokratischen Kräfte Syriens die Stadt Rakka umzingeln, ist die USA bestrebt den Iran und Russland mit noch größeren Kriegsdrohungen politisch zu umzingeln. Es wird an einem neuen, als “Arabische NATO” bezeichneten Bündnis gearbeitet, welches die bestehenden Kriege im Mittleren Osten noch mehr anheizen wird. Die USA gründet ihren Plan auf Basis der sunnitischen Achse, dessen Vorreiter Israel, Ägypten und Saudi-Arabien bilden. Das Militärabkommen der USA mit den Saudis kann als Zeichen dieser neuen Initiative gesehen werden. Auffallend ist, dass auch Katar in diesem neuen Plan eine nennenswerte Rolle zugesprochen wird. Dem Land, welches die Syrien-Pläne der USA nicht befürwortet, das der Türkei und den Palästinensern gewährleistet sich gegen Israel aufzulehnen und nicht von seiner Gegnerschaft zum ägyptischen Präsidenten Sisi abrückt. Ein anderer wesentlicher Plan der USA auf derselben Parallele ist es die palästinensische Frage mit einer Zweistaatenlösung abzuschließen, also auch Palästina in die Arabische NATO mit einzuschließen. Länder wie die Türkei und Katar haben die unrealistische Bestrebung Palästina auszunutzen, um die USA und Israel nicht die Möglichkeit zu geben ihre eigenen Interessen zu gefährden. Denn der Plan der Arabischen NATO ist selbst nicht realistisch. So hat dieses Bündnis, das den Iran und Russland eingrenzen soll, im Irak und Syrien keine wirksame und sekundäre bewaffnete Kraft, auf welche sie sich direkt stützen könnte. Es ist vorauszusehen, dass es auch nicht wirklich möglich ist, dass dieses Bündnis den Konflikt zwischen Palästina und Israel lösen kann. Was hat es dann für einen Nutzen?

Sofort nach der Mittelostreise von Trump gab es Operationen gegen die Schiiten in Bahrain, zwischen Gruppen in Syrien, die Saudi Arabien und Katar nahestehen begannen Gefechte und Webseiten, die im Kontakt mit Al Jazeera, dem Presseorgan Katars standen, wurden in Ägypten und Bahrain verboten. Der neue Vorstoß der USA bedeutet die Vertiefung der Konfliktdynamik zwischen der sunnitisch-schiitischen Achse und noch viel grundlegender die Verlagerung der Rivalitäten zwischen den USA und Russland/Iran auf eine höhere Ebene. Es wird für die PKK und die PYD immer schwieriger werden eine Gleichgewichtspolitik sowohl mit den USA, als auch mit Russland zu führen. Die USA bemüht sich intensiv darum, dass an der Grenze Syrien-Irak kein Korridor entsteht, den der Iran nutzen kann. Die Türkei kann in dieser Gleichung sowohl für die USA, als auch für Russland eine geeignete Position erlangen. Sollte die USA die angespannte Atmosphäre mit der Türkei noch mehr verstärken, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Russen der Türkei de facto erlauben werden mit den dschihadistischen Gruppen gegen Afrin einen großangelegten Angriff durchzuführen. Angesichts der um das Shengal-Gebiet begonnen neue Offensive der vom Iran kontrollierte Haschdi-Sabi-Einheiten sowie angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass das Embargo gegen Rojava zu bröckeln beginnen wird, sofern die irakische Regierung dem zustimmt, könnte es dazu kommen, dass die USA einem Angriff gegen PKK-nahe Gruppen ebenfalls ihre Zustimmung erteilen wird. All diese möglichen Entwicklungen hängen davon ab, in welchen Zeitabständen das Pentagon seine Vorstöße umsetzt, als auch von den Antworten, die Russland dagegen entwickeln wird. Es sieht danach aus, dass den Mittleren Osten ein noch größerer Krieg erwartet und wie immer wird die Seite gewinnen, welche die Waffe, das Geld und den Verstand am besten nutzt.