Eine Schüssel Blut aus Almeria

guernica-kobaneMeral Çiçek, 19.11.2016

Hätten die Putschisten vom 15. Juli etwas mehr Zeit gehabt, hätten sie ihren Putschversuch gegen das AKP-Regime vielleicht am Jahrestag des Putsches unter Führung des spanischen Diktators Francisco Franco durchgeführt. Die spanische Militärjunta unter General Franco stürzte am 18. Juli 1936 die gewählte Volksfrontsregierung. Nur wenige Tage nach dem Putsch gründete Hitlers Luftwaffenkommandant Hermann Göring einen Sonderstab. Aufgabe dieses Sonderstabs war es, die deutsche Unterstützung für den Putschisten zu koordinieren.

Wenig später begann die Verlegung der 5 Tausend Mann starken deutschen Legion Condor, welche auch die baskische Stadt Guernica aus der Luft bombardieren sollte. Grund für diese Unterstützung war natürlich nicht nur Hilfsbereitschaft der Nazis für ihre Putschisten-Freunde. Zugleich sollte das deutsche Heer schon einmal für noch bevorstehende Eroberungskriege vorbereitet und Kriegstechnik erprobt werden.

Die andalusische Stadt Almeria an der spanischen Südküste war am 6. Januar 1937 an der Reihe. Dieser erste Luftangriff auf die Stadt wurde jedoch nicht von den Nazis oder der Luftwaffe des italienischen Diktators Mussolini, sondern von Francos Fliegern durchgeführt.

Die Menschen, deren Häuser wie durch ein Wunder nicht zerstört wurden, kamen erst am nächsten Morgen langsam aus ihren Häusern, um das Ausmaß der Zerstörung zu betrachten. Der Stadtarchitekt Guillermo Langle blieb an einer Straße stehen. Vor ihm lag eine Mutter im Sterben. In ihren Armen, ihr totes Kind. Ihm war klar, dass dies nicht der letzte Angriff sein sollte. Er sollte Recht behalten; Almeria sollte in den nächsten zwei Jahren weitere 51 Mal aus der Luft bombardiert werden. Für die Menschen war eine Art Bunker notwendig.

Einen Monat später begannen die Verteidigungskräfte der Stadt und ihre Bürger mit dem Bau eines Luftschutzkellers. Der Bürgermeister von Almeria war Kommunist. Er rief die Arbeiter dazu auf, einen Tag in der Woche unentgeltlich am Bau des Bunkers mitzuarbeiten. In neun Meter Tiefe wurde so ein 4,6 Kilometer langer Tunnel mit 67 Eingängen gebaut. Der Tunnel verfügte sogar über einen Operationssaal und bot 35 Tausend Menschen Schutz.

So konnte die Bevölkerung zwar vor Luftangriffen beschützt werden, jedoch kam der heftigste Angriff auf die Stadt nicht aus der Luft, sondern vom Meer. In den Nachtstunden des 31. Mai 1937 schlugen die Sirenen Alarm, obwohl keine Kriegsflugzeuge zu hören waren. Gegen Morgen erkannten die Menschen fünf Kriegsschiffe am Hafen. Kurz später begann der Angriff auf die Stadt. Diesmal waren die Angreifer aus Deutschland. Fünf Tage zuvor hatten zwei Flugzeuge der Republikaner das Panzerschiff Deutschland vor Ibiza bombardiert und dabei 32 Nazis getötet. Hitler befahl daraufhin Vergeltung. Als Ort der Vergeltung wurde Almeria, die Stadt, die noch immer Widerstand gegen das Franco-Regime leistete, gewählt.

Die Stadt wurde mit 200 Granaten bombardiert. Dutzende Menschen wurden getötet. Dem deutsche Kommandant Ciliax, welcher diese Vergeltungsoperation führte, wurde vom „Führer“ höchstpersönlich für seine Verdienste das Spanienkreuz erster Klasse verliehen.

Almeria jedoch gab nicht auf und leistete noch weitere zwei Jahre, trotz 52 Luftangriffen, Widerstand. Ein Tag vor Kriegsende, am 31. März 1939 wurde Almeria als letzte Stadt von Francos Kräften besetzt. Auch hier richteten die Franquisten ein Blutbad an. Erst wurde der Bürgermeister exekutiert, anschließend der republikanische Gouverneur. Hunderte Republikaner, Gewerkschafter, Kommunisten wurden ermordet.

Wie sind wir jetzt auf diese Geschichte gekommen? Lasst es mich so sagen: Im Jahr, in dem Almeria besetzt wurde, begann der Zweite Weltkrieg. Sechs Jahre später sollte Hitler, der Almeria hatte bombardieren lassen, in einem Bunker seine letzten Wochen verbringen und sterben. Hitler hatte noch bevor der Weltkrieg begonnen hatte, außerhalb der Grenzen des damaligen deutschen Reichs, Soldaten seines Nazi-Regimes kämpfen und töten lassen. Die Staaten, die im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler kämpfen sollten, schwiegen jedoch zu diesem Zeitpunkt zu Hitlers Massakern. Der damalige Premierminister der Demokratischen Republik Spanien Juan Negrin und Präsident Manuel Azana hatten sich wegen der Bombardierung von Almeria an den Völkerbund gewandt. Jedoch behaupteten Großbritannien und Frankreich der Angriff der Deutschen sei legitim.

Das erinnert mich doch gleich an den außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU Fraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, welcher letzten Monat die Bombardierung der kurdischen Stadt Afrin in Rojava und das dortige Massaker durch das türkische Militär verteidigt hat. Ihm zufolge hätte die Türkei ja „gute Gründe“ für solch ein Verbrechen. Es ist überflüssig, in der Politik Deutschlands oder irgendeines anderen Staats Aufrichtigkeit zu suchen. Aber es macht wütend. Da werden Waffen, die bei Massakern gegen Kurden genutzt werden sollen, verkauft, da reist die Kanzlerin höchstpersönlich nach Ankara, um Wahlkampf für die Wiederwahl der AKP zu betreiben, da werden Massaker legitim gesehen, und wenn dann die HDP-Abgeordneten verhaftet werden, macht man sich plötzlich „große Sorgen“! Dieses Gerede um Sorge soll doch nur dazu dienen, die Mitverantwortung des deutschen Staats zu kaschieren.

Die Türkei ist am Scheideweg angekommen. Ein Schild zeigt in Richtung faschistisches Regime, das andere in Richtung Demokratie. An diesem Punkt muss jeder offen und klar Position beziehen. Wenn die Bundesregierung, deren Außenminister Anfang der Woche in die Türkei gereist ist, wirklich besorgt ist, dann muss sie ihre traditionelle Türkei-Politik beiseite legen und eine Politik verfolgen, die dem Kampf für Demokratie tatsächlich beiträgt.

Aber darüberhinaus sollten sich sowohl der deutsche Staat als auch andere Außenkräfte wirklich sorgen. Denn wir befinden uns momentan mitten in einem Dritten Weltkrieg. Der totale Krieg der AKP wird für schmutzige gemeinsame Interessen gern weggedacht, weggeschwiegen oder übersehen. Aber dieser Krieg kann schon bald diese Interessen befallen und dann wird das Übel nicht mehr aufzuhalten sein.

Das letzte Jahrhundert ist vor allem aus Sicht Deutschlands voller Lehren. Die Zeilen des Dichters Pablo Neruda, der während der Bombardierung von Almeria in Madrid chilenischer Konsul war, mahnen uns:

 

Ein Gericht für den Bischof, ein zerdrücktes und bittres Gericht,

ein Gericht aus Schrott, aus Asche, aus Tränen,

ein Gericht, gewürzt mit Seufzern und gestürzten Mauern,

ein Gericht für den Bischof, eine Schüssel Blut aus Almeria.

 

Ein Gericht für den Bankier, ein Gericht aus Wangen der Kinder aus dem sonnigen Süden,

ein Gericht aus Detonationen, irren Gewässern, Ruinen und Furcht,

ein Gericht aus gebrochenen Achsen und zertrampelten Köpfen,

ein schwarzes Gericht, eine Schüssel Blut aus Almeria.

 

Jeden Morgen, jeden trüben Morgen eures Lebens sollt ihr sie dampfend und brodeln auf eurem Tisch haben:

ihr werdet sie ein wenig beiseite schieben mit euren weichen Händen,

um sie nicht zu sehen, um sie nicht so oft auslöffeln zu müssen:

ihr werdet sie ein wenig beiseite schiebenzwischen Brot und Trauben

diese Schüssel schweigenden Blutes, die jeden Morgen da sein wird,

jeden Morgen.

 

Ein Gericht für den Oberst und für des Obersten Weib,

beim Fest in der Garnison, bei jedem Fest,

über den Fluchenden, Speienden, mit dem Weinlicht der Morgenröte

dass man es schaudernd sehen möge und kalt über der Welt.

 

Ja, ein Gericht für euch alle, Reiche hier und dort,

Gesandte, Minister, grässliche Tischgenossen,

Damen komfortabler Tees und Sessel:

ein wüstes überquellendes Gericht, schmutzig von armen Blut,

an jedem Morgen, für jede Woche, für allezeit,

eine Schüssel Blut aus Almeria, immerdar, vor euch.