Erdogans imperialistische Pläne und die Kurden

erdogan5Halit Ermis, Firatnews, 27.10.2016

Der türkische Staat versucht an zwei Fronten seinen Traum eines Neo-Osmanischen Reichs zu verwirklichen. Staatspräsident Erdoğan erklärt sein Vorhaben der Invasion irakischer und syrischer Städte mittlerweile ganz offen. Einer der Hindernisse auf diesem Weg sind die Kurden, die er skrupellos angreift und bekämpft.

Kann die Türkei aber einen neo-Osmanischen Staat auf Grundlage der Vernichtung der Kurden etablieren? Die Zeit wird das zeigen. Eines kann aber ganz klar gesagt werden: Der Geist und Verstand Erdogans ist von einer tiefen Feindseligkeit gegenüber den Kurden eingenommen.

Die Belagerung von Cerablus (Dscharablus) und der Versuch, gleiches in Mossul zu praktizieren, um eine imperiale Macht zu werden, sind potenzielle Quellen neuer Unruhen in der Region. Denn die Ziele, welche die Türkei verfolgt, stehen nicht im Einklang, sondern im Wiederspruch zu seinen alten regionalen Verbündeten.

Der erste Schritt: Die Ausweitung der Invasion von Rojava nach Aleppo

Erdogans Türkei pokert sehr hoch. In dem Spiel, das sie spielt, setzt sie auf Mal gute und Mal widersprüchliche Beziehungen zu den verschiedenen Akteuren, um den Eindruck zu vermitteln, dass die Kontrolle ihr unterliege. Das erste Ziel ist Rojava. Die Belagerung von Cerablus, um die Verbindung der Kantone zu Afrîn und Kobanê zu verhindern, ist Teil der imperialistischen Pläne. Vorgesehen sin die Einnahme von Al-Bab, Ezaz (Azaz), Marê und dann der Vormarsch weiter Richtung Aleppo. Wenn das einmal geschafft ist, wird die Türkei versuchen ihr Einflussgebiet in Richtung Minbîc (Manbidsch) und Afrîn auszuweiten. Im Visier steht ebenfalls Girê Spî (Tall Abyad). Durch eine Belagerung der Stadt sollen die Kantone Rojavas wieder in drei geteilt und somit die Bekämpfung der YPG und SDF in Kobanê und Minbic vereinfacht werden. Die anschließende Übernahme von Raqqa von den befreundeten IS-Einheiten ist dann nur noch Formsache. Der Wunsch auf Teilnahme an der Raqqa-Operation ist daher im Rahmen dieses Plans zu verstehen. Dies alles ist aber abhängig von der Beseitigung der YPG bzw. SDF auf der Al-Bab – Ezaz – Marê-Route.

Kann dieser Plan aufgehen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Plan wirklich aufgeht, geht gegen Null. Die Beseitigung der kurdischen Einheiten ist kein leichtes Unterfangen. Die aktuellen Erfolge der kurdischen Gruppen auf der Route Al-Bab – Ezaz – Marê ohne jegliche Unterstützung aus der Luft gegen türkisch-gestützte Gruppen sind Beweis dafür. Auch der geplante Angriff auf Girê Spî wird nicht einfach, denn die YPG hat hier eine gewisse Kraft gebündelt. Weiterhin muss in diesem Zusammenhang die Haltung der internationalen Koalition, also der USA, unter die Lupe genommen werden. Die Türkei hat von den Widersprüchen zwischen Russland und den USA profitiert und ist in Syrien einmarschiert. Die USA, die den Einmarsch in Cerablus noch bewilligte, betrachtet einen weiteren Vormarsch der Türkei wohl eher kritisch.

Der syrische Staat reagiert auf den Vormarsch der Türkei

Der Vormarsch der Türkei Richtung Al-Bab stößt sowohl bei Russland und den USA als auch bei dem syrischen Regime und dem Iran auf Widerstand. Vor Ausbruch des Bürgerkriegs hat das Syrische Regime selbst in schwierigen Zeiten stets immer bei den Anti-Kurden-Bündnissen der Türkei in der Region aktiv mitgewirkt. Als dann die Unruhen in Syrien anfingen, war Erdoğan der erste, der Assad den Rücken zukehrte. In der Folgezeit brachten der IS und weitere dschihadistische Gruppierungen, die von der Türkei unterstützt wurden und weiterhin werden, große Teile Syriens unter ihre Kontrolle. Selbst danach noch war das Regime bereit mit der Türkei zu verhandeln, was die zahlreichen geheimen Treffen im Laufe dieses Jahres beweisen. Als aber die Aleppo-Pläne der Türkei bekannt wurden, kam eine antikurdische Zusammenarbeit mit der Türkei für das syrische Regime nicht mehr infrage. All diese Ereignisse, deren Beginn der Einmarsch in Cerablus markiert, deuten auf eine Niederlage des türkischen Staats hin. Denn die Vorstellung Erdogans unter einer sunnitischen Vorherrschaft die Kontrolle über Aleppo zu erlangen, geht sowohl Assad als auch dem Iran gegen den Strich, weswegen das Vorhaben der Türkei wohl kaum zu verwirklichen sein wird.

Mossul ist Teil des gleichen Plans

Neben den Plänen in Syrien hat die Türkei auch Pläne für den Irak und speziell für Mossul. So versucht der türkische Staat mit allen Mitteln an der Offensive zur Befreiung der Stadt teilzunehmen. Ein türkisches Sprichwort sagt “falsche Pläne scheitern in Bagdad” und genau dies ist der Türkei widerfahren. Die Türkei begründet ihre Militärpräsenz in Bashika damit, dass sie vom ehemaligen Gouverneur Mossuls Atheel al-Nujaifi und der südkurdischen KDP eingeladen wurde. Die irakische Regierung wertet die Militärpräsenz der Türkei allerdings bei jeder Gelegenheit als Besatzung und erklärt, dass sie hierauf mit der passenden Reaktion antworten werde. Der Irak hat die Pläne des türkischen Staats dechiffriert und zusammen mit der Unterstützung internationaler Kräfte ins Leere laufen lassen. Erdogan, der sich selbst wie der Sultan fühlt, reagierte hierauf beleidigt mit den abwertenden Worten, “Rede nicht, du bist nicht meine Klasse“, auf den irakischen Ministerpräsident Al-Abadi.  Die irakische Regierung ließ sich davon aber nicht beeindrucken und wich keinen Millimeter von der eigenen Stellung ab. Daher ist die Türkei in der zweiten Woche der Mossul-Offensive noch immer kein Teil der Koalition zur Befreiung der Stadt.

Erdogan versucht dem sog. Nationalpakt (misak-i milli) wieder neues Leben zu geben. Während Aleppo den einen Teil des Plans darstellt, sind Mossul, Tal-Afar und Shengal die Schlüssel auf dem Weg nach Kirkûk, Hewlêr und Silemanî. Hieran wird bereits seit Dezember 2015 gearbeitet, als das türkische Militär seine Einheiten von Dûhok nach Bashika verlagerte und dort verschiedene sunnitische Stämme ausbildete. Die jüngsten IS-Angriffe auf Kirkûk verdeutlichen die Pläne der Türkei. Kirkûk ist strategisch aufgrund der Ölvorkommen und der geografischen Lage und wird daher von der Türkei stets als “türkische Stadt” bezeichnet.

Schlafende Zellen des türkischen Geheimdiensts

Erinnern wir uns daran, dass im vergangenen Jahr in den Medien Berichte über schlafende Zellen auftauchten, die wohlmöglich von der Türkei gemeinsam mit dem Geheimdienst der KDP gebildet wurden.

Auch in vergangenen Tagen tauchte ein Bericht in einer südkurdischen Zeitung auf, der die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT in Kirkuk dokumentierte. Laut dem Bericht sollen diese schlafenden Zellen auf Befehl aktiv werden und für Spannungen zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen sorgen. Insbesondere Turkmenen sollen Ziel der Angriffe werden, um der Türkei ein Alibi für eine Invasion zu geben.

Vier Fliegen mit einer Klappe

Die Türkei möchte mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zunächst soll der “Nationalpakt” von vor einhundert Jahren wieder Leben finden, also die Grenzen der Türkei sich in Richtung Nordsyrien und Nordirak verschieben.  Als zweites soll die kurdische Freiheitsbewegung, die im Mittleren Osten sehr viel Zustimmung findet, als Ganzes vernichtet und eine ihre mögliche internationale Anerkennung verhindert werden. Dies wird sowohl in Südkurdistan, in Rojava als auch in Nordkurdistan angstrebt, indem die Guerilla attackiert und die legal-politische Bewegung kriminalisiert wird. Jüngste Beispiele hierfür sind die Verhaftungen der Bürgermeister von Amed (Diyarbakir). Ziel ist es, das Volk führungslos zu lassen und den Widerstand auf Dauer zu beseitigen. Als drittes steht Rojava im Vordergrund, das nach türkischer Sicher unter keinen Umständen einen offiziellen Status erlangen darf. Und zuletzt soll die Türkei und insbesondere Erdogan aus einem sunnitisch-schiitischem Konflikt im Mittleren Osten als “Retter” und “Führer” hervorgehen.

Diese Pläne Erdogans sind derzeit auf den Widerstand der kurdischen Freiheitsbewegung, dem Protest der irakischen Regierung und dem schiitischen Iran-Syrien-Block gestoßen und zum größten Teil ins Leere gelaufen. Erdoğan pokert zwar hoch, wird aber Haus und Hof verlieren.