Alles Geschehen hat eine Vergangenheit

azadi-transparent2Der Angriff auf kurdische Exilstrukturen seit Jahren international vorbereitet und koordiniert
Monika Morres, AZADÎ e. V., 3. Februar 2013

Es war im September 2012, als Ministerpräsident Tayyip Erdogan gegenüber dem türkischen Privatsender NTV wieder einmal Deutschland und Frankreich bezichtigte, sein Land nicht konsequent genug im Kampf gegen die PKK unterstützen zu wollen, weil dort »Terroristenführer frei verkehren« könnten. Während Emissäre des türkischen Geheimdienstes MIT den Gesprächsfaden mit Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali wieder aufgenommen haben, wurden ausgerechnet in Paris die kurdischen Genossinnen Sakine, Fidan und Leyla von »unbekannten Tätern« ermordet. Der Dialogprozess ist vorerst zunichtegemacht. Nationalistische Kräfte in der Türkei und solche auf internationaler Ebene, die ein Interesse daran haben, Gespräche mit der PKK über eine politische Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt zu verhindern, gibt es genügend.

Kurdische Bewegung soll liquidiert werden

Weder die Stigmatisierung der kurdischen Bewegung als eine terroristische Vereinigung noch die seit Jahren anhaltende Verfolgung tausender kurdischer Politikerinnen und Politiker, Jurist_innen, Journalist_innen, von Kindern und Jugendlichen, die wegen mutmaßlicher PKK- bzw. KCK-Mitgliedschaft inhaftiert und vor Gericht gezerrt werden, noch das Schweigen der internationalen Staatengemeinschaft zu diesen Vorfällen haben dazu geführt, dass Kurdinnen und Kurden ihren Kampf für eine gerechte, friedliche und selbstbestimmte Zukunft aufgegeben haben. Das gilt nicht nur für die Türkei. Auch die strafrechtliche Verfolgung politisch aktiver Kurdinnen und Kurden in Europa, die der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (in der BRD: § 129b StGB) beschuldigt und angeklagt werden, hat zur Einstellung politischen Engagements geführt.

Welche Kreise also haben Überlegungen angestellt, mit welchen (weiteren) Methoden sie das angestrebte Ziel der Liquidierung der kurdischen Bewegung erreichen könnten, wenn die bisherigen Strategien nicht zum erwünschten Erfolg geführt haben?

Dass Staaten auch nicht vor Verbrechen zurückschrecken, wenn Personen, Organisationen oder Bewegungen konsequenten Widerstand leisten gegen staatliche Interessen und mit ihren Ideen und Aktivitäten auf zunehmende Resonanz in der Bevölkerung stoßen, ist keineswegs neu.

Die Methode, Strukturen einer relevanter werdenden Bewegung auszuforschen, sie zu kriminalisieren und zu dämonisieren, ihre Aktivist_innen des Terrorismus zu bezichtigen und gar deren Tod zu planen, soll das nachfolgende Beispiel verdeutlichen. Es zeigt (wieder einmal), dass die Realität mitunter ungleich abstoßender ist als jede noch so abstrus wirkende Verschwörungstheorie.

USA: »Occupy«-Aktivisten sollten exekutiert werden

In der jungen Welt vom 11. Januar erschien ein Beitrag, der sich mit freigegebenen Geheimdokumenten der US-Bundespolizei befasste, denen zufolge es Mordpläne gegen Protagonisten der antikapitalistischen Bewegung »Occupy Wall Street« gegeben habe. Schlüsselpersonen sollten identifiziert und »im Rahmen eines koordinierten Angriffs mit Scharfschützengewehren exekutiert werden«, heißt es in dem Text. Die Herausgabe dieser Dokumente hatte die Bürgerrechtsorganisation »Partnership for Civil Justice Fund« im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes der USA gerichtlich erzwungen.

Dies haben sowohl die US- als auch die meisten europäischen Medien ignoriert, obwohl üblicherweise jede noch so geringe Drohung gegen US-Bürger_innen, gleichgültig, wo sie leben, als Sensationsmeldung verbreitet wird.

Dass das »Federal Bureau of Investigation« (FBI) von Mordplänen gewusst hat, ist aus den 122 Seiten umfassenden Dokumenten ersichtlich. Da heißt es u. a.: »…[Name geschwärzt] plante, die Anführer der Protestgruppen nachrichtendienstlich zu bearbeiten und Fotos zu machen und dann einen Plan auszuarbeiten, um die Führung [der Protestbewegung, jW] mit schallgedämpften Scharfschützengewehren zu töten.«

Agent provocateur sollte »Occupy«-Bewegung diffamieren

Aus anderen Stellen geht hervor, dass sowohl die Bundespolizei als auch die US-Strafverfolgungsbehörden die Aktivisten von »Occupy« seit ihren Protesten im September 2011 als Kriminelle oder inländische Terroristen eingestuft haben. Keine dieser Behörden hat die mit dem Tod bedrohten Personen geschützt oder versucht, der Mordverschwörung gegen die Aktivist_innen der »Occupy«-Bewegung nachzugehen. Entgegen sonstiger Gepflogenheit des FBI wurden die geplanten Mordpläne den betroffenen Aktivisten nicht mitgeteilt.

Das Netzwerk aus FBI, Heimatschutzbehörde und Polizei einerseits sowie privaten so genannten Sicherheitsdiensten, »deren Aktivitäten unter dem gemeinsamen Dach mit dem Namen Domestic Security Alliance Council zentral geplant und lokal ausgeführt wurden«, sei erschreckend, schrieb die US-Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Naomi Wolf im britischen Guardian.
Nach einem Bericht der Huffington Post hat das FBI auch einen wegen Bankraubs verurteilten Mann als Agent Provocateur angeheuert, der einige arbeitslose Jugendliche gegen Arbeit, Alkohol und Drogen dazu brachte, unter seiner Führung eine Bombe herzustellen. Zum geeigneten Zeitpunkt dann wurden die Jugendlichen vom FBI festgenommen und »Occupy« sollte als terroristisch diffamiert werden.

Geheime Dokumente aus der US-Botschaft in Ankara

Dass es sich bei der Tat von Paris um einen gezielten Angriff auf die PKK und ihre Organisationen, den begonnenen Dialogprozess und insbesondere auf die erfolgreiche kurdische Frauenbewegung gehandelt hat, dürfte fraglos sein.

Wie die junge Welt vom 14. Januar berichtete, hat Wikileaks nun ein Geheimdokument der US-Botschaft in Ankara vom Dezember 2007 veröffentlicht. In dem Papier geht es um das Bemühen der US-amerikanischen und türkischen Administrationen, Geldtransfers an die PKK im Gebiet der kurdischen Autonomieregion im Nordirak zu unterbinden. Zu »Top-Zielen« erklärt werden Sakine Cansiz – »Finanzexpertin« und »Strategin« – sowie der mutmaßliche PKK-Kader Riza Altun erklärt. Deren Festnahme würden die PKK-Aktivitäten in Europa begrenzen und signalisieren, dass es in Europa keine sichere Zone für Geldsammlungen gebe. Aus diesem Grunde solle Druck auf die EU-Länder ausgeübt werden, entsprechende Maßnahmen gegen die beiden zu ergreifen.

Ein Blick zurück und ins Detail ist vielleicht hilfreich.

Alles Geschehen hat eine Vergangenheit – Entwicklung der Anti-PKK-Koordination

Fünf Jahre nach den Anschlägen des 11. September strebten die USA eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei und den europäischen Ländern gegen den »internationalen Terrorismus« an, in diesem Fall gegen die kurdische Befreiungsbewegung, deren politischen Ziele und Ideologie den US-amerikanischen Interessen diametral entgegenstanden und -stehen. Das bewog die USA, erst die PKK, später KADEK und KONGRA-GEL auf die UN-Terrorliste zu setzen. So wurde zur Entwicklung eines gemeinsamen Strategie- und Zeitplans im Herbst 2006 die »Anti-PKK-Koordination« gegründet. Als »Sonderkoordinator« hatte die Bush-Regierung schon am 28. August 2006 den ehemaligen Oberkommandierenden der NATO-Truppen in Europa, Joseph Ralston, nominiert. Der Ex-General ist zu dieser Zeit auch Vorstandsmitglied der Rüstungsfirma Lockheed Martin gewesen, von der die Türkei damals etliche F-16-Flugzeuge gekauft hat. Aktiv war der Militarist ferner im Türkisch-Amerikanischen Rat, in dem zahlreiche Wirtschaftskonzerne der USA und Türkei organisiert sind.

Bekanntgeworden ist Ralston zu Zeiten des Jugoslawienkrieges ferner durch seine Unterstützung für die albanische Terror­organisation UCK.

Die Türkei berief in dieses Gremium den Ex-General Dr. Halit Edip Baser. Er hatte zu dieser Zeit den Vorsitz des wichtigsten Think-Tanks des türkischen Militärs inne – des »Europäisch-asiatischen Zentrums für strategische Forschung« (ASAM).

Ankaras Liste der 150

Bei einem Besuch Ralstons in Ankara am 13. September 2006 wurde diesem eine Liste mit den Namen von 150 Personen übergeben, deren Auslieferung die Türkei erwartet. Einer Meldung des TV-Senders CNN Türk zufolge wollte die türkische Regierung auf diese Weise die Ernsthaftigkeit der USA testen, mithilfe des Koordinationsmechanismus tatsächlich gegen die PKK vorzugehen.

Eine solche Liste mit der magischen Zahl 150 spielte schon einmal eine Rolle: Im Dezember 2001 überreichte der damalige türkische Innenminister Rüstü Kazim Yücelen seinem deutschen Amtskollegen Otto Schily (SPD) den Steckbrief mit den Namen von überwiegend kurdischen Oppositionellen, deren Auslieferung die Türkei einforderte – darunter auch 33 Abgeordnete des Kurdischen Exilparlaments.

Nach der Installierung des Anti-PKK-Gremiums entwickelte sich eine rege Reisetätigkeit aller an diesem Superkriminalisierungsprozess beteiligten Regierungen, Arbeitsgruppen auf den verschiedenen politischen, juristischen und polizeilichen Ebenen wurden gebildet und die Anti-PKK-Propagandamaschinerie in Gang gesetzt.

US-Koordinator Urbancic verglich PKK mit einem Kraken

Anfang Dezember 2006 unternahm der Stellvertreter der nach dem 11.9.2001 gegründeten Abteilung Antiterrorkoordination des US-Außenministeriums, Frank Urbancic(1), eine gemeinsame zehntägige Reise mit dem Direktor des ebenfalls dem US-Außenministerium unterstehenden Südosteuropabüros durch sechs europäische Länder. Begleitet wurden die beiden von Spezialisten der Außen-, Justiz- und Finanzministerien sowie Sicherheitsexperten. Es ging darum, Strategien zur Niederringung der PKK zu erarbeiten. Die Reise hätte unter klandestinen Umständen stattfinden sollen. Ganz gelang das nicht. Zumindest ist seinerzeit bekanntgeworden, dass Frankreich, Deutschland und Belgien zu den auserwählten Ländern gehörten und die Türkei den Schlusspunkt der Konsultationen bildete. Dort trafen die Entsandten u. a. mit dem damaligen Generaldirektor der geheimdienstlichen Abteilung des Außenministeriums, Hayati Güven, sowie dem türkischen Anti-PKK-Koordinator Edip Baser zusammen.

In einem Gespräch mit dem türkischen Fernsehsender NTV verglich Urbancic die PKK mit einem Kraken, der seine Arme überall ausstrecke, weshalb »jeder Arm angegriffen« werden müsse. Weiter erklärte er, dass der zum 1. Oktober 2006 von der Befreiungsbewegung ausgerufene einseitige Waffenstillstand nicht angenommen werde: »Wir sind davon überzeugt, dass der PKK ein Ende bereitet werden muss. Sie muss ihre Waffen niederlegen. Mit Kontaktaufnahme oder Waffenstillstand beschäftigen wir uns nicht.«

Außerdem kritisierte Urbancic das Verhalten Dänemarks, von wo aus der kurdische Fernsehsender ROJ TV seit dem Jahre 2004 seine Beiträge ausstrahlte. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass von dort aus Propaganda für die PKK betrieben werden könne.

Kurdische Medien im Fokus – Deutsche Regierung turnt vor

Zu jener Zeit hieß der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen.(2)

Allen Forderungen seitens der türkischen Regierung, ROJ TV die Lizenz zu entziehen, widerstand er mit dem Verweis darauf, dass in Dänemark das demokratische Prinzip der Meinungs- und Pressefreiheit gelte und die Behörden danach handelten. Diese sahen sich nach mehrfachen Überprüfungen nicht veranlasst, die Ausstrahlung von Sendungen zu unterbinden.

Doch sowohl die USA als auch die Türkei forcierten den Druck auf Dänemark und die übrigen EU-Länder. Deutschland turnte vor: Am 13. Juni 2008 erließ der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) »im Geltungsbereich des [deutschen] Vereinsgesetzes« ein Verbot der in Dänemark ansässigen Firmen ROJ TV A/S und Mesopotamien Broadcast A/S METV. Einen Monat zuvor waren die Studioräume von ROJ TV in Wuppertal sowie die für den Sender produzierende Firma VIKO in Köln durchsucht und geschlossen worden. Begründet wurden die Maßnahmen mit der Behauptung, bei ROJ TV handele es sich um ein »Sprachrohr« der PKK. Dass sich später auch Dänemark diesem Druck beugte, hatte einen besonders perfiden Hintergrund.

2009 wurde das Amt des Generalsekretärs der NATO vakant und der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen stand als Kandidat zur Diskussion. Diesem Plan widersetzte sich die Türkei vehement, u. a. mit dem Hinweis auf die Weigerung von Anders Fogh Rasmussen, ROJ TV zum Schweigen zu bringen. Er ließ sich »überzeugen« und sagte zu, entsprechende Schritte einzuleiten.

Seit dem 1. August 2009 ist Rasmussen NATO-Chef in Brüssel und in Kopenhagen laufen seitdem alle polizeilichen und juristischen Maßnahmen gegen den kurdischen Fernsehsender.
Am 4. März 2010 trat auch Belgien auf den Plan, ließ die Studios von ROJ TV, die Büros des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) sowie Dutzende Privatwohnungen durchsuchen und 15 Kurden festnehmen, darunter den Vorsitzenden des KONGRA GEL, Dr. Remzi Kartal, und dessen Vorgänger, Zübeyir Aydar, um deren Auslieferung die türkische Regierung schon längere Zeit bemüht ist.

Anti-PKKler-Treffen in Stuttgart

Am 11. Dezember 2006 waren der US-«Anti-PKK«-Koordinator Joseph Ralston und sein türkischer Kollege Edip Baser im US-amerikanischen Militärstützpunkt in Vaihingen bei Stuttgart zusammengetroffen. Hierbei sind ein Zeitplan erstellt und eine Vereinbarung über das gemeinsame Vorgehen im Kampf gegen die PKK geschlossen worden, z. B. Aufruf an PKK-Mitglieder zur Kapitulation, der Unterbindung von Tätigkeiten im Irak und anderen Ländern, des Austrocknens der Finanzierungsquellen der Organisation sowie der Ergreifung von hochrangigen Führungsmitgliedern der PKK sowie ihre Auslieferung an die Türkei.

Am 25. und 26. Januar 2007 fand in Istanbul unter Vorsitz der Sprecherin der US-Botschaft, Kathy Schalow, ein »Runder Tisch« statt zum Thema »Kampf gegen die PKK und den internationalen Terrorismus«, an dem Juristen, Staatsanwälte sowie Angehörige der Sicherheits- und Geheimdienste der Türkei, USA, aus Holland, Frankreich und Großbritannien teilnahmen. Auf der Agenda stand die Planung, interaktive Arbeitsgruppen zu den verschiedenen Bereichen des so genannten Antiterrorkampfes einzurichten, insbesondere zur Strategie einer internationalen Zusammenarbeit hinsichtlich der strafrechtlichen Verfolgung der PKK im Jahre 2007.

Razzien in Europa und Proteste

Ende Januar 2007 kam es in mehreren deutschen Städten zu zahlreichen Razzien in kurdischen Vereinen und Durchsuchungen von Privatwohnungen.

Gleiches ereignete sich in Großbritannien, Belgien und insbesondere in Frankreich. Die französische Justiz ließ in den Tagen vom 5. bis 6. Februar 15 teils prominente kurdische Politiker wegen des Vorwurfs einer angeblichen »Finanzierung von Terrorismus« verhaften, darunter den Mitbegründer der PKK, Riza Altun und Nedim Seven. Gegen diese konzertierten Polizeiaktionen protestierten tausende Kurdinnen und Kurden u. a. in London, Brüssel, Paris und Hamburg vor französischen Konsulaten und forderten die Freilassung der Festgenommenen.

Riza Altun wurde am 23.2. freigelassen und hat das Land verlassen. In Österreich ist er im Juli 2007 nach neun Tagen Haft wieder auf freien Fuß gesetzt worden und konnte sich in den Nordirak absetzen. Dort habe Berichten von Insidern zufolge Frankreich versucht, ihn nach der Landung verhaften zu lassen, was nicht stattfand. Der österreichische Botschafter wurde ins türkische Außenministerium zitiert und ihm bedeutet, dass es »inakzeptabel« sei, einen per Interpol gesuchten »Terroristen« ausreisen zu lassen.

März 2007: Sakine Cansiz in Auslieferungshaft genommen

In der Folgezeit nahmen auch die Auslieferungsersuchen der Türkei sprunghaft zu.

Am Abend des 19. März 2007 ist die kurdische Politikerin Sakine Cansiz in Hamburg festgenommen worden. Grundlage war ein vom Staatssicherheitsgericht in Malatya ausgestellter Internationaler Haftbefehl, mit dessen Hilfe die Türkei die Auslieferung von Sakine Cansiz wegen »Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation« erreichen wollte. Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts jedoch lehnte am 25. April eine Auslieferung ab und hob den Haftbefehl auf.

Die Entscheidungen der deutschen und österreichischen Gerichte führten in der Türkei wie erwartet zu heftigen Protesten.

Dass die koordinierte Bekämpfung der kurdischen Strukturen und ihrer Vertreter_innen durchgehend auf der strafrechtlichen Verfolgungsagenda steht, zeigen die permanenten Angriffe seitens der Türkei. Dass sich die Aggressionen insbesondere gegen kurdische Politiker richten, die in der einen oder anderen Weise in politische Lösungsprozesse eingebunden waren oder sind, ist auch aus dem nachfolgenden Kapitel ersichtlich.

Türkischer Ministerpräsident Erdogan kritisiert erneut Frankreich und Deutschland –
Festnahme von Adem Uzun, Vorstandsmitglied des Kurdischen Nationalkongresses (KNK)

Den Vorwürfen von Ministerpräsident Erdogan folgte eine prompte Reaktion der Regierung des französischen »Sozialisten« François Hollande: Am 6. Oktober 2012 wurde Adem Uzun von Kräften der Anti-Terror-Behörde in Paris festgenommen. Im Zuge eines im Juli letzten Jahres eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wegen angeblicher Organisationsfinanzierung hat die Polizei neben einem weiteren Kurden in Paris am darauffolgenden Tag zwei Kurden in den nordwestlichen Gemeinden Évron und Saint-Ouen-l’Aumône festgenommen.

Wie die Föderation kurdischer Vereine in Deutschland, YEK-KOM, in ihrer Pressemitteilung vom 12. Oktober erklärte, handele es sich bei Adem Uzun um das geschäftsführende Vorstandsmitglied des Kurdischen Nationalkongresses (KNK). Er sei als Delegierter des KNK für diplomatische Arbeiten nach Paris gereist, um die anstehende »Westkurdistan(Nordsyrien)«-Konferenz am 13. Oktober mit vorzubereiten. Er bemühe sich seit Jahren um eine »friedliche und politische Lösung des Konflikts zwischen der Türkei und der kurdischen Bevölkerung«. Die Verhaftung bedeute einen weiteren Schlag gegen die Friedensbemühungen des kurdischen Volkes und sei als »direkte Unterstützung des türkischen Staatsterrors« zu bewerten. Es handele sich um einen »politischen Akt, welcher im Zusammenhang mit der steigenden Repression gegen kurdische Aktivist_innen in ganz Europa« stehe. Kritik übt YEK-KOM auch am französischen Präsidenten François Hollande, der »als Sozialist vor der Wahl eine offene und solidarische Politik angedeutet und versprochen« habe. Doch unterscheide sich dessen Politik kaum von der der konservativen Sarkozy-Regierung.

Frankreich: Rund 200 Festnahmen seit 2007

Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur ANF zufolge sind in Frankreich seit dem Jahre 2007 rund 200 kurdische Aktivist_innen »ohne jeglichen Grund festgenommen und inhaftiert« worden. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft im Jahre 2011 das Ahmet-Kaya-Kulturhaus in Paris geschlossen. YEK-KOM beklagt, dass sich die europäischen Staaten »immer wieder« zu »Handlangern« der kurdenfeindlichen türkischen Politik machten, »indem sie in ihren Ländern ebenfalls kurdische Aktivist_innen einsperren und zu Haftstrafen verurteilen«.
Auch die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) kritisiert die Verhaftungen scharf und erinnert in ihrem Statement an die unrühmliche Rolle, die Frankreich 1923 bei der Vierteilung Kurdistans gespielt habe, und fordert die französischen Behörden auf, ihre antagonistische Haltung gegen den Freiheitskampf der Kurden aufzugeben. Derzeit scheint es aber in eine andere Richtung zu gehen. Ende September war bekannt geworden, dass die französische Regierung ein gemeinsames Abkommen mit der Türkei über eine engere Zusammenarbeit just an dem Tag unterzeichnet hat, an dem die Kurden festgenommen worden sind – quasi als Zeichen der Ernsthaftigkeit Frankreichs. Wie dem MESOP-Newsletter vom 9. Oktober zu entnehmen war, soll im Rahmen dieser Kooperation auch über die künftige Auslieferung inhaftierter PKK-Mitglieder verhandelt und eine Vereinbarung geschlossen worden sein. Der Tageszeitung »Zaman« zufolge soll es hierbei u. a. um die kurdischen Aktivisten Nedim Seven und Canan Kurtyilmaz gegangen sein.

Aus Anlass der Eröffnung der neuen türkischen Botschaft am 30. Oktober 2012 war Ministerpräsident Erdogan zu einem mehrtägigen Besuch nach Berlin gereist. Auf dem Programm stand auch ein Treffen mit Kanzlerin Merkel – Gesprächsthemen: EU-Beitrittsverhandlungen, Syrien-Konflikt und selbstverständlich die PKK.

Dieser (unvollständige) Blick auf die Hintergründe einer international gesteuerten Bekämpfung der kurdischen Bewegung, ihrer Strukturen und ihrer Aktivistinnen und Aktivisten macht deren Bedeutung und Gefährlichkeit deutlich. Die schmutzigen Kräfte, die sich die Liquidierung der PKK und ihrer Organisationen auf ihre Fahnen geschrieben haben, werden vermutlich nicht ruhen.

AKP´ler Sahin: Etwas Ähnliches wie in Paris könnte auch in Deutschland passieren – Ministerpräsident Erdogan fordert beschleunigte Auslieferungen

Kaum war dieser letzte Satz geschrieben, meldete die Nachrichtenagentur ANF am 21. Januar 2013, dass der stellvertretende türkische Ministerpräsident M. Ali Sahin auf einer Versammlung der AKP in Karabük erklärt hat, dass etwas Ähnliches wie in Paris auch in Deutschland geschehen könnte. Konkret äußerte er: »Wir machen die Länder der EU, Frankreich und Deutschland immer wieder darauf aufmerksam. Wir sagen ihnen, dass sie falsch handeln, indem sie den Mitgliedern der PKK-Terrororganisation in ihren Ländern freies Handeln gewähren. ›Ihr ernährt die Schlange in Eurem Schoß‹, sagen wir ihnen. Aber sie haben es bisher nie ernst genommen. Wir haben so oft die Auslieferung von PKK-Mitgliedern verlangt.

Aber sie haben nie darauf reagiert. Aber so langsam sehen sie auch, was ihnen dadurch zustoßen kann. Ich befürchte, dass sich in den folgenden Tagen und Wochen auch in Deutschland ähnliche Vorfälle ereignen können.«

Den Beweis, dass es sich hier nicht etwa um den verbalen Ausfall eines Einzelnen gehandelt hat, lieferte der Ministerpräsident selbst wenige Tage später. Gegenüber dem Fernsehsender KANAL 24 erklärte Recep Tayyip Erdogan, dass ihm der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy versichert habe, gegen die Führung der PKK in Frankreich vorzugehen und sie an die Türkei auszuliefern. Dies jedoch sei nicht geschehen. Des Weiteren forderte er Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut dazu auf, gegen kurdische und linke Aktivist_innen in Deutschland beschleunigt juristisch vorzugehen.

Warten wir ab, was Bundeskanzlerin Merkel oder Außenminister Guido Westerwelle bei ihrem nächsten offiziellen Besuch – möglicherweise Ende Februar – in Ankara zu hören bekommen. Ob auch die Drohungen ihrer Gesprächspartner auf der Agenda stehen werden?

(1) Frank Urbancic war in der Zeit zwischen 1999 und 2002 Generalkonsul in Istanbul. Kontakt zu Tayyip Erdogan hatte er bereits vor Gründung der AKP. Es wurde gar von einer „Männerfreundschaft“ gesprochen.
(2) Rasmussen war von 1998 bis 2009 Vorsitzender der rechtsliberalen Venstre-Partei und von 2001 bis 2009 dänischer Ministerpräsident.

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[Der Artikel ist eine leicht überarbeitete Fassung des im AZADÎ-Infodienst Nr. 121 vom Januar 2013 erschienenen Beitrags gleichen Titels.]

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