Internationale Repressionsstrategie gegen die kurdische Bewegung und die türkische Linke

tatort KurdistanInternationale Repressionsstrategie gegen die kurdische Bewegung und die türkische Linke, von Dr. Elmar Millich

Die kurdische Befreiungsbewegung sieht sich als eine der wenigen säkularen emanzipatorischen Kräfte im Mittleren Osten zurzeit den stärksten Angriffen der letzten Jahre ausgesetzt. Seit den Kommunalwahlen von 2009 wurden im Rahmen der sogenannten KCK-Verfahren über 6 000 kurdische PolitikerInnen, JournalistInnen, GewerkschafterInnen und Angehörige vieler weiterer Personengruppen inhaftiert. Alle, die den Kriegskurs der AKP-Regierung in der kurdischen Frage kritisieren, laufen Gefahr, wegen angeblicher Unterstützung des Terrorismus inhaftiert und angeklagt zu werden. Diese Politik der Türkei erfolgt in enger Abstimmung mit der EU und den USA. In Deutschland werden seit 2010 kurdische AktivistInnen erstmalig nach § 129b (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung) angeklagt. Eine für den 26. November 2011 in Berlin geplante Großdemonstration gegen das PKK-Verbot wurde untersagt. Zunehmend sind Personen, die sich in den kurdischen Vereinen engagieren, mit der Androhung einer Abschiebung in die Türkei konfrontiert.

Auch die kurdischen Exilmedien stehen im Fokus der Angriffe, wie das De-facto-Sendeverbot für den kurdischen Fernsehsender ROJ TV Anfang dieses Jahres gezeigt hat. Im Rahmen der Kampagne TATORT KURDISTAN wurde auf der Konferenz in Köln die internationale Repressionsstrategie gegen die kurdische Befreiungsbewegung und die türkische Linke analysiert. Ausgerichtet wurde die Konferenz vom Rechtshilfefonds AZADÎ e. V.

Aktuelle Situation in der Türkei/Kurdistan | Zum Auftakt am Freitagabend referierte der Historiker und Journalist Dr. Nikolaus Brauns über den Machtkampf zwischen der AKP und den Kemalisten seit der Regierungsübernahme von Minis­terpräsident Recep Tayyip Erdoğan im Jahre 2002. Die Kräftekonstellation lässt sich ihm zufolge als Dreieck erfassen, mit den Eckpunkten AKP, Kemalisten und der kurdischen Bewegung sowie türkischen Linken. Wurde die AKP anfangs in Deutschland aufgrund ihrer islamischen Wurzeln skeptisch betrachtet, gelang es Erdoğan durch eine konsequent wirtschaftsliberale Politik, sich die Unterstützung der EU und der USA zu sichern. Den Höhepunkt erreichte der Machtkampf zwischen AKP und Kemalisten im Jahre 2007 mit der Nominierung von Abdullah Gül als Staatspräsident. Das Militär drohte offen mit einem Putsch. Ende 2007 wurde dann ein Kompromiss auf Kosten der kurdischen Bewegung geschlossen. Mit Billigung der USA erfolgte Anfang 2008 der als „ZAP-Offensive“ bekannte Einmarsch der türkischen Armee in von der PKK kontrollierte Gebiete im Nordirak, der aber als militärisches Desaster endete. Parallel entledigte sich die AKP mit den beginnenden ERGENEKON-Verfahren der nationalistischen Hardliner unter den Kemalisten. Spätestens seit dem Rücktritt des gesamten Generalstabs 2011 hat die AKP die Auseinandersetzung endgültig gewonnen. Um auch in den von der kurdischen „Partei für Frieden und Demokratie“ (BDP) dominierten kurdischen Gebieten an Einfluss zu gewinnen, startete die türkische Regierung nach den Kommunalwahlen 2009 die sogenannten KCK-Verfahren, in deren Folge aktuell über 6 000 Personen aus dem Umfeld der BDP, aber auch JournalistInnen, GewerkschafterInnen, MenschenrechtlerInnen und Intellektuelle inhaftiert sind. Aktuell berichtete Dr. Braun von sich abzeichnenden Spannungen zwischen der Fethullah-Gülen-Bewegung und Teilen der AKP. Dass die AKP nach wie vor auch eine islamistische Agenda betreibt, zeigt die vor kurzem angekündigte Bildungsreform, die den Besuch von Koran-Schulen forciert und wahrscheinlich zu Lasten der Bildung junger Frauen geht.

Strafrechtliche Verfolgung nach § 129b | Über die strafrechtliche Verfolgung von Kurdinnen und Kurden in Deutschland wegen ihrer politischen Betätigung berichtete die Hamburger Rechtsanwältin Cornelia Ganten-Lange. Im Mittelpunkt standen die seit 2010 erstmals auch gegen KurdInnen angestrengten Verfahren nach § 129b StGB. Der Paragraph, bereits 2002 im Rahmen der Antiterrorgesetze ins Strafgesetzbuch aufgenommen, wurde bisher hauptsächlich gegen islamistische Kreise angewendet. Allerdings sind auch bereits Verfahren nach § 129b gegen Personen geführt worden, die von den Anklagebehörden der tamilischen LTTE oder der türkischen DHKP-C zugerechnet wurden. Bezeichnend für den § 129b ist, dass er der einzige Strafrechtsparagraph ist, bei dem die Staatsanwaltschaften eine Genehmigung des Bundesjustizministeriums einholen müssen, bevor sie Ermittlungen einleiten können. Der durch die Erteilung einer Ermächtigung gewährte politische Einfluss auf die Aufnahme von Ermittlungen stellt ein gesetzgeberisches Novum im materiellen Strafrecht dar. Diese Ermächtigung wurde im September 2011 generell für Ermittlungen und Anklagen gegen mutmaßliche führende FunktionärInnen der PKK erteilt. Gegen drei kurdische Personen laufen derzeit Pilotverfahren in Deutschland, eine weitere Person befindet sich in Auslieferungshaft in der Schweiz. Frau Ganten-Lange wies darauf hin, dass die Ermächtigung seitens des Justizministeriums jederzeit ausgeweitet werden kann, so dass nicht nur gegen mutmaßliche führende FunktionärInnen der PKK ermittelt werden kann, sondern eine rechtliche Grundlage zur Verfolgung jeder Form politischen Engagements für die kurdische Frage in Deutschland gegeben wäre. Ein weiteres Problem der Verfahren nach § 129b besteht darin, dass die zur Last gelegten Straftaten und damit die Beweismittel in der Türkei liegen. In den laufenden Strafverfahren werden die betroffenen Personen sowohl für Angriffe der kurdischen Volksverteidigungskräfte (HPG) auf militärische Ziele als auch für Angriffe der sogenannten „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK) auf Zivilis­tInnen verantwortlich gemacht. Letzteres dürfte in den anstehenden Prozessen besonders umstritten sein, weil die PKK jeden Zusammenhang mit den TAK von sich weist. Eine entscheidende Rolle wird in den Pilotverfahren auch spielen, ob die Aktionen der PKK durch das (Kriegs-)Völkerrecht gedeckt sind. Frau Ganten-Lange wies darauf hin, dass sich KCK-Verfahren in der Türkei und die § 129b-Verfahren in Deutschland prinzipiell ähnlich sind, da es sich bei beiden um Organisationsdelikte handelt, die keinen individuellen Straftatnachweis erfordern.

Ausländerrechtliche Schikanen gegen Kurdinnen und Kurden | Über ausländerrechtliche Schikanen gegen KurdInnen berichtete Rechtsanwältin Heike Geisweid, Vorstandsmitglied bei AZADÎ und Vorsitzende von MAF-DAD (Verein für Demokratie und Internationales Recht). Im Rahmen der Antiterrorpakete von 2002 wurden auch gravierende Gesetzesänderungen im Ausländerrecht beschlossen. Die Änderungen betreffen Ausweisungen, Asyl- und Einbürgerungsverfahren. So führt die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auch nachträglich zu einer Asylaberkennung wegen „Unwürdigkeit“. Das führt in der Praxis dazu, dass vielen Kurdinnen und Kurden in der BRD das Asylrecht aus genau den Gründen aberkannt wird, wegen denen sie es oft viele Jahre zurückliegend zugesprochen bekommen hatten. Mit der Ab­erkennung des Asyls ist in der Regel ein Rückfall in die „Duldung“ verbunden, die unterste Stufe im Ausländerrecht. Bei Einbürgerungsanträgen werden von den Ausländerämtern routinemäßig Auskünfte bei den Verfassungsschutzämtern angefordert, zu denen die AntragstellerInnen dann Stellung nehmen müssen. Schon der Besuch von legalen kurdischen Veranstaltungen, Vereinen und Demonstrationen stellt ein Einbürgerungshindernis dar, wenn es nicht bereits lange zurückliegt und die AntragstellerInnen sich nicht von ihrem früheren politischen Engagement „nachdrücklich“ distanzieren. Für unterstützende Anwältinnen und Anwälte ist es laut Frau Geisweid immer wieder erschreckend festzustellen, wie lückenlos und umfangreich die Überwachung von politisch aktiven KurdInnen durch den Verfassungsschutz und die polizeilichen Staatsschutzdezernate erfolgt. Ebenfalls hoch problematisch sind die von den Ausländerämtern durchgeführten Sicherheitsbefragungen, bei denen AusländerInnen über ihre Kontakte zu angeblich terroristischen Kreisen ausgeforscht werden. Vielen, die daran teilnehmen, sind die Fragen inhaltlich und sprachlich nicht verständlich, so dass es zu Falschangaben kommt, die dann laut Gesetz zur Ausweisung führen können.

Situation in den türkischen Gefängnissen | Ali Mitil vom „Solidaritätskomitee der Freiheitsgefangenen in Europa“ berichtete – leider auch aus langjähriger eigener Erfahrung – über die Zustände in den türkischen Gefängnissen. Er wies darauf hin, dass die Brutalität gegen Gefangene noch aus der osmanischen Tradition der Türkei herrühre. Zudem seien viele Mitglieder der Spezialeinheiten, die Anfang der 1990er-Jahre für die Ermordung von Oppositionellen verantwortlich waren, später im Strafvollzug eingesetzt worden. Die Zahl der GefängnisinsassInnen ist unter der AKP-Regierung dramatisch von 59 000 auf 134 000 gestiegen. Entsprechend stark ist die Überbelegung. So teilen sich beispielsweise 24 Menschen eine Acht-Personen-Zelle, was dazu führt, dass in drei Schichten geschlafen werden muss. Auch die Folterpraxis, zu Beginn der AKP-Regierung in gewissem Maße zurückgegangen, hat in letzter Zeit wieder dramatisch zugenommen, wie nicht zuletzt die Misshandlungen von Kindern und Vergewaltigungen von Jugendlichen im Gefängnis von Pozanti gezeigt haben. Schwerkranke werden erst kurz vor ihrem Tod aus dem Gefängnis entlassen. Herr Mitil ging auch auf die Einführung der F-Typ-Gefängnisse in der Türkei im Jahr 2000 ein. Bei dem über Monate andauernden Hungerstreik gegen die Isolationsgefängnisse kamen 28 Menschen ums Leben und über 600 trugen irreversible gesundheitliche Schäden davon. Um den Widerstand zu brechen, stürmten türkische Sicherheitskräfte am 15. September 2000 unter der zynischen Losung „Operation Rückkehr ins Leben“ die Gefängnisse mit unglaublicher Brutalität. 28 Gefangene kamen dabei ums Leben. Die Operation erfolgte mit stillschweigender Zustimmung der EU, die im Rahmen möglicher Beitrittsverhandlungen auf der Einführung des Gefängnissys­tems nach europäischem Vorbild bestand. Um dieses System und die Isolation zu perfektionieren, werden aktuell in Ankara und Istanbul komplette Gefängnisstädte gebaut, auf deren Gelände sich – einem Campus gleich – auch Gerichtsgebäude und Krankenhäuser befinden. Herr Mitil schloss seinen Vortrag mit der Feststellung, dass sich die Repression nach dem 11. September 2001 unter der Führung der USA zusätzlich verschärft hat. Für die Abschaffung jeglicher Rechtsstaatlichkeit stünden die illegalen CIA-Foltergefängnisse, Guantánamo und auch Imralı.

Öcalan seit acht Monaten in Totalisolation | Mahmut Şakar, der bis zu seiner erzwungenen Ausreise aus der Türkei 2005 Abdullah Öcalan als Rechtsanwalt vertreten hatte, berichtete über die Gefängnisinsel Imralı, wo seit 1999 Abdullah Öcalan gefangen gehalten wird, der zuvor in einem internationalen Komplott verschiedener Geheimdienste aus Kenia entführt worden war. Bis 2009 war Öcalan der einzige Insasse dieses Gefängniskomplexes, bewacht von 1000 Soldaten. 2009 wurden dann auf Druck europäischer Institutionen fünf weitere PKK-Gefangene zu ihm auf die Insel verlegt.

Nach der Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei wurde das Todesurteil gegen Herrn Öcalan in lebenslängliche Haft ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Haftentlassung umgewandelt. Über seine Haftbedingungen entscheidet weder ein Gericht noch das Justizministerium, sondern ein gesetzlich nicht existentes Gremium, das direkt dem Nationalen Sicherheitsrat unterstellt ist. Seit Jahren werden die nach internationalem Recht verbrieften Besuche von Verwandten und RechtsanwältInnen bei Abdullah Öcalan willkürlich behindert. Da Imralı für BesucherInnen nur mit einem eigens dafür vorgesehenen Boot zu erreichen ist, wird dessen vorgeblicher Defekt häufig als Begründung für die Absage der unerwünschten Besuche genommen. Nach den Parlamentswahlen 2011 hat sich diese Situation extrem verschärft. Nunmehr befindet sich Herr Öcalan seit acht Monaten [zur Zeit der Konferenz] in Totalisolation, d. h. weder konnte er besucht werden, noch gab es irgendwelche Lebenszeichen von ihm. Stattdessen bereitet die AKP-Regierung ein Gesetz vor, das diese Situation rechtlich legitimieren soll und an das deutsche Kontaktsperregesetz zu RAF-Zeiten erinnert. Sowohl in Straßburg als auch in den kurdischen Gefängnissen wurden deshalb bis vor kurzem Hungerstreiks durchgeführt, um das europäische Antifolterkomitee (CTP) und den Europarat auf ihre Verantwortung bezüglich der Haftsituation Öcalans hinzuweisen. Herr Şakar ging auch auf die Verhaftung des nahezu gesamten AnwältInnenkollektivs zur Verteidigung Öcalans ein, die im Oktober 2011 im Rahmen der KCK-Operationen erfolgte und weltweit ohne Beispiel ist.

Herr Şakar arbeitet heute als zweiter Vorsitzender des in Köln ansässigen Vereins für Demokratie und Internationales Recht (MAF-DAD = kurd. Abkürzung für Recht und Gerechtigkeit).

Verfolgung kurdischer Medien | Während die EU-Staaten hin und wieder die Türkei wegen mangelnder Pressefreiheit kritisieren, reagieren sie bezüglich der in Europa erscheinenden kurdischen Medien als Handlanger der Türkei. Darauf wies Nihal Bayram, Journalistin bei der kurdischen Tageszeitung „Yeni Özgür Politika“ (Neue Freie Politik), hin. Sie gab einen Überblick über die Gründung der ersten kurdischen Presseorgane Anfang des letzten Jahrhunderts, um den Kurdinnen und Kurden eine Stimme zu geben. In den 1990er-Jahren wurden viele MitarbeiterInnen bei den wenigen kurdischen Medien Opfer extralegaler Hinrichtungen. Am spektakulärsten in Erinnerung bleibt der Sprengstoffanschlag auf die Redaktionsgebäude der Tageszeitung „Özgür Gündem“ 1994 in Istanbul und Ankara durch Agenten des sogenannten „Tiefen Staates“. Auch aktuell stehen die MitarbeiterInnen kurdischer Medien in der Türkei im Fokus von Regierung, Polizei und Justiz. Die meisten der im Rahmen der KCK-Verfahren sich in Haft befindenden Journalistinnen und Journalisten arbeiteten bei kurdischen Zeitungen oder Nachrichtenagenturen. Europa scheint da nicht hintanstehen zu wollen. So wurde die in Europa erscheinende Tageszeitung Özgür Politika 2005 vom damaligen SPD-Bundesinnenminister Otto Schily (ehemaliger RAF-Anwalt und Abgeordneter der Grünen) wegen angeblicher Propagandatätigkeit für die PKK verboten, wenn auch das Verbot vom Bundesverwaltungsgericht einige Wochen später wieder aufgehoben wurde.

Erneut versuchte es die deutsche Regierung 2008 mit einem Verbot des aus Dänemark sendenden kurdischen Fernsehsenders ROJ TV. Wegen der allgemeinen medienrechtlichen Bedeutung gaben die deutschen Gerichte den Fall an den Europäischen Gerichtshof. Dieser entschied zwiespältig: Das Betreiben eines Fernsehsenders innerhalb der EU darf nur von dem für die Ausstrahlung verantwortlichen Land, hier Dänemark, untersagt werden. Allerdings stünde es Deutschland frei, die Arbeit von ROJ TV auf deutschem Boden zu unterbinden und explizit auch die Ausstrahlung bei öffentlichen Veranstaltungen zu verbieten. „Erfolgreich“ war im Januar dieses Jahres letztendlich ein in Kopenhagen angestrengtes Verfahren gegen den Fernsehsender. Das Gericht verurteilte ihn wegen angeblicher Propaganda für die PKK zu einer empfindlichen Geldstrafe, ohne jedoch die Sendelizenz aufzuheben. Das besorgte dann de facto eine Woche später der in Frankreich ansässige Satellitenbetreiber EUTELSAT, indem er den Vertrag mit ROJ TV unter Verweis auf die im Kopenhagener Urteil festgeschriebenen terroristischen Aktivitäten kündigte. Das politische Vorspiel zur Schließung von ROJ TV hatte bei der Wahl des damaligen dänischen Ministerpräsidenten Fogh Anders Rasmussen zum NATO-Generalsekretär 2009 stattgefunden. Da die Wahl einstimmig erfolgen muss, weigerte sich die Türkei anfangs unter explizitem Verweis auf den aus Dänemark ausstrahlenden Sender, Rasmussens Wahl mitzutragen. Unter Vermittlung von US-Präsident Obama wurden dann die faulen Kompromisse geschmiedet, die Anfang dieses Jahres zum Aus für ROJ TV führten. Frau Bayram stellte schließlich den neuen kurdischen Fernsehsender Nuce TV vor, der versucht, die Aufgaben von ROJ TV zu übernehmen.

International koordinierte Repression | Mit den politischen Hintergründen und Absprachen gegen die kurdische Bewegung auf europäischer Ebene befasste sich der Bundestagsabgeordnete der LINKSPARTEI, Andrej Hunko. Er berichtete zu Anfang über seinen kürzlich erfolgten Besuch in der Türkei, wo es ihm gelang, drei Abgeordnete des türkischen Parlaments im Gefängnis zu besuchen. Die von ihm besuchten Abgeordneten der Parteien BDP und CHP waren im Juni 2011 ins Parlament gewählt worden, sind aber bisher widerrechtlich nicht aus dem Gefängnis entlassen worden, um ihre Arbeit aufnehmen zu können. Bei formellen Treffen zwischen deutschen und türkischen Abgeordneten spielten die politischen Gefangenen in der Türkei keine Rolle, berichtete Herr Hunko aus seiner Erfahrung. Allenfalls tragen CDU-Abgeordnete Bedenken wegen Benachteiligungen von ChristInnen in der Türkei vor. Das konsequente Thematisieren von Menschenrechten in der Türkei wird auch dadurch erschwert, dass CDU/CSU-VertreterInnen sich aus populistischen Gründen gegen den EU-Beitritt der Türkei aussprechen, was in der Türkei oft als Rassismus wahrgenommen wird. Umgekehrt unterliegen SPD und Grüne der Versuchung, die Situation in der Türkei schönzureden, um für ihre Position bezüglich des EU-Beitritts bei der Bevölkerung Gehör zu finden. Insgesamt haben sich die Kräfteverhältnisse in der EU in den letzten Jahren geändert. Die Lissabon-Verträge definieren Europa als neoliberales und imperiales Projekt. Die sich seit Jahren hinziehende Finanzkrise tut ihr Übriges, dass Menschenrechtsverletzungen in der Türkei wenig Aufmerksamkeit erfahren. Auf EU-Ebene gibt es verschiedene Gremien und Institutionen, die sich unter Sicherheitsaspekten mit der kurdischen Frage befassen. Zum einen wurde der Belgier Gilles de Kerchove 2007 zum Antiterrorismuskoordinator der EU ernannt und leitet regelmäßig Koordinationstreffen, bei denen auch Maßnahmen gegen die PKK besprochen werden. Zum anderen befasst sich EUROPOL mit Sicherheitsaspekten und unterhält umfangreiche Datensammlungen. Der immer wiederkehrende Vorwurf, die PKK finanziere sich durch Drogenhandel, wird von EUROPOL allerdings explizit verneint. Das Gremium EUROJUST soll zukünftig zu einer Art europäischer Staatsanwaltschaft ausgebaut werden. An den regelmäßigen Treffen nehmen auch Vertreter der USA und der Türkei teil. Herr Hunko kritisierte, dass generell die europäischen Agenturen, wie etwa auch FRONTEX, keiner parlamentarischen Kontrolle unterworfen seien. Als Ausblick in die nahe Zukunft gab er die Einschätzung, dass seitens der EU kaum Druck auf die Türkei in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen ausgeübt werden würde, solange sie als wichtigster Partner für einen potenziellen Krieg gegen Syrien und den Iran gebraucht werde.

Ergebnisse | Am Sonntagvormittag wurden von KonferenzteilnehmerInnen in zwei Workshops konkrete Ansätze entwickelt, um die Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit gegen die staatliche Repression sowohl in Europa als auch in der Türkei zu verbessern. Dazu wurden folgende Beschlüsse gefasst:

Das Solidaritätskomitee der Freiheitsgefangenen in Europa und der Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland (TÜDAY) schließen sich der Kampagne „Demokratie hinter Gittern“ (DHG) an und werden ihre Beiträge (Situation der F-Typ-Gefängnisse in der Türkei, Minimalforderungen der politischen Gefangenen etc.) auf der Website von DHG veröffentlichen.

Anlässlich der bevorstehenden Prozesse gegen kurdische Aktivisten (möglicherweise im Sommer), die nach § 129b StGB angeklagt sind, werden Erklärungen und Hintergrundinformationen publiziert. Ferner soll zur Prozessbeobachtung aufgerufen werden.

Die an der Konferenz beteiligten Gruppen unterstützen (Aufruf/Teilnahme) eine von verschiedenen Initiativen und Gruppen in Karlsruhe geplante Demonstration gegen Repression und Antiterrorgesetze, die voraussichtlich am 23. Juni stattfinden wird.

Am 23. November 2013 soll in Berlin eine Demonstration aus Anlass des 20. Jahrestages des PKK-Betätigungsverbots durchgeführt werden (Gründung eines Vorbereitungskomitees).

Um eine bessere und positivere mediale Präsenz zum Themenkomplex Kurdistan/Türkei/Situation der Kurdinnen und Kurden in Europa, insbesondere in Deutschland, zu erreichen, sollen künftig mehr Kolumnen, Kommentare und Hintergrundbeiträge u. a. über die politischen Ziele und Vorstellungen der Kurdinnen und Kurden (wie der Modellentwurf einer Demokratischen Autonomie) verfasst werden.

Fazit | Auf der Konferenz wurde aufgezeigt, wie eng und koordiniert die Repression gegen die kurdische Befreiungsbewegung und türkische Linke international erfolgt. Ohne die quantitativen Unterschiede der Verfolgung in der Türkei und Deutschland zu übersehen, zeigen sich doch in den KCK- und § 129b-Verfahren ähnliche Denkmuster. Demonstrations- und Medienverbote, Überwachung und Bespitzelung sind in Europa und Kurdistan gleichermaßen an der Tagesordnung. Während jedoch die Repression in der Türkei auch durch die Beiträge der Kampagne „Demokratie hinter Gittern“ in der deutschen Öffentlichkeit zunehmend kritisch hinterfragt wird, trifft die Kriminalisierung eines Teiles der kurdischen Bevölkerung in Deutschland als „Antiterrorkampf“ nach wie vor auf große Zustimmung der Gesellschaft. Dem gilt es durch die beschlossenen Aktivitäten entgegenzuwirken. Erfreulich ist auch, dass durch die Konferenz der Grundstein für eine engere Kooperation zwischen der kurdischen Bewegung und Teilen der radikalen türkischen Linken in Deutschland gelegt wurde.

Schreibe einen Kommentar