Cerablus und der nächste Tag

Cetin über die Operation des türkischen Militärs, der Rolle der USA und die Position der YPG/SDF, Yeni Özgür Politika, 29.08.2016

Den zwischen der türkischen Armee und dem Islamischen Staat (IS) stattfindenden Schichtwechsel in Cerablus (Dscharabulus), der von türkischen Medien als “Erfolg” gefeiert und von den Kurden mit Zorn verfolgt wird, lediglich aus dem Blickpunkt “die USA verrät die Kurden” zu betrachten, erschwert das korrekte Verständnis der Ereignisse in Rojava/Westkurdistan. Die Besetzung durch die türkische Armee hat die Beziehungen zwischen der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) und den von der USA angeführten internationalen Koalition in ein völlig anderes Licht geführt.

Sowohl politisch als auch militärisch nehmen die Türkei und die Kurden aus Rojava auf gegenseitigen Fronten Platz. Die Feindseligkeit der Türkei gegenüber Rojava ist nicht geringer wie die des IS oder von Al-Nusra. Die USA versucht ein Gleichgewicht an einer Front zwischen der Türkei und den Kurden zu finden. Die Türkei ist allerdings politisch und militärisch in Syrien ins Abseits geraten und hat darüber hinaus keinen legitimen Grund wieder in das Spiel zu finden. Die aktuelle Situation in den Kantonen Rojavas sowie die Effektivität der kurdischen Kräfte zeigen, dass die Kurden die Initiative langfristig für sich ergreifen können. Die Besetzung von Cerablus soll dem einen Dämpfer versetzen.

Dass die USA die Besatzung Cerablus zustimmten, obwohl es keinen Grund zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) gab, zeigt, dass die USA ihre Beziehungen überdenken. Es ist auch wenig überraschend, dass dieses „Überdenken“ so kurz vor der Entscheidung des Krieges ein Ausmaß annehmen, welches den Kurden nicht gefällt. Winston Churchill [Premierminister Großbritanniens von 1951 bis 1955, Anmerkung der Redaktion] sagte einmal: “Großbritannien hat keine ewigen Feinde, keine ewigen Freunde, nur ewige Interessen”. Genau dieser Satz spiegelt die aktuelle Politik der USA wieder, was wiederum bedeutet, dass die Beziehungen [zwischen den USA und SDF] nicht von Dauer sein werden.

Die USA versucht ein “Gleichgewicht” herzustellen

Die türkische Armee ist nach der Besetzung Cerablus weiter Richtung Süden und Westen vorgerückt. Dies geschah mit Hilfe der Unterstützung der Koalition. In diesem Rahmen wurden fünf Dörfer der türkischen Armee und ihren Handlangern überlassen. Das Territorium, auf dem sich die Türkei nahen Banden mit Hilfe der US geführten Koalition verbreiten ist dasselbe Territorium, welches die SDF von dem IS befreit hat. Daher ist die Aussage von Brett McGurk, Sonderbeauftragter für die Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat, man wolle “sowohl die Türkei, als auch die SDF in ihrem Kampf gegen den IS unterstützen” weit davon entfernt die Realität wiederzugeben. Das Dorf Al-Amerne, das während der Manbic-Operation befreit wurde ,und seither unter der Kontrolle der SDF ist, wurde durch die türkische Luftwaffe bombardiert. Dies beweist, dass der Angriff den SDF galt. Dies bedeutet also, dass die USA die Türkei nicht nur im “Kampf gegen den IS” unterstützt, sondern auch bei dem kontrollierten Angriff auf die SDF und Volksverteidigungseinheiten YPG.

Genau an diesem Punkt wird deutlich, warum die Befreiung von Manbic 73 Tage dauerte, bei der ca. 2.000 IS-Terroristen getötet wurden, und die Türkei in “lediglich” einer Nacht, ohne einer gebrochenen Nase, Cerablus unter ihre Kontrolle bringen konnte. Vor der Befreiung von Manbic fand eine wichtige Diskussion zwischen den USA und den kurdischen Kräften statt. Die USA forderten den Start der Operation auf Ar-Raqqa zu legen, die YPG bestand auf Manbic, mit der sie dann auch begann. Die offene Unterstützung der türkischen Armee von Seiten der USA ist wie den “Knüppel aus dem Sack” zu holen gegenüber der Eigeninitiative der kurdischen Kräfte.

Ziel ist es, einen Korridor zwischen den Kantonen zu verhindern

Die Besetzung von Cerablus hat auch einen direkten Bezug zu den strategischen Zielen der USA in Syrien. Die USA wollen nicht, dass die Kurden die Kantone Afrîn und Kobanê vereinen und die “Grenze zur Türkei”, also die Route Cerablus-Azaz, kontrollieren. Die militärischen Ereignisse der letzten Tage bestätigen dies. Die USA möchten, dass die SDF eine Route unterhalb Cerablus-Azaz unter ihre Kontrolle bringen um die Kantone zu vereinen, unterstützen aber gleichzeitig eine “sichere Zone” vom Westen Cerablus bis Azaz durch die Türkei. Betrachtet man die Aussagen McGurk’s in diesem Zusammenhang, erkennt man diese Tatsachen. Solche und ähnliche “Spielchen” sollten auch während den politischen Diskussion nach Kriegsende keine Überraschung sein.

Die nächsten Tage werden entscheidend sein – es wird sich herausstellen, ob die Koalitionskräfte den Vormarsch der SDF in Richtung Al-Bab-Mare unterstützen werden. Diese Entscheidung wird einen direkten Einfluss darauf haben, ob die SDF bzw. YPG eine Rolle in der Operation auf Ar-Raqqa einnehmen.

Die politische Haltung der kurdischen Bewegung und der PYD basiert auf Offenheit gegenüber der Beziehungen und Zusammenschlüsse, aber auch auf kritisches Betrachten und Überdenken dieser und zuletzt auf das Stützen der eigenen militärischen bzw. politischen Kraft. Genau diese Eigenschaft wird es sein, die die änderungsfreudigen und unklaren Beziehungen der USA im Gleichgewicht halten werden.