Mittwoch: Abstimmung über Aufhebung der Immunität

hdpISKU Informationsstelle Kurdistan e.V., Türkei – Voraussichtlich am nächsten Mittwoch soll im türkischen Parlament über die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten abgestimmt werden. Ein Gesetzentwurf der AKP über einen Zusatz zum Paragraphen 83 der türkischen Verfassung, der die Immunität von Abgeordneten regelt, soll diesen Paragrafen „vorübergehend“ außer Kraft setzen. So soll der Weg frei gemacht werden, „einmalig die Immunität aller Abgeordneten aufzuheben“.

Allerdings ist in der Türkei jedem klar, dass es sich dabei vor allem um die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker HDP handelt. Da der Antrag ein Gesetz betrifft, das Teil der türkischen Verfassung ist, ist, wenn sie es nicht zu einem Referendum kommen lassen wollen, die AKP auf Unterstützung der anderen Parteien angewiesen. Die Chefs von MHP und CHP, Devlet Bahçeli und Kılıçdaroğlu haben ihre Unterstützung bereits zugesagt, Kılıçdaroğlu allerdings mit dem Zusatz, dass ihm sehr wohl klar sei, dass „das Gesetz ein Verstoß gegen die Verfassung ist“.

Der Co-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, kommentierte das Einverständnis zwischen AKP, CHP und MHP dann auch mit den Worten: „Die Parteien der Opposition sind vor dem Palast auf die Knie gegangen“, und bezeichnete die anstehende Abstimmung als im Parlament „historisch“ und appellierte an das Gewissen aller Abgeordneten, das Richtige zu tun.

Die HDP gab dann auch eine schriftliche Erklärung ab, nach der sie den Vorstoß der AKP in Sachen Aufhebung der Immunität als „einen weiteren Stein im seit dem 7. Juli 2015 voranschreitenden Staatstreich des Palastes“ sieht, der „die Grenzen der Gewaltenteilung mehr und mehr verwischen lässt und letztlich auch die Liquidierung des Parlaments beabsichtige“. „Sollte die Verfassung in der von der AKP vorgesehenen Weise geändert werden, dann wäre das ein Wendepunkt für die Türkei. Der Putsch von 12. September hat die Türkei Jahrzehnte gekostet. Die Aufhebung der Immunität wird in gleicher Weise der Türkei viele Jahre kosten,“ heißt es in der Erklärung der HDP.

Just in dem Moment, wo also alles geregelt zu sein scheint, melden sich allerdings einige Abgeordnete der CHP zu Wort. Die Abgeordneten der CHP Eren Erdem, Sezgin Tanrıkulu, Fikri Sağlar, Mahmut Tanal, Barış Yarkadaş, İlhan Cihaner, Hilmi Yarayıcı und Mehmet Tüm erklären offen, sie werden dem Gesetzesentwurf nicht zustimmen, ja sogar, dass sie bei der Abstimmung mit Nein stimmen werden. Manche halten die Gesetzesänderung für eine Wiederholung des „Staatsstreichs vom 02. März 1994“ und meinen damit die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten der kurdischen DEP, andere vermuten darunter einen Schachzug Erdoğans, der sich bei Zeiten des Gesetzes bedienen könnte, um sich unliebsamer Abgeordneter aller Parteien entledigen zu können.

Der Vorstoß der Abgeordneten der CHP führte dazu, dass ein als sicher geglaubtes Ergebnis nun wieder in Frage gestellt wird. Einige Kommentatoren fragen sich bereits, ob nicht auch damit zu rechnen sei, dass einige Abgeordnete der AKP bei der Abstimmung vom Vorstoß ihrer Partei abspringen könnten oder finden es fraglich, ob die AKP überhaupt der Unterstützung von auch nur 12 Abgeordneten der CHP sicher sein kann. Und diese benötigt sie selbst in dem Falle, wenn alle Abgeordneten ihrer Partei und die der MHP dem Entwurf zu stimmen. Es kann also noch viel geschehen bis zur Abstimmung.

ANF, Cumhuriyet, 13./16.04.2016, ISKU