Nach Erklärung von PKK – Neue Verantwortung für Deutschland

Eine Bewertung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 20.04.2015

„PKK entschuldigt sich bei Deutschland“ – Diese Schlagzeile verbreitete sich vor knapp zwei Wochen in Windeseile über verschiedenste Medienkanäle. Die Entschuldigung hatte der Co-Vorsitzende des KCK-Exekutivrates Cemil Bayik in einem Interview mit dem WDR und dem NDR geäußert. “Ich möchte mich im Namen der PKK beim deutschen Volk entschuldigen“, so Bayik, der sich mit seiner Entschuldigung auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen bei kurdischen Demonstrationen in den 90er Jahren in Deutschland bezog. Auf eine erste positive Reaktion aus der Politik des SPD-Fraktionsvize Dr. Rolf Mützenich, der durch die Aussage von Cemil Bayik eine Chance für die Neubewertung der PKK in Deutschland sah, folgte die Klarstellung des Bundesinnenministeriums, dass es vorerst keinen Grund für ein Rütteln am PKK-Verbot gebe. Damit war das Thema zunächst wieder von der medialen Öffentlichkeit verschwunden. Doch einige unbeantwortete Fragen bleiben.

Einordnung der gewaltsamen Auseinandersetzungen auf deutschen Straßen

Die neunziger Jahre in Nordkurdistan waren die Jahre des schmutzigen Krieges. Insbesondere nach dem Tod des türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal 1993 verschärfte sich der Konflikt in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei. Die Regierung unter Tansu Çiller mit ihrem Innenminister Mehmet Agar scheute im „Kampf gegen Terror“ nicht, jegliches Register zu ziehen. Im Visier des Staates standen nun nicht mehr nur die Kräfte der ARGK (Volksbefreiungsarmee Kurdistans), also der bewaffnete Arm der PKK, sondern auch zivile kurdische AktivistInnen oder einfache Sympathisanten. Sie alle mussten mit der vollen Härte des Staates rechnen. Die „ volle Härte des Staates“, das bedeutete in jenen Jahren Folter, Vertreibung und Ermordung. Die Bilanz aus jener Zeit sind 17.000 Tote durch sog. unbekannte Täter, die zweifellos den Strukturen des Tiefen Staates angehörten und bis heute gedeckt werden, etwa 4000 geräumte und zerstörte Dörfer und Millionen von Flüchtlingen, von denen nicht wenige schließlich in Deutschland versuchten ein neues Leben aufzubauen.

Die deutsche Bundesregierung unterhielt in jenen Jahren mehr als freundschaftliche Beziehungen zur Türkei. Die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen waren so gut und das freundschaftliche Verhältnis so eng, dass Deutschland gerne auch mal Kriegsgerät an die Türkei verschenkte. „So verschenkte die Bundesrepublik auch Teile ihres Kriegsgeräts. Zwischen 1985 und 1991 spendierte Bonn Schießbedarf im Wert von fast vier Milliarden Mark. Allein aus ehemaligen DDR-Beständen gelangten rund 256 000 Kalaschnikows, 5000 Maschinengewehre, rund 100 000 Panzerfäuste und 445 Millionen Schuß Munition in die Türkei. Über 400 gepanzerte Fahrzeuge rollten – zum Nulltarif“, heißt es in einem Artikel des Focus vom 16.05.1994. Dass diese nicht nur gegen die PKK eingesetzt wurden, sondern auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt wurden, ist auch vielfach dokumentiert.

Im Kontext dieser Atmosphäre und vor dem Hintergrund der deutschen Unterstützung an die Türkei im Kampf gegen die Kurdinnen und Kurden kam es in den 90er Jahren in Deutschland zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, zu Autobahnblockaden und Selbstverbrennungen. All das ist keine Rechtfertigung. Doch lassen sich auf die Auseinandersetzungen auf deutschen Straßen nicht richtig einordnen, wenn der politische und historische Kontext außer Acht gelassen wird.

Bereits 1996 Aufruf zum Gewaltverzicht in Deutschland durch Öcalan

Die aktuelle Erklärung von Cemil Bayik ist  inhaltlich betrachtet kein neuer Beschluss der PKK. Denn der Aufruf zum Gewaltverzicht in Deutschland wurde bereits vom damals noch in Freiheit befindlichem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan 1996 getätigt. „Ich betone noch einmal: Es wäre politisch und moralisch falsch, wenn wir die Sache der Kurden durch Gewaltaktionen in Deutschland lösen wollten“, erklärte Öcalan in einem Interview mit dem Spiegel im November 1996. Die aktuelle Entschuldigung steht in Kontinuität zu den Äußerungen von Öcalan 19 Jahre zuvor. Gleichzeitig sind die Worte von Bayik auch Ergebnis einer kritischen Selbstreflexion der PKK mit ihrer eigenen Geschichte.

Die kritische Selbstreflexion einschließlich daraus hervorgehender Kurskorrekturen ziehen sich wie ein roter Pfaden durch die gesamte Parteigeschichte der PKK. Allein der von der PKK vollzogene Paradigmenwechsel, von der Zielsetzung der Gründung eines  sozialistischen Staates Kurdistan hin zur Entwicklung des Konzepts des Demokratischen Konföderalismus, ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie die Organisation als falsch erkannte Ziele und Mittel bereit ist, richtigzustellen. Im Zuge des Paradigmenwechsels hat die PKK auch ihr Verhältnis zur Gewalt  neudefiniert. Außer im Falle der legitimen Selbstverteidigung wird das Mittel der Gewalt grundsätzlich abgelehnt. Für die Opfer und Folgen der Gewalt, die von ihr ausging, ist sie bereit, sich zu entschuldigen und die Konsequenzen dafür zu tragen. So ist eine zentrale Forderung der PKK im gegenwärtigen Lösungsprozess mit der Türkei die Gründung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission, die alle Kriegsverbrechen in den seit über 30 Jahren anhaltenden türkisch-kurdischen Konflikt aufarbeiten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft führen soll. Insofern überrascht es nicht sonderlich, dass die PKK auch bereit ist, sich gegenüber der deutschen Bevölkerung zu entschuldigen.

Empfehlung an die deutsche Bundesregierung

Es wäre für die Bundesregierung empfehlenswert eine ähnliche kritische Selbstreflexion bezüglich ihrer Annäherung zur kurdischen Frage tätigen. Der Diskrepanz, dass auf der einen Seite die PKK für ihre Rettungsaktionen verschiedener Volks- und Religionsgruppen und für den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ fraktionsübergreifend von Bundestagsabgeordneten gelobt wird, parallel dazu dieselbe Organisation aber weiterhin in Deutschland verfolgt wird, sollte sich gestellt werden. Durch das Verbot der PKK sind weiterhin unzählige kurdische Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland systematischer Diskriminierung und Kriminalisierung ausgesetzt. Längst wird dieses Verbot nicht nur von sämtlichen kurdischen Kräften als illegitim angesehen. Die Breite der Diskussionen in den Medien zeigt, dass die große Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit sich mittlerweile gegen das Verbot ausspricht.

Während sich im Mittleren Osten die ethnisch und konfessionell bedingte Polarisierung innerhalb der Gesellschaft weiter forciert, die Herrschereliten immer autoritärer zu werden drohen und radikal-islamistische Gruppen immer mehr an Einfluss gewissen,  bietet die kurdische Freiheitsbewegung die derzeit einzige demokratische Alternative, die aus diesem Chaos führen könnte. Vor allem eine Förderung der demokratischen Strukturen in Rojava würde einen positiven Effekt auf die Gesamtdemokratisierung der Region haben. Nicht nur Syrien sondern auch Staaten wie der Irak und der Iran könnten von der demokratischen Dynamik, die vom Projekt Rojava ausgeht, beeinflusst werden.

Die Bundesregierung sollte aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlussstriche ziehen. Dementsprechend sollten demokratische Bestrebungen gefördert und nicht verhindert werden. Das PKK-Verbot stellt in diesem Sinne für diese Politik eine große Barriere dar. Daher empfehlen wir der deutschen Bundesregierung schnellstmöglich die Diskussionen über die Rahmenbedingungen für die Aufhebung des Verbots zu beginnen.