Neuausrichtung deutsch-türkischer Beziehungen nach verlässlicher Aufbauhilfe für Erdoğans Diktatur

Ein Kommentar zu den deutsch-türkischer Beziehungen, Civaka Azad, 20.07.2017

Das Vorgehen gegen Menschenrechtsorganisationen sei  „eine dramatische Verschärfung“ und „wir können gar nicht anders“, mit diesen Worten verkündete der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel die Verschärfung der Reise- und Sicherheitshinweise für die Türkei. Außerdem rief der Außenminister deutsche Unternehmen aufgrund von fehlender Rechtssicherheit zur Vorsicht bei Investitionen in der Türkei auf. Und drittens werde Gabriel mit seinen europäischen Kollegen über die Vorbeitrittshilfen für den EU-Beitrittsprozess der Türkei sprechen. Geplant waren hier für den Zeitraum von 2014 bis 2020 Zuschüsse aus der EU in Richtung Ankara in Höhe von 4,45  Milliarden Euro.

Die Rhetorik Gabriels hört sich drastischer an als die angekündigten Schritte, die doch sehr vage bleiben. Dennoch sieht die Bundesregierung mit der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner in der Türkei den Anlass für eine Neuausrichtung der deutsch-türkischen Beziehungen gegeben.

Endlich, möchte man meinen, begreift die Bundesregierung, dass man mit einer Türkei auf diesem Wege nicht zusammenarbeiten kann. Bereits 21 deutsche Staatsbürger waren bereits vor Steudtner seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr in türkischen Haftanstalten gelandet. Doch erst die jüngste Festnahme hat wohl das Fass zum Überlaufen gebracht. Dennoch sollte die Bundesregierung sich mit der „Neuausrichtung“ ihrer Beziehungen zur Türkei auch die Frage stellen, wie es überhaupt so weit kommen konnte?

Unvergessen ist das Bild, auf welchem Frau Merkel neben Erdoğan auf einem golden verzierten Thron in Istanbul Platz nimmt. Das Foto entstand Mitte Oktober 2015, also kurz vor den Neuwahlen in der Türkei, die für den 1. November angesetzt waren. Im ersten Wahlgang im Juni desselben Jahres hatte die Partei Erdoğans noch eine krachende Niederlage erlitten, konnte nicht mehr alleine die Regierung stellen und war plötzlich auf einen Koalitionspartner angewiesen. Doch der türkische Staatspräsident hatte andere Pläne. Er ließ die Koalitionsverhandlungen scheitern, setzte Neuwahlen an, ließ den Krieg gegen die Kurden ausbrechen und konnte auf Wahlkampfunterstützung aus dem Ausland, genauer gesagt aus Deutschland setzen.

Die AKP und Erdoğan waren beim ersten Wahlgang praktisch halb ausgeknockt worden. Wichtigste Gewinnerin der Wahlen war die Demokratische Partei der Völker (HDP), der es erfolgreich gelang die Brücke zwischen der kurdischen Opposition und demokratischen Kräften im Land zu schlagen. Die Partei erlangte auf Anhieb 13% der Stimmen und machte dadurch Erdoğans Plänen für einen Präsidialsystem vorläufig einen Strich durch die Rechnung. Die Hoffnungen auf bessere Zeiten, auf Frieden und Demokratie in der Türkei blühten kurz nochmal auf. Und der türkische Staatspräsident verbarg sich tagelang vor der Öffentlichkeit.

Doch dann wurde ihm die rettende Hand gereicht. Sie kam aus Europa, eigentlich gar aus Berlin. Denn zur selben Zeit befand man sich dort inmitten der „Flüchtlingskrise“. Frau Merkel stand in Deutschland plötzlich unter ähnlich großem politischem Druck wie Erdoğan nach den Juni-Wahlen in der Türkei. Und genau bei diesem ersuchte sie ihre Rettung. Sie leierte den EU-Türkei Flüchtlingsdeal an und versprach im Gegenzug der Türkei umfangreiche finanzielle Unterstützung. Plötzlich war Erdoğan wieder voll im Spiel und seitdem läuft es für ihn wieder rund. Er baut seine Macht kontinuierlich aus, errichtet ohne ernstzunehmende Gegenwehr seine Diktatur. In der Folgezeit wurden die Abgeordneten der HDP festgenommen, Bürgermeister in den kurdischen Regionen abgesetzt und verhaftet, ganze kurdische Städte dem Erdboden gleich gemacht und hunderte Zivilisten kaltblütig ermordet. Die „dramatische Verschärfung“ von der Gabriel nun spricht, fand also eigentlich viel früher statt, doch damals kam aus Europa kein Mucks.

Erdoğan hingegen fühlte sich mit dem Flüchtlingsdeal im Rücken wieder sicher. Seine Partei gewann die Neuwahlen im November 2015; er nutzte einen gescheiterten Putschversuch im letzten Jahr aus, um mittels Ausnahmezustand auch die letzte Opposition im Land auszuschalten; und sorgte unter Einsatz von Wahlmanipulation dafür, dass er knapp das Verfassungsreferendum im April dieses Jahres für sich entschied.  Doch – und das müssen wir festhalten – an seinem schwächsten Punkt der letzten Jahre war es die Unterstützung der deutschen Bundesregierung, die ihn an der Macht hielt. Wenn jetzt Frau Merkel die von Außenminister Gabriel angekündigten Maßnahmen gegen die Türkei für unabdingbar erklärt, sollte sie eigentlich auch selbstkritisch hinterfragen, welchen Beitrag sie dafür geleistet hat, dass Erdoğan überhaupt so weit gehen konnte.