Newsletter II: Hungerstreik kurdischer Aktivistinnen und Aktivisten

Aktuelle Meldungen zum Hungerstreik, 27.03.2019

Aktuelle Entwicklungen

Seit 101 Tage dauert der Hungerstreiks der 14 kurdischen Aktivistinnen und Aktivisten in Straßburg mittlerweile an. Sie stehen unter ständiger ärztlicher Aufsicht, haben allerdings bislang jede medizinische Versorgung verweigert. Dr. Fahrettin Gülşen befindet sich dennoch seit Beginn des Hungerstreiks permanent bei den Hungerstreikenden. Er hat gestern nochmals einen Appell an die Öffentlichkeit gerichtet, in dem er dazu aufrief, die Forderungen der Hungerstreikenden endlich wahr zu nehmen. Andernfalls könne es jeden Moment zu Todesfällen kommen. Selbst im Falle einer sofortigen Beendigung des Hungerstreiks seien mittlerweile bleibende Schäden wahrscheinlich. Die Hungerstreikenden hingegen haben bekräftigt, ihren Protest fortzusetzen zu wollen, bis die Isolationsbedingungen des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan vollständig aufgehoben sind. Seit Montag dauert zudem vor dem Europaparlament in Straßburg eine Mahnwache an. An der Aktion nehmen insgesamt 326 Menschen aus ganz Europa teil.

Der türkische Staat weigert sich bisher trotz der andauernden Proteste die Isolation Öcalans aufzuheben. Am gestrigen Vormittag stellten die Anwält*innen von Öcalan bei der Staatsanwaltschaft der Stadt Bursa einen Antrag auf Besuch bei ihrem Mandanten auf der Gefängnisinsel Imrali. Am selben Abend antwortete die Staatsanwaltschaft mit einer Ablehnung. Der letzte Besuch von Öcalans Anwälten fand am 27. Juli 2011 statt. Seitdem hat der türkische Staat mit willkürlichen Begründungen nun insgesamt 801 Besuchsanträge der Anwälte abgelehnt.

Welche Ausmaße die Kriminalisierung von Solidaritätsbekundungen mit der kurdischen Freiheitsbewegung und Abdullah Öcalan in Deutschland angenommen hat, beweist ein aktueller Fall in München. Der bekannte Friedensaktivist Claus Schreer wurde dort vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 2.800 € verurteilt, weil er bei der Demonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz im Februar 2018 Symbole „verfassungswidriger Organisationen“ verwendet haben soll. Gemeint sind ein Wimpel der Frauenverteidigungseinheiten YPJ und ein Plakat mit der Forderung „Freiheit für Abdullah Öcalan“ mit dem Konterfei von Öcalan. Schreer erklärte bereits gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass es das Recht aller Demokraten sei, die Freilassung von Öcalan auch mit einem Porträt in der Hand zu fordern. Er habe so auch vor vier Jahrzehnten die Freilassung Nelson Mandelas gefordert.

Wie man es anders machen kann, macht es die norwegische Regierung vor. Die norwegische Außenministerin erklärt auf eine parlamentarische Anfrage, die Türkei müsse auf Imralı internationale Verpflichtungen befolgen. Sie stellte klar: „Die PKK und die Türkei müssen die kurdische Frage auf dem Weg der Verhandlung lösen.“

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Stimmen zum Hungerstreik

Eine Ad-hoc-Gruppe, die aus Mitgliedern verschiedener Menschenrechtsorganisationen besteht, beobachtet seit einiger Zeit die Situation der rund 7.000 Hungerstreikenden in den Gefängnissen der Türkei. Gestern veröffentlichte die Gruppe auf einer Pressekonferenz in Istanbul einen Bericht zu ihren vorläufigen Ergebnissen. Im Namen des Menschenrechtsvereins IHD erklärte Gülseren Yoleri auf der Konferenz, das türkische Justizministerium ignoriere das Thema weiterhin vollständig. Auch die Meldungen über die Todesfälle in den Gefängnissen hätten daran bislang nichts geändert. Yoleri sprach von einer humanitären Krise in den Haftanstalten der Türkei.

An der Pressekonferenz nahm auch die Leiterin der Menschenrechtsstiftung der Türkei und Trägerin des Hessischen Friedenspreises der Albert-Osswald-Stiftung, Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı, teil. Sie machte auf die Erklärung von Malta des Weltärztebundes aufmerksam, in der die konkrete Forderung an die Ärzteschaft festgehalten ist, das Selbstbestimmungsrecht der Betroffen zu respektieren. Zudem erklärte sie, in der Türkei werde unabhängigen Delegationen zur Beobachtung von Hungerstreiks seit 2012 der Zutritt zu den Gefängnissen verwehrt.

Auch die Stiftung für Gesellschafts- und Rechtsstudien (Toplum ve Hukuk Araştırmaları Vakfı, TOHAV) richtete sich gestern mit einem dringenden Appell an das Antifolterkomitee des Europarates (CPT) und den UN-Ausschuss gegen Folter. Darin fordert die Stiftung beide Institutionen auf, die Augen vor Folter nicht weiter zu verschließen. Gesetze und Vorschriften, die Folter verhindern sollen, würden in der Türkei bisher nicht umgesetzt. Stattdessen würden Folter- und Misshandlungsvorwürfe heruntergespielt, insbesondere hinsichtlich der hungerstreikenden politischen Gefangenen und Abdullah Öcalan. Das CPT und der UN-Ausschuss gegen Folter werden aufgefordert, in die Türkei zu reisen, um den verbreiteten Einsatz von Folter durch staatliche Behörden zu stoppen.

Heute haben zudem auch international bekannte Akademiker und Intellektuelle ihre  Unterstützung für die Forderungen der Hungerstreikenden bekannt gegeben. In Stellungnahmen erklärten unter anderem der slowenische Philosoph Slavoj Žižek, der Filmemacher und Filmproduzent Prof. Peter Ott, der Politikwissenschaftler und ehemalige Abgeordnete des katalonischen Regionalparlaments Joaquim Arrufat Ibáñez, die finnische Autorin und Forscherin Dr. Tove Skutnabb-Kangas und die Akademikerin Susi Meret aus der Aalborg Universität in Dänemark, dass für eine Lösung der kurdischen Frage mit Öcalan gesprochen und seine Isolation aufgehoben werden müsse.

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Was bislang in unserer Informationswoche geschah

Auch am gestrigen Tag waren wir intensiv darum bemüht, den andauernden Hungerstreik stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Wir sprachen mit den Hungerstreikenden in Straßburg und baten sie um kurze Statements, um diese mit der Öffentlichkeit zu teilen. Außerdem sprachen wir mit Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen aus der Türkei, die sich mit der Situation der 7.000 Hungerstreikenden in den Gefängnissen befassen.

Wir setzten zudem unseren Austausch mit der Politik und der Zivilgesellschaft in Deutschland fort. Gestern informierten wir verschiedene Ministerien der Bundesregierung über die Situation der Hungerstreikenden. Auch wurden zivilgesellschaftliche Organisationen von uns kontaktiert.

Gestern erreichten uns im Rahmen unserer Informationswoche auch die ersten Presseanfragen zum Hungerstreik, die wir beantworteten. Wir stehen selbstverständlich weiterhin für jegliche Anfragen der Presse offen.