#NoFlyZone4Rojava – Was steht hinter dieser Forderung?

Aldar XelilInterview mit Aldar Xelîl von  TEV-DEM, Civaka-Azad, 07.05.2017

Nach den Luftangriffen der Türkei auf Ziele in Rojava und Shengal wurde in den Sozialen Medien der Ruf nach einer Flugverbotszone über Rojava/Nordsyrien laut. Unter dem Hashtag #NoFlyZone4Rojava verbreitete sich die Forderung binnen kürzester Zeit viral. Wir wollten wissen, was genauer hinter dieser Forderung steht und haben deshalb unsere Fragen an Aldar Xelîl von der Bewegung der Demokratischen Gesellschaft (TEV-DEM) gerichtet.

Nach den jüngsten Angriffen der Türkei auf Nordsyrien wird eine Flugverbotszone für diese Gebiete gefordert. Was erhofft man sich dadurch?

Die Forderung nach einer Flugverbotszone über Nordsyrien ist eigentlich nicht neu. Die jüngsten Angriffe der Türkei sind auch nicht die ersten, auch in der Vergangenheit wurde teils mit schweren Waffen nordsyrisches Territorium angegriffen. Daher war dieses Thema auch eines der Punkte, die wir in unseren diplomatischen Gesprächen immer wieder zur Sprache gebracht haben. Nach dem schweren Angriff der Türkei haben wir zusammen mit unserer Bevölkerung daraus eine Kampagne gemacht und das Thema stärker auf unsere Tagesordnung gesetzt. Nun ist sie zu einer zentralen Forderung der Menschen aus Nordsyrien an alle internationalen Kräfte, die in irgendeiner Weise in Syrien aktiv sind, geworden.

Nordsyrien zählt im Vergleich zum Rest des Landes trotz aller Schwierigkeiten eines der sichersten und stabilsten Regionen. Der Grund dafür ist die hohe gesellschaftliche Beteiligung an dem politischen und administrativen System. Dies wird sofort umgesetzt, nachdem eine Region militärisch von terroristischen Gruppierungen befreit worden ist. Dieses System umfasst die gesamte Vielfalt des Volkes und ihre demokratisch-säkulare Eigenschaft ist der Garant des Friedens und der Stabilität. In Nordsyrien leben ethnische und religiöse Gruppen friedlich miteinander, die in anderen Regionen Syriens bzw. des Mittleren Ostens sich bekriegen. Dieses System ist gleichzeitig das einzige System, von dem wir denken, dass es ein einheitlich-demokratisches Syriens wahren kann. Gleichzeitig stellt es eine Hoffnung für viele religiöse und ethnische Gruppen dar. Darin liegt auch begründet, warum Nordsyrien derzeit die einzige Region ist, die Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes und sogar aus dem Irak aufnimmt. Die Menschen betrachten diese Orte als sicher, aber gleichzeitig fühlen sie sich auch von dem Zusammenleben der Völker angezogen.

Und genau an diesem Punkt denken wir, dass eine Flugverbotszone bzw. eine „sichere Zone“ den vorhandenen Frieden und die Stabilität weiter vertiefen wird. Durch die Unterstützung des demokratisch-föderalen Systems stellen wir sicher, dass die Menschen weiter in Frieden leben. Durch die Flugverbotszonen können Gefahren für diese Region verringert werden. Es muss bewusst sein, dass die Gefährdung bisher sicherer Gebiete und die dadurch ausgelöste Fluchtwelle dazu führen wird, dass Terrororganisationen dies für sich ausnutzen und diese Gebiete besetzen werden.

An wen ist die Forderung nach einer Flugverbotszone gerichtet? Wer soll sie überwachen?

Die Forderung richtet sich in erster Linie an die UN, die Koalitionskräfte und im Allgemeinen an alle Kräfte, die sich in irgendeiner Form im Syrienkrieg beteiligen. Eine solche Entscheidung kann natürlich nicht einfach einseitig gefällt werden. Daher sind wir der Meinung, dass die Koalitionskräfte zusammen mit Russland einen solchen Beschluss fassen können. Die UN und andere internationale Kräfte können als Garantiemächte fungieren. Ich denke, ein solcher Vorstoß würde positive Entwicklungen nach sich ziehen.

Ist die Flugverbotszone nur gegen die Türkei gerichtet? Oder soll sie bspw. auch für die Kampfflugzeuge von Assad gelten?

Eine Sache muss klar gesagt werden: die Türkei ist durch ihre permanenten Angriffe leider die Macht, die gleich nach dem IS und der Nusra-Front die größte Gefahr für Nordsyrien darstellt. Dies tut sie den Erklärungen der Autonomieverwaltung zum Trotz, obwohl diese stets ihren guten Willen und das Bestreben nach guten Nachbarschaftsbeziehungen bekundet. Selbst der Vormarsch und Besatzung syrischer Gebiete durch die Türkei war nicht auf der Gefahr durch den IS begründet, sondern richtete sich allein gegen die Errungenschaften der Kurden. In Wirklichkeit hat Ankara es deshalb auf den freien Willen und das Zusammenleben der Menschen in Nordsyrien abgesehen. Die Türkei hat es also auf das hier entstehende demokratische Syrien abgesehen, was durch den IS und andere islamistische Terrorgruppen nicht verhindert werden konnte. Deswegen schaltete sich die Türkei nun höchstpersönlich ein.

Durch die türkische Aggression sind bis jetzt mehrere Hundert Zivilisten ums Leben gekommen. Zuletzt hat die Türkei ein Hauptquartier der YPG angegriffen und hat mehrere ihrer Kämpfer getötet. Und das Ganze, während die YPG als Teil der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) sich am der Operation in Richtung der vermeintliche IS-Hauptstadt Rakka beteiligt und wichtige Fortschritte erzielt.

Trotz aller Warnungen und Aufforderungen internationaler Kräfte schreckt die türkische Regierung nicht davor zurück, die YPG bzw. SDF anstelle des IS zur Zielscheibe zu wählen. All ihre Äußerungen, Aktivitäten und Beziehungen stützen sich auf diese Politik.

Daher ist unsere Forderung in erster Linie gegen die türkische Aggression gerichtet. Sie ist als Schutz bzw. Maßnahme zu verstehen. Aber auch das syrische Regime schreckt nicht vor Fliegerangriffen zurück, wie zuletzt in Hsêkê (al-Hasakah). Daher ist diese Maßnahme im weiteren Sinne auch gegen das Regime zu verstehen.

Wie steht Russland zu diesem Vorschlag? Wird die Zusammenarbeit in Afrin dadurch beeinträchtigt?

Der Begriff „Flugverbotszone“ wird von verschiedenen Kräften genutzt, hat aber je nach Position auch eine andere Bedeutung. Beispielsweise wollte die Türkei dadurch eher die Errungenschaften in Nordsyrien vernichten und den islamistischen Gruppen, mit denen sie kooperiert, die einfache und freie Fortbewegung ermöglichen. Dadurch wollte sie ihren Einfluss auf ganz Syrien ausweiten. Hierdurch sollte ein demokratisch-föderales Syrien schon im Keim erstickt werden.

Russland misst diesem Begriff eine andere Bedeutung zu. Durch eine Flugverbotszone soll das Problem der sogenannten Opposition gelöst werden. Wir sind der Meinung, dass auch der Vorstoß nicht zielführend ist.

In Afrin besteht eine Zusammenarbeit zwischen dem russischen Militär und der YPG. Die lokalen Verteidigungskräfte sollen die demokratischen Errungenschaften gegenüber Aggressoren wie der Türkei und an sie gebundene Islamisten verteidigen. Wir sind der Meinung, dass Russland durchaus sieht, dass die Politik der Türkei in Syrien bzw. der Region ein Faktor der Instabilität ist. Zusammen mit der Erfahrung aus der Vergangenheit der Russen denken wir nicht, dass die türkisch-russischen Beziehungen irgendwelche Auswirkungen auf die Situation in Afrin haben werden.