Offensive auf Mossul: Fakten und Geständnisse

mossul_operationSeyit Evran für Firatnews (ANF), 19.10.2016

Die Offensive Mossul hat den dritten Tag hinter sich gelassen und dauert an. Was ist bisher passiert? Wer hat was gesagt? Welchen Plan hat die Türkei der irakischen Regierung vorgelegt? Und welche Fakten sind dadurch hervorgekommen? Ein Teil dieser Fakten sind gleichzeitig Geständnisse. Ein weiterer Teil kann als Aufruf zum “Wiederstand” an den IS gewertet werden.

Die Türkei um Staatspräsident Erdoğan hat versucht ihr international, regional und innenpolitisch schlechtes Image mit der Offensive auf Mossul aufzupolieren. Für die Teilnahme an der Offensive hat sie jeden Weg probiert und jede Drohung ausgesprochen. Allerdings hat der Irak mit der Zustimmung der USA, Russland und weiteren internationalen Mächten die Türkei zum “Besatzer” erklärt und den sofortigen Abzug ihrer Truppen gefordert. Auch der Schiiten-Führer und weitere politische Gruppen im Irak haben diese Erklärung unterstützt. Man darf hierbei auch nicht vergessen, dass viele dieser Gruppen unter dem Einfluss des Irans stehen und somit der Iran wohl eine ähnliche Haltung gegenüber der Türkei einnimmt.

Türkische und südkurdischen Medien Hand in Hand

Inmitten all der Drohungen gegen den Irak und die USA seitens der Türkei begann die Offensive zur Rückeroberung von Mossul. Kurz vor Start erklärte Masoud Barzanî in einem Dekret, dass “kein Name außer der Peshmerga” in den Medien im Zusammenhang mit der Offensive genannt werden darf und Zuwiderhandeln unter Strafe steht.

Türkische und südkurdische Medien waren damit beauftragt, die öffentliche Meinung während der Operation im Sinne ihrer eigenen Rolle bei der Befreiung von Mossul zu lancieren. In Südkurdistan übernahm die Zeitung Rûdaw hierfür die Führungsrolle. Rûdaw stellte den Start der Offensive aus Südkurdistan auf eine Weise dar, als wäre die Peshmerga die einzige Kraft, die daran teilnimmt. Und das obwohl die Offensive, die beteiligten Kräfte, die Routen und das Vorrücken der Einheiten bis an bestimmte Stellen von vornherein von einer Koalition geplant und organisiert wurde, an deren Spitze die irakische Regierung sitzt.

An der Operation nehmen knapp 30.000 Mitglieder der irakischen Armee teil. Die Zahl der Peshmerga beläuft sich auf 4.500 Soldaten. Die US-geführte internationale Koalition unterstützt die Offensive aus der Luft. Es wird erwartet, dass irakische Sondereinheiten der Operation in den kommenden Tagen ebenfalls beitreten. Die Peshmerga sollte laut des Plans zunächst bis zum Ort Givêra vorrücken, um dort erst einmal Halt machen. So ist es dann auch geschehen.

Viele Kräfte, die in der jüngeren Vergangenheit dem IS breiten Raum für den Aufbau ihrer Schreckensherrschaft überließen, versuchen nun mit ihrer Teilnahme an der Mossul Operation einen verlogenen Sieg zu ergattern und ihr Image aufzupolieren. So sind die Bilder, als die Peshmerga die schutzlose Bevölkerung Shengals zurückließ und die Stadt kampflos aufgab, noch in aller Köpfe. Daher wird keine Propaganda helfen, die Kräfte als Sieger und Helden darzustellen. Rûdaw konnte bereits am zweiten Tag der Operation, als die Peshmerga an ihrem vorläufigen Ziel angelangte, plötzlich nichts Neues mehr von der Operation berichten. Zwar reiste Barzanî eigens an die vorderste Front, um die Propaganda am Leben zu halten. Nur reichte dies nicht aus.

Türkei blockiert Angriff auf den IS

Nach jetzigem Kenntnisstand beginnt die Offensive von zwei zentralen Punkten aus über die Routen Givêra und Bashiqa. In Givêra wurde die Offensive gestartet, in Bashiqa noch nicht. Die Türkei hat mit ihrer “wir nehmen unter allen Umständen teil”-Haltung den Start verzögert. Der Irak hat deutlich gemacht, dass sie die Teilnahme der Türkei unter keinen Umständen dulden wird. Hätte man parallel die Operation in Bashiqa gestartet, so wäre wohl eine Teilnahme der Türkei nicht zu verhindern gewesen. Dies würde zu Unruhen und Chaos führen. Daher hat die irakische Armee zunächst die Route unter Kontrolle gebracht und anschließend das Camp der Türkei unter Belagerung gesetzt. Daher agiert die Offensive derzeit nur entlang einer Route.

Aufgrund ihrer Blockadehaltung wird die Türkei von vielen Seiten als Schutzschild für den IS gewertet. Denn die Türkei blockiert auf diese Weise jene Kräfte, die die Stadt befreien sollen. Daher kommen die Beziehungen zwischen dem IS und der Türkei noch einmal an das Tageslicht und es wird klar ersichtlich, dass die Beziehungen nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak stark sind. Das dritte Zentrum des Startes der Offensive sollte die Stadt Tel-Afer sein, das etwas außerhalb der beiden anderen Startpunkte liegt. Hier sollen die vornehmlich schiitischen Milizen der Hashd alShaabi bei der Operation mitwirken, wogegen die Türkei und die KDP heftig protestieren.

IS-Geständnisse Erdogans

Erdogan erklärte mehrmals, dass sie unter allen Umständen an der Operation teilnehmen werden und hat deswegen sogar gegen mehrere Akteure in der Region offene Drohungen ausgesprochen. An dem ersten Tag der Offensive machte Erdogan Erklärungen, welche als offene Geständnisse seiner Beziehungen zu dem IS gewertet werden können. “Syrien und der Irak zerfallen im Krieg gegen den IS, aber wir haben in Cerablus und Al-Rai bewiesen, dass man diese Städte auch ohne jegliche Zerstörung zurückgewinnen kann”, sagte Erdogan in einer seiner Reden. Jedem, der den zerstörenden Charakter des IS kennt, ist bekannt, dass er keinen Ort einfach aufgeben würde ohne vorher eine Einigung mit der Gegenseite erzielt zu haben. Daher ist die Rede Erdogans ein Geständnis dafür, dass die genannten Städte im Sinne einer Abmachung der Türkei übergeben wurden. Erdogan schreckt auch nicht davor zurück, verschiedenen Akteuren mit dem IS zu drohen. Die Erklärungen des Verteidigungsministers, dass all die Städte des Irak nicht sicher seien und dort türkische Staatsbürger sich befinden würden, sind Ausdruck dieser Drohungen. Mit Erklärungen dieser Art wird der IS quasi dazu aufgerufen, bestimmte Orte anzugreifen.

Tarik Hashimi wünscht sich „Widerstand” vom IS

Während der Offensive auf Mossul kam noch ein weiterer Akteur Erdogans ins Spiel: Tarik Hashimi, dem vorgeworfen wird sein Amt als stellvertretender Staatspräsident für Massenmorde an schiitischen Zivilisten ausgenutzt zu haben, nahm Stellung auf Erdogans Seite. Hashimi sagt, dass der IS Widerstand leisten werde, wenn die Türkei an der Offensive nicht teilnehme. Damit fordert er praktisch den IS zum Widerstand auf. Einen Tag später erklärt Hashimi, dass der IS sich über Tal Afar und dann weiter über den Ort Bokemal such bis nach Deir ez-Zor in Syrien zurückziehen wird. Diese Erklärungen haben keine andere Bedeutung, als dass sie Handlungsaufforderungen an den IS darstellen. Denn Hashimi ist bekannt für seine sunnitisch-sektiererische Politik, die auf Gewalt gegen „Andersgläubige“ fußt. Der IS setzt eben diese Politik derzeit am besten um und genau deswegen wird Hashimi als Mittelsmann zwischen dem IS und Erdogan gewertet.

Der Plan B und Plan C Erdogans

Nach und nach wird klar, dass die türkische Delegation, die Bagdad vor Beginn der Offensive besuchte, nicht den IS und Mossul als Ziel hatten, sondern die kurdische Freiheitsbewegung und die YBŞ (Widerstandseinheiten der Stadt Shengal). Nach diesem Plan wollte die Türkei weiter im Irak stationiert bleiben und die kurdischen Kräfte der HPG und YBŞ in Shengal gemeinsam mit der irakischen Armee angreifen. Die YBŞ ist derzeit aber ein Mitglied des Bündnisses Hashd alShaabi und wird von der irakischen Regierung offiziell anerkannt. Viele Dörfer Shengals stehen noch unter Kontrolle des IS. In dem Plan der Türkei werden diese Dörfer in keiner Weise erwähnt. Ziel sind lediglich die Stellungen der HPG und YBŞ in Shengal. Diesen Wunsch der Türkei teilt in gewisser Weise auch die KDP, wie aus ihren regelmäßigen Drohungen gegen die Kräfte der HPG und YBŞ ersichtlich wird. Die KDP fordert immer wieder die HPG und YBŞ auf, Shengal zu verlassen. Allerdings waren genau diese Kräfte diejenigen, welche die Stadt verteidigten, als die Peshmerga die Bevölkerung schutz- und waffenlos dem IS überließ. Die Bevölkerung zeigte großen Widerstand gegen die Rückkehr der Peshmerga, an einigen Stellen wurden sie sogar angegriffen.

Die ersten drei Tage der Mossul Offensive haben diese Fakten und Geständnisse hervorgebracht. In den nachfolgenden Tagen werden sicherlich noch weitere interessante Details folgen. Solange die Türkei auf ihre Truppenpräsenz im Irak beharrt, wird man ihre dreckigen Pläne und Vorhaben dechiffrieren. Daher könnte Erdogan, der seine innenpolitische Popularität mit einer erfolgreichen Teilnahme an Mossul-Operation stärken will, plötzlich vor ganz anderen Fakten stehen.