PKK von der Terrorliste streichen

David L. phillipsVon David L. Phillips*, Huffington Post, USA, 21.05.2013

Präsident Barack Obama und der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan hatten bei ihrem Treffen im Weißen Haus letzte Woche eine respekteinflößende Agenda zu bewältigen. Die Krise in Syrien stand dabei an oberster Stelle. Auch der Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK war ein Schwerpunkt der Gespräche. Indem die Vereinigten Staaten die PKK von der Liste der ausländischen terroristischen Organisationen (FTO) streichen, können sie zu einer Lösung beider Probleme beitragen. Der richtige Zeitpunkt ist dabei von großer Bedeutung. Die Streichung der PKK von der FTO sollte genau dann erfolgen, wenn die Auswirkung auf die Ereignisse in Syrien sowie den türkeiinternen Friedensprozess am größten sind.

In Syrien ist die Problemlage dringlich. Die Streichung der PKK würde dort die Türen für einen Dialog mit der Partei der demokratischen Einheit PYD, dem Partner der PKK in Syrien öffnen, um diese dazu zu bewegen, die Opposition gegen Präsident Bashar al-Assad zu unterstützen. Das Streichen würde zudem den Friedensprozess in der Türkei fördern, indem der PKK für den einseitigen Waffenstillstand und den Rückzug der GuerillakämpferInnen eine Gegenleistung entgegengebracht wird. Auch würde mit der Streichung das Momentum berücksichtigt, um den Weg für ernste Verhandlungen über eine endgültige Lösung der kurdischen Frage in der Türkei zu öffnen. Länger zu warten könnte positiven Einfluss auf die kontinuierliche Kooperationsbereitschaft der PKK haben. Dadurch würde jedoch das Risiko eingegangen, die regionalen Auswirkungen einer Streichung von der Liste einzuschränken.

Der PKK-Konflikt hat seine Wurzeln in der Geschichte. Die kurdische Bevölkerung ist die größte staatenlose Minderheit der Welt. Ca. 30 Millionen Kurden leben in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Mehr als die Hälfte von ihnen lebt in der Türkei, wo insgesamt 20 % der Bevölkerung Kurden sind. Im Vertrag von Sevres wurde den Kurden 1920 ein eigener Staat zugesagt. Diese Vereinbarung hob der Vertrag von Lausanne im Jahr 1923 jedoch auf. Die Kurden verloren dadurch sämtliche Hoffnungen auf einen eigenen Staat. Aufstände in den Jahren 1925 und 1937 schlug der türkische Staat brutal nieder. Die Regierungen verleugneten die Existenz der Kurden, ihre Kultur und Sprache. Zudem wurden sämtliche kurdischen Städte- und Regionsnamen geändert und die kurdische Bevölkerung fortan Bergtürken genannt. Nach dem Militärputsch von 1980 erließ die Junta eine rigide Verfassung und verbot sämtliche Äußerungen kurdischer Identität. Die Verfassung beinhaltete zudem martialische Gesetze für die kurdischen Provinzen der Türkei, die eine Politik der verbrannten Erde nach sich zogen. Aufgrund dieser Politik wurden Millionen Kurden vertrieben.

Im Jahr 1974 gründete Abdullah Öcalan die Arbeiterpartei Kurdistans PKK als maoistische Arbeiterbewegung. Die Charta der PKK verurteilte die repressive Ausbeutung der Kurden und orientierte auf ein vereinigtes, demokratisches Kurdistan. Die Kurden in der Türkei verehren Öcalan wegen seines Kampfes gegen das Militär und seinen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten.

Deswegen wird Öcalan zur gleichen Zeit von vielen Türken verachtet, da sie ihn für den Tod von mehr als 30000 Zivilisten verantwortlich machen, die in den letzten drei Dekaden in der bewaffneten Auseinandersetzung starben. Die PKK bekämpfte anfänglich auch Kurden, die für staatliche Institutionen arbeiteten und staatliche Dorfschützer. Mitte der 1990er Jahre wechselte sie die Taktik und fokussierte ihre militärischen Aktionen auf Sicherheitskräfte und Symbole des Regimes. Sie gab zudem ihr Ziel nach einem eigen Staat auf und orientierte stattdessen auf erweiterte politische und kulturelle Rechte in der Türkei.

Auf türkischen Druck listeten die Vereinigten Staaten die PKK 1997 auf der Liste ausländischer Terroristischer Organisationen (FTO). Die EU setzte die PKK im Mai 2002 auf die EU-Terrorliste. Auch die NATO und weitere 20 Staaten stufen die PKK seitdem als Terrororganisation ein. Die US- und EU-Terrorlisten stigmatisieren und isolieren vermeintliche Terrororganisationen. Die Listung zieht zudem Reisebeschränkungen und finanzielle Restriktionen nach sich. Durch den Anti-Terrorismus-Akt aus dem Jahr 2011 wird die Bereitstellung materieller Ressourcen oder die rechtliche Beratung einer „terroristischen Organisation“ zur Straftat deklariert. Zudem wird ihren Mitgliedern die Einreise in die USA verweigert.

Um von der US-Liste gestrichen zu werden, bedarf es beschwerlicher Prozeduren. Gemäß des „Intelligence Reform and Terrorism Prevention Act“ von 2004 kann eine gelistete Organisation zwei Jahre nach ihre Listung eine Petition zur Streichung einreichen. Sie muss Beweise dafür erbringen, dass die Umstände und/oder Rahmenbedingungen sich ausreichend geändert haben.

Der verantwortliche Staatsekretär kann die Listung jederzeit aufheben, wenn die Umstände sich dementsprechend geändert haben oder die nationale Sicherheit der USA eine solche Streichung bedingt oder erfordert.

Eine Streichung ist im Wesentlichen eine politische Entscheidung. Technisch gesehen haben sich die Gründe für eine Einstufung der PKK als Terrororganisation geändert. Auch der politische Rahmen hat sich im Verlauf des Friedensprozesses sowie der Ereignisse in Syrien entscheidend gewandelt. In Zusammenarbeit mit der Türkei sollte die Regierung Obama nun erörtern, zu welchem Zeitpunkt die Streichung der PKK von der Terrorliste die größte Wirkung erzielen kann. Ich habe kürzlich mit einem höheren türkischen Regierungsbeamten, der nicht namentlich genannt werden will, über eine solche Streichung gesprochen – er antwortete: „Warum nicht?“

Vieles spricht dafür, die PKK eher früher als später von der Liste zu streichen. Öcalan wurde 1999 inhaftiert und zu lebenslanger Haft verurteilt. Aus seiner Gefängniszelle auf der Insel Imrali wurde er zu einem Anwalt des Friedens und der Verständigung der Bevölkerungsgruppen in der Türkei, inklusive der Kurden. In seiner Erklärung zum Friedensprozess am 21. März 2013 schrieb Öcalan: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Waffen schweigen und die Ideen die Politik bestimmen sollten.“

Die Türkei befindet sich an einem historischen Wendepunkt. Erdogan hat den Kurden erweiterte politische und kulturelle Rechte zugesagt. Im Gegenzug hat Öcalan einen einseitigen Waffenstillstand und den Rückzug der PKK-Kämpfer befürwortet und veranlasst. Dieser Lösungsansatz wurde in Verhandlungen zwischen Öcalan und Erdogans Sonderbeauftragten Hakan Fidan, der den Geheimdienst MIT leitet, ausgearbeitet. Meinungsumfragen bestätigen, das 70% der türkischen Bevölkerung den Friedensprozess unterstützen. Seit vier Monaten hat die PKK jegliche Gewalt eingestellt.

Die USA haben bereits früher ausländische terroristische Vereinigungen von der Liste gestrichen, um Anreize zum Frieden zu schaffen. Beispiele von Streichungen im Rahmen von Friedensprozessen sind die Fälle der Irisch Republikanischen Armee IRA und der Palästinenserorganisation PLO. Weitere Gruppierungen wurden gestrichen, als die Rahmenbedingungen sich änderten. Selbst die Mudschaheddin Khalq, die zuvor Geiseln in der US-Botschaft in Teheran genommen hatten, wurden jüngst von der Liste genommen.

Auch die Einstellungen in Europa wandeln sich. Im April 2008 urteilte der in Luxemburg ansässige Europäische Gerichtshof, dass die Entscheidung der europäischen Regierungen von 2002 und 2004, die PKK auf die Terrorliste zu setzen und ihr Vermögen einzufrieren, gegen europäisches Recht verstoßen hat. Am 24. April 2013 änderte die Parlamentarische Versammlung des Europarats ihre Terminologie für Mitglieder der PKK von „Terroristen“ in „Aktivisten“. Auch das EU-Parlament debattiert derzeit über die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste.

Die Krise in Syrien ist ein wesentlicher Faktor in Erdogans Politik. Der Anschlag von Reyhanli, bei dem mehr als 50 Menschen getötet wurden, unterstreicht die Gefahr der Ausweitung der Krise auf die Türkei. Erdogan wünscht, dass die USA auch militärisch intervenieren, um einen Regimechange in Syrien herbeizuführen. Einen Regimechange wird es jedoch nicht geben bevor sich die syrischen Oppositionsgruppen zusammenschließen, um einen Plan für ein Regieren nach der Zeit Assads zu entwickeln.

Der Syrische Nationalrat, die führende Oppositionsgruppe, muss die Minderheiten im Land, die Kurden, die Alawiten, die Drusen und die Christen mit einbeziehen. 15% der syrischen Bevölkerung sind Kurden. Allerdings begrenzen bisher innerkurdische Auseinandersetzungen die Zusammenarbeit der Kurden untereinander, mit anderen Minderheiten und der gesamten Opposition.

Die PYD einzubeziehen wäre ein großer Schritt in Richtung Konsensbildung. Weder die USA noch die EU werden ohne Einwilligung der Türkei handeln. Aus diesem Grund könnte für die USA und die EU ein Deal zur Streichung der PKK von der [Terror-] Liste gemacht werden. Im Gegenzug würde Öcalan die PYD anweisen, mit der Opposition zusammenzuarbeiten. Die PYD hat sehr effektive militärische Einheiten an der türkischen Grenze nahe Qamishlo im Nordosten Syriens. Durch eine Einbeziehung der PYD könnte ein Puffer zwischen dem Krieg in Syrien und der Türkei errichtet werden. Dadurch würde die Sicherheit der Türkei erhöht. Zudem ließe sich auf dieser Grundlage eine gemeinsame Vision für ein Regieren und eine regionale Kooperation nach Assad entwickeln.

*David L. Phillips ist ehemaliger Berater des US-Außenministeriums und Direktor des Studiengangs “Peace-building and Rights“ am Institut für Menschenrechtsstudien der Columbia University
http://www.huffingtonpost.com/david-l-phillips/pkk-terror-group-status_b_3289311.html

Der Inhalt des Artikels spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. wider.

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