Raqqa wird befreit, aber wie und von wem?

Seyit Evran, Özgürlükçü Demokrasi, 01.06.2017

Trotz den zahlreichen türkischen Plänen, Spielchen und Intrigen befindet sich die Raqqa-Offensive in ihrer letzten Phase. Der nächste Schritt dürfte die Befreiung des Stadtkerns sein.

Die syrische Stadt Raqqa war zu Beginn unter der Herrschaft der syrischen Opposition, dann eine Stadt der al-Nusra Front und schlussendlich im Einflussgebiet des Islamischen Staates (IS), der damit erstmalig eine syrische Stadt eroberte. Die Stadt, die der IS zur Hauptstadt ihres pervertierten Staates und Kalifats ausgerufen hat. Die Befreiung Raqqas würde das Ende einer Ära eines großen Projektes, welches Ketzerei, Barbarei und Bestialität mit sich brachte, bedeuten. Deswegen sind nun diejenigen beunruhigt, die in diese Ketzerei investierten. An erster Stelle ist die Türkei zu benennen. All ihre Pläne, Spiele und Politiken wurden ins Leere laufen gelassen. Nun wurde die Schwelle erreicht, an der Raqqa befreit wird.

Die beiden Aussagen „Man verlangt nicht nach Freiheit, man nimmt sie sich“ und „man bettelt nicht nach Freiheit, diese verschafft man sich“ stammt von zwei Kämpferinnen, die aus Raqqa stammen. Zwei Bilder aus der Raqqa Front haben mir wiederholt dazu verholfen, dass dieser Spruch richtig einzuschätzen ist und dass die stückweise Befreiung von Raqqa sich auf dem richtigen Weg befindet. Auf dem einen Bild sind eben diese beiden Kämpferinnen abgebildet. Eine dieser Frauen ist Cihan Seyh Ahmet, die Sprecherin der Operationsleitung der militärischen Mission „Zorn des Euphrats“, jene Operation, die sich die Befreiung Raqqas zum Ziel gesetzt hat. Bei der anderen Kämpferin und Kommandantin der Frauenverteidigungseinheiten von Rojava (YPJ) handelt es sich um Klara Kobanî, welche seit dem Beginn der Befreiungsaktion von Raqqa an der vordersten Front teilnimmt. Beide Kämpferinnen und Kommandantinnen stammen aus Raqqa. An der Frontlinie zu Raqqa bzw. am nächstgelegenen Übersichtspunkt, an der die ganze Stadt zu sehen ist, schauen beide in Richtung der Stadt und scherzen miteinander, indem sie sich gegenseitig ihre Häuser zeigen. Diesen Frauen kämpfen für die Freiheit, vor allem für die eigenen Geburtsstädten und Gegenden, an diesen sie aufwuchsen. Sie kämpfen für die Befreiung ihrer Geburtsorte, die sich nun unter IS-Herrschaft befinden. An der Raqqa-Frontlinie nehmen wie sie hunderte Kämpferinnen und Kämpfer ihren Platz ein, die aus Raqqa stammen. Neben den Kindern aus Raqqa, die für ihre eigene Stadt und gegen die Unterdrückung des IS kämpfen, nehmen auch internationalistische Kämpferinnen und Kämpfer aus Kanada, USA, Großbritannien, Deutschland, Griechenland, Türkei und anderen Ländern an diesem Kampf teil. Eben auch auf diesem Bild waren neben den Kindern aus Raqqa, aus den entferntestenden Regionen stammende Menschen zu sehen, die die Revolution von Rojava und das demokratische, gleichberechtigte System von Nordsyrien als ihr eigenes System sehen und leben.

Das andere Bild, welches uns auch die stückweise Befreiung von Raqqa näher bringt, sind zwei nebeneinander stehende Männer. Hierauf sind ein Soranî sprechender Kurde aus Sülemaniye und ein Araber aus Serê Kaniyê zu sehen, die vor drei Tagen an der nördlichen Frontlinie von Raqqa das Dorf Bedir befreiten.

Der aus Sülemaniye stammende Soranî sprechende Kurde heißt Kandil Kela. Als der IS vor drei Jahren begann Şengal anzugreifen, begab sich dieser von Sülemaniye aus auf den Weg und schloss sich in Şengal der Volksverteidigungseinheiten von Rojava (YPG) an. Später verließ dieser Şengal und ging nach Rojava. Seitdem Beginn der Raqqa-Offensive – mittlerweile vor sechs Monaten – steht er an der vordersten Front. Das gepanzerte Militärfahrzeug „Hummer“ kann er sehr gut bedienen. Bis dato wurde dieser dreimal verletzt. Einmal fuhr er über eine Mine. Doch weder vom Fahren des „Hummers“ noch von der Raqqa-Operation blieb er auch nur einen Tag fern. Als Kandil eines Tages einen „Hummer“ bediente, begleitete ihn ein arabisch-stämmiger Kämpfer aus Serê Kaniyê, der nun den Namen Rezan Serê Kaniyê trägt. Rezan ist Araber aus Serê Kaniyê, der seit den militärischen Auseinandersetzungen auf Seiten der YPG seinen Platz einnimmt und an mehreren Operationen gegen den IS und die al-Nusra Front teilnahm. Auch er nimmt seit sechs Monaten an der Befreiungsaktion an der Seite von Kandil teil. Rezan hat Kandil dazu verholfen sein brüchiges arabisch zu verbessern, sodass dieser mittlerweile ein gutes arabisches Sprachniveau erreicht hat. Kandil hingegen verhalf Rezan dazu, Soranî zu lernen. Beide haben sich mittlerweile gegenseitig ihre Sprachen beigebracht.

Die stückweise Befreiung von Raqqa zeugt von einem entschlossenen, ehrgeizigen Kampf, welcher von einem starken Glauben, Willen und Stärke getragen wird. Diesbezüglich gibt es tausende Bilder. Die zwei beschriebenen Bilder beschreiben in auffälliger Weise diese Vorgänge.

Die Befreiung Raqqas wird unter anderem von den aus Raqqa stammenden Kämpferinnen und Kämpfern getragen, die in dieser Stadt zum ersten Mal das Licht der Welt erblickten und hier aufwuchsen. Seit fünf Jahren tragen sie die Sehnsucht nach ihrer Stadt in sich und verhelfen mit ihrem beharrlichen Kampf zur stückweisen Befreiung Raqqas bei. Der IS, welcher in Raqqa und im restlichen Syrien bzw. Irak zahlreiche Massaker verübte, zudem bestialisch vorgeht und in seiner Barbarei keine Grenzen kennt, wurde zum Unheil der ganzen Welt. Diejenigen, die gegen den IS und deren Unterstützer kämpfen, kämpfen zudem für den Erhalt der Menschenwürde und die Befreiung Raqqas. Neben den aus Raqqa stammenden Kämpferinnen und Kämpfern nehmen auch Menschen aus Sülemaniye, Serê Kaniyê, Haseke, Dêrik, Kanada, USA, Frankreich, England, Spanien und Griechenland teil. Diejenigen, die geschwisterlich dem Streben nacheifern, dass alle Religionen frei und in einem respektvollen Miteinander leben können, ebnen den Weg zur Freiheit. Aus diesem Grund wird das zukünftige Raqqa, ein Raqqa der freien Völker, Sprachen, Kulturen, Religionen und Geschlechter sein.