Rechtsanwalt Cengiz Çiçek: Weiße Folter gegen Öcalan auf Imrali

imrai-ocalanInterview mit Öcalans Anwalt, Cengiz Çiçek zur anhaltenden Isolationshaft auf Imrali, 23.05.2017

Die verschärfte Isolation der kurdischen Führungspersönlichkeit Abdullah Öcalan dauert weiter an. Seit dem letzten Besuch durch den Bruder Mehmet Öcalan am 11. September 2016 gibt es keinerlei Kontakt mehr zu Öcalan. Auffällig sind vor allem die Einzelhaftstrafen, mit denen Öcalan während der anhaltenden Isolation konfrontiert ist. Cengiz Çiçek, einer der Anwälte von Öcalan, bewertet in einem Interview die spezifischen Gesetze und Praktiken gegenüber Öcalan, die Isolationshaft und die damit verbundene schlechte Behandlung auf der Gefängnisinsel Imrali.

Was sind die sogenannten „Öcalan-Gesetze“, können Sie deren Inhalte erläutern?

Bis zum 1. Juni 2005 äußerte sich das Folterregime zu den Gefängnisbedingungen Öcalans, die im Widerspruch mit den türkischen Gesetzen standen: „Wenn wir wollen, würden wir Öcalan sofort töten. Jedoch wissen wir, dass der einfache Tod der Wunsch Öcalans wäre. Ist es besser, wenn er einmal stirbt, oder wenn er lebenslang Qualen erleidet? Indem wir ihn in elenden Lebensbedingungen gefangen halten, töten wir ihn jeden Tag stückweise. Öcalan, der 40 Tausend Menschen in ihren Gräbern ließ, muss auch alleine in seinem Sarg liegen“. Während man erwartete, dass die Türkei von dem spezifischen Folterregime gegen Öcalan lossagen würde, da es gegen die eigene Gesetzgebung verstieß, wurde im Gegenteil die Gesetzgebung dem Folterregime entsprechend angepasst. Auf dieser Grundlage traf am 1. Juni 2005 das Gesetz Nr. 5275 in Kraft, welches für den Vollzug einer verschärften Isolationshaft Öcalans gedacht war.  Denn nach dem alten Strafvollzugsrecht bestand für Öcalan die Möglichkeit nach 20 Jahren entlassen zu werden. Dies würde der Politik „Öcalan‚ bis zum Tod mit täglichen Qualen zu töten“ widersprechen. Mithin beseitigte die neue Gesetzesordnung die Möglichkeit der Freilassung Öcalans auf Bewährung und setzte das Vorhaben um, Öcalan 23 Stunden am Tag in seinem engen Raum, oder laut Terminologie des Regimes „in seinem Sarg“ verbringen zu lassen. Die allgemeine Rechtsgemeinschaft bezeichnet die Isolation bis zum Tod, in der es keine Hoffnung auf Freilassung auf Bewährung gibt, sowie das Regime der verschärften Isolation, als „Korridor des Todes“ oder als „verzögerte Hinrichtung“. Auch von Seiten des deutschen Bundesverfassungsgerichts gibt es vergleichsbare Entscheidungen diesbezüglich.

Sind die „Öcalan-Gesetze“ nur auf diesen Einzelfall beschränkt?

Nein, es gibt auch andere Anordnungen. Zum Beispiel hatte Öcalan nach dem ehemaligen Strafvollzugsrecht das Recht, sich mit seinen Anwälten zu beraten, ohne dass ein Dritter mithören darf. Jedoch wurde dies dahingehend geändert, dass ein vom Gericht beauftragter Beamter die Gespräche anhört und aufnimmt.  So hatte man eine Grundlage geschaffen die Anwälte Öcalans strafrechtlich zu verfolgen. Während nach dem altem Strafvollzugssystem kein rechtliches Hindernis für eine Versetzung Öcalans auf ein anderes Gefängnis mit dem „Saalsystem“ bestand, wurde dies durch die neue Anordnung dahingehend geändert, dass Öcalan nun 23 Stunden des Tages in einer Einzelzelle verbringen muss. Während nach alter Anordnung jeweils zwei Stunden pro Woche das Gespräch mit den Anwälten erlaubt war, wurde dies auf eine Stunde pro Woche reduziert. Auch das Einschalten der Klimaanlage wurde von zwei Stunden auf eine Stunde reduziert. Während dem Recht auf das Telefonieren und dem Fernsehen kein rechtliches Hindernis entgegenstand, wurde auch dies anschließend verboten. Auch wenn das Fernsehverbot im Jahr 2013 wieder aufgehoben wurde, dauert das Telefonverbot weiter an. Auch das Recht mit den Familienmitgliedern zu sprechen, betrug nach alter Verordnung eine Stunde pro Woche. Auch dies wurde durch die neue Verordnung auf eine Stunde pro 15 Tage reduziert. Später wurde dies nochmal durch eine Entscheidung der Gefängnisverwaltung auf eine halbe Stunde herabgesetzt. Den von Tausenden von Kilometern Entfernung anreisenden Familienmitgliedern wird meistens dann noch das halbstündige Gespräch, mit der Begründung „schlechtes Wetter” oder „Fähre defekt“, verwehrt. Mit dem Gesetz Nr. 5275 wurden zudem noch zusätzliche Maßnahmen getroffen, die die vorhandenen Rechte von Öcalan noch mehr einschränkten. Der Verwaltung wurde überlassen diese Sonderrechte nach eigenem Belieben zu beschränken. So wurde Öcalan in einer vollständigen Isolierung gehalten.

Können wir davon sprechen‚ dass auch der „Gesetzesschleier‘ nicht ausreicht, um das Folterregime zu verbergen?

Ja, die Art der Ausführung hat die Grenzen des Gesetzes überschritten. Zum Beispiel wurden nach dem 1. Juni 2005 ohne Ausnahme alle Gespräche mit den Anwälten durch einen Dritten mitgehört und aufgenommen. Zudem wurde der Austausch von Dokumenten verboten. Auch wenn das Gesetz eigentlich nicht die Aufnahme der Gespräche erlaubt und auch das Mithören nur in Ausnahmefällen gilt, wurden diese Maßnahmen systematisch zur Regel bei allen Besuchen der Anwälte von Öcalan. Sie gingen noch einen Schritt weiter, indem die Gespräche neben dem Beamten noch durch das Gefängnispersonal mitgehört wurden. Sie diktierten Öcalan was er bei Gesprächen zu sagen habe und was nicht. Wenn man sich nicht an ihre Regeln hielt, drohten sie die Gespräche abzubrechen. Mit jeder Ablehnung unserer einlegten Widersprüche, wurden diese Anwendungen zunehmend zur Kontinuität.

Auch müssen sich die Anwälte vor ihrem Besuch eine Körperdurchsuchung ergehen lassen. Alle Widersprüche dagegen wurden abgelehnt und es wurde gedroht, die Gespräche abzubrechen. Im Gegensatz zu anderen Gefangenen wird Öcalan ständig überwacht. Er kann kein offenes Gespräch mit seiner Familie führen. Auch sind die Wände des Hofes, in dem er sich eine Stunde am Tag aufhalten darf viel zu hoch und abgeschottet. Der Boden ist nicht geeignet für Sportaktivitäten. Zudem werden die Raumarchitektur, die Tür- und Fenstersysteme immer weiter verschlechtert, was unweigerlich zu einer Gesundheitsverschlechterung Öcalans führen wird.

Sie sagten, dass das spezifische Recht und die rechtswidrige Politik auf einem Folterregime basieren. Können sie dies weiter erläutern?

Neben den bereits erläuterten Bedingungen gewann diese Politik weiter an Dynamik, indem Öcalan wegen freier Meinungsäußerung oft der Einzelhaftstrafen ausgesetzt ist. Obwohl Öcalan schon seit 1999 in einem Einpersonengefängnis verhaftet ist, wurde er insgesamt 13 Mal für 240 Tage mit der Einzelhaftstrafe konfrontiert. Die Strafen wurden kontinuierlich angewendet. Die Strafe wird dahingehend ausgeführt, indem Öcalan zum Beispiel der Besuch durch seine Familie verboten wird, ihm sein Radio, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften entzogen werden und er in Form der „weißen Folter“ bestraft wird .

Wie rechtfertigt man die Einzelhaftstrafen?

Man stützt die Einzelhaftstrafen auf die Gedanken und Feststellungen Öcalans bezüglich Themen wie des kulturellen Genozids, dem Recht auf muttersprachlicher Bildung, der legitimen Selbstverteidigung, dem Waffenstillstand, demokratischen Friedenslösungen, der aktuellen politischen Lage und möglichen politischen Entwicklungen. Wie immer wurden die Anwälte Öcalans zu dem Untersuchungsverfahren dieser Strafen nicht einbezogen. Die getroffenen Entscheidungen über die Einzelhaftstrafen wurden nur Öcalan mitgeteilt. Die Anwälte wurden nicht informiert und aus dem Verfahren ausgeschlossen. Durch die Isolationshaft konnten die Anwälte Öcalan manchmal wochenlang nicht sprechen. Selbst wenn sie später von den Strafen erfuhren, sind alle Versuche die Dokumente für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zu betrachten, ergebnislos geblieben. Der Richter bestätigte auch ohne Gerichtsverfahren und trotz Abwesenheit Öcalans diese Einzelhaftstrafen.