Stimmen aus Deutschland für den Widerstand in Kobanê

Am 1. November werden weltweit in zahlreichen Städten Menschen auf die Straße gehen, um  sich mit dem Widerstand in Kobanê zu solidarisieren, und um gegen den IS-Faschismus zu demonstrieren.  Die „Global Rally for Kobanê“ wird unterstützt von zahlreichen internationalen Organisationen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

Im Folgenden möchten wir einige Statements für die Global Rally am 1.November von Personen aus Deutschland und Österreich präsentieren. Über weitere Statements würden wir uns freuen.

thomas_seibertDr. Thomas Seibert, Philosoph und Autor, Frankfurt:
„Ein Jahrzehnt lang hat der „global war on terror“ uns die Wahl zwischen dem westlichen Liberalismus und verschiedenen Formen des Fundamentalismus aufzwingen wollen. Der Kampf um Rojava zeigt, dass wir uns diesem Entweder-Oder nicht beugen müssen, weil es eine dritte Möglichkeit gibt: die Möglichkeit einer Demokratie, die nicht die des Westens, sondern die eine Demokratie ohne Grenzen wäre, eine Demokratie im Widerstand gegen alle Grenzen.“

 

Prof. Dr. sc. Wolfgang Triebel, Politikwissenschaftler, Berlin:
„Ich weiß um die Kolonialpolitik des Sykes-Picot-Abkommens vom Mai 1916 und die Folgen für die Kurden bis heute, darum setzte ich mich für das Recht der Kurden auf Selbstbestimmung ein. Ich kann allen Kurden nur raten, auf niemandes uneigennützige Hilfe zu vertrauen, sondern ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen, sich zusammenzuschließen, untereinander nach Einigkeit zu streben und sich eigene demokratische Verhältnisse zu schaffen, Westeuropäisches oder gar amerikanisches Demokratieverständnis können kein Vorbild für Kurden sein. Meine Solidarität gilt Eurem Kampf gegen Okkupanten und gegen militante islamistische Fanatiker.“

 

Prof. Dr. med. Ulrich Gottstein, Vizepräsident der Ärztlichen Friedensbewegung “IPPNW-Europa” 1987 bis 1993:
“Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung bangt um Leben und Sicherheit der Kurden, Jeziden, Christen und weiteren Ethnien in Kobane, die von der brutalen IS  eingekesselt sind. Wir bewundern den heldenhaften Abwehrkampf der kurdischen YPG und YPW, die Brüder und Schwestern der PKK sind, und rufen unsere Regierung dazu auf, ihnen zu helfen.
Gleichzeitig appellieren wir an die kurdischen Menschen in Deutschland, weiter nur mit friedlichen Demonstrationen um Hilfen zu appellieren und jegliche Gewalt zu unterlassen, wie das auch Abdullah Öcalan gefordert hat. Er sagte zu uns bei einem Besuch 1996 in seinem Asyl in Damaskus, “die Anhänger der PKK seien strikt aufgefordert, die Rechtsordnung ihrer demokratischen Gastländer zu befolgen”.  Gewalt führe zum  Verlust der Sympathie für die kurdischen Menschen. Ab 1996 hat es dann auch keine gewaltsamen kurdischen Aktionen mehr in Deutschland gegeben.
Liebe kurdische Mitbürger, befolgen Sie die Anordnung Ihres Führers. Jetzt geht es um die Rettung von Kobane und die Abwehr der barbarischen IS.“

 

Prof. Dr. Andreas Buro Koordinator des Dialogkreises:
„Kobane kann zu einem Symbol werden, ob denen, die für ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien und Religionen unter schwierigsten Verhältnissen eintreten,  geholfen wird.
Kobane kann  aber auch zu einem Symbol dafür werden, wie wenig sich die beteiligten Konfliktakteure in ihrem konkreten Handeln, um die von ihnen lauthals vorgetragenen Werte von Demokratie und Menschenrechten kümmern, sondern trotz größter Kriegsverbrechen nur ihre eigenen machtpolitischen Interessen im Auge haben.
Am Schicksal Kobanes entscheidet sich, ob der in der Türkei begonnene Versuch einer Aussöhnung zwischen Türken und Kurden fortgeführt werden wird, oder ob sich blutige Kämpfe zum Schaden aller wieder ausbreiten.
In Kobane wird das friedenspolitische Kredo Deutschlands und aller EU-Staaten auf die Waage gestellt. Sind ihnen NATO-Treue und Wirtschaftsinteressen wichtiger als eine konsequente Beihilfe zur türkisch-kurdischen Aussöhnung? Ein erster Schritt wäre, die PKK und ihren Anhang von der Liste der terroristischen Organisationen zu streichen.
An den Demonstrationen und Solidaritätsaktionen in Europa und in anderen Teilen der Welt wird sich zeigen, ob trotz aller Empörung gelernt worden ist, dass gewaltsame Auseinandersetzungen nur den Gegnern Kobanes helfen und die eigene politische Basis für Solidaritätsarbeit für Kobane dadurch beschädigen, wenn nicht sogar zerstören.“

 

Prof. Dr. Christian Zeller, Professor für Wirtschaftsgeographie, Leiter Global Studies, Universität Salzburg:
“Demokratie, Selbstbestimmung, gleiche Rechte für alle und soziale Gerechtigkeit: dafür kämpfen die Menschen mit ihrer Revolution in Rojava. Darum unterstütze ich sie. Dieser Kampf ermuntert auch die Menschen in Damaskus, Aleppo und Homs, in Istanbul, Ankara und Amed, in Erbil, Mosul und Bagdad und im ganzen Mittleren Osten für diese Ziele zu kämpfen. Darum ist es so wichtig, dass die
Revolution in Rojava weitergeht.”

 

 

Prof. Dr. Antonia Davidovic, Universität Kiel:
„Die Kantone in Rojava, die trotz widrigster Umstände in Form von Embargos durch die Nachbarregierungen der Türkei und der Kurdistanregion versuchen, demokratische Strukturen zu schaffen, versprechen damit die Umsetzung aller Hoffnungen, die die Menschen in die demokratischen Bewegungen in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrika setzte und die doch viele Enttäuschungen hervorbrachte – mit Ausnahme eben von Rojava. Auch waren die kurdischen KämpferInnen maßgeblich daran beteiligt, den Genozid an den Eziden in Shingal zu verhindern.

Dieser einzigartige politische Prozess muss unbedingt weiter gehen und braucht deshalb alle Unterstützung gegen die rassistischen radikalislamistischen Gruppierungen der IS, die es trotz großer materieller Überlegenheit bisher nicht schafften, Kobane zu erobern, und es deshalb um so massiver angreifen.
Um so mehr erstaunt und beschämt, dass diese Entwicklungen bis vor kurzem von der internationalen Politik überhaupt nicht wahrgenommen wurden, oder, noch schlimmer, politischen Rücksichten gegenüber der Türkei geopfert wurden. Die bisherigen internationalen Bemühungen reichen nicht aus, denn die Blockade der türkischen Regierung dauert trotz gegenteiliger Behauptungen weiter an, und die Bombardierungen der internationalen Allianz erreichen alleine keinen Erfolg gegen den IS. Die weitgehende Gleichgültigkeit der Weltgemeinschaft ist unfassbar, da sie dem selbstgesetzten Anspruch widerspricht, für demokratische Prozesse und gegen Menschenrechtsverletzungen einzutreten.

Um auf Erdogans grenzenlos zynische Frage zu antworten, warum denn Kobane so wichtig sei – es gibt sehr viele Gründe, warum Kobane und Rojava unterstützt werden müssen: als Ausdruck der demokratischen Potentiale in einer Region, der die Fähigkeit zu einer solchen demokratischen Entwicklung lange abgesprochen wurde; als Beispiel, dass es möglich ist, die Islamisten aufzuhalten; weil die syrischen Kurden zu den wenigen gehören, die sich überhaupt dem IS erfolgreich entgegenstellen; aus militärstrategischen Gründen, um diese wichtige Region nicht den Islamisten zu überlassen, und natürlich zuallererst, damit die Menschen dort weiter in Frieden und Freiheit leben können.
Die Forderungen nach einem konsequenten internationalen Kampf gegen den IS, der Anerkennung der politischen Strukturen in Rojava sowie der Errichtung eines Hilfskorridors müssen erfüllt werden, um ein weiteres Versagen der internationalen Gemeinschaft zu verhindern.

Um Solidarität mit Kobane zu zeigen, den Entwicklungen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, und zugleich Druck auf die deutsche und internationale Politik zur Umsetzung der Forderungen zu erzeugen, unterstütze ich den Aufruf zur globalen Rallye am 1.11.2014.“

 

Dr. med. Gisela Penteker, IPPNW-Ärztin:
„Traurig und voller Zorn sehe ich jeden Tag die Bilder aus Kobani und denke an all die wunderbaren Menschen, die wir in Rojava getroffen haben, an ihren Mut, an ihre gemeinsame Arbeit, an ihre Hoffnung. Wenn wir Kobani und die Menschen in Rojava weiter im Stich lassen, ist all unser Reden von Menschenrechten, von Völkergemeinschaft, von Humanität und ethischen Verpflichtungen hohles Geschwätz.“
 

Assistant Professor Dr.Dr. Dario N. Azzellini, Abteilung Politik und Entwicklungsforschung, Johannes Kepler Universität  Linz:
“Der Kampf der Kurden und Kurdinnen gegen IS ist ein entscheidender Kampf gegen jene Kräfte, die sich dem Aufbau einer demokratischen und emanzipatorischen Gesellschaft entgegenstellen. Der Kampf der Kurden und Kurdinnen für eine demokratische, selbstverwaltete Gesellschaft in der
Menschen unabhängig von ihrer Religion oder ihrem Geschlecht gleichberechtigt miteinander leben, ist Teil eines weltweiten Kampfes und verdient daher unsere weltweite Unterstützung. Biji biji Kurdistan!”

 

Robert Levin, Sprecher und Schauspieler, Bremen:
“Als Radiosprecher habe ich 2014 mehr bittere Nachrichten präsentiert als jemals zuvor. Mit einer sensationelle Ausnahme, die mir das Herz erwärmt hat, im August: Kurdische PYD- und PKK-Kämpfer_innen retteten unter Einsatz ihres Lebens tausende jesidischen Flüchtlinge aus dem irakischen Sinjar-Gebirge (Shingal) vor den Mörderbanden des IS. Wenn sich die bedrohten Flüchtlinge auf die internationale Gemeinschaft verlassen hätten, wären sie inzwischen ermordet oder versklavt. Deswegen steht der Westen bei den progressiven Kurdinnen und Kurden in der Schuld. Ihnen sollte jede nötige Unterstützung zukommen, damit sie Kobane und Rojava erfolgreich verteidigen können.”

 

Sabine Lösing, Mitglied des Europäischen Parlament, Die Linke:
“Meine Solidarität gilt dem Widerstand in Kobane sowie den vielen Geflüchteten, deren Leben durch die Angriffe des faschistischen IS gefährdet wird. Die Kurden haben ein Recht auf Selbstverteidigung, ihr in Rojava entwickeltes Gesellschaftsmodell der demokratischen Autonomie mit Minderheitenschutz, Gleichberechtigung der Geschlechter und Schutz der natürlichen Ressourcen darf nicht zerschlagen werden. Die durch geostrategische Interessen geleitete militärische Interventions- und Besatzungspolitik des Westens hat zu der jetzigen Katastrophe geführt. Eine Fortsetzung dieser Politik wird nur den IS stärken. Das PKK-Verbot muss weg!”

 

Bernadette Leidinger-Beierle, Bundesvorstands des Frauenverbands Courage e.V.:
Dem mutigen Rojava und vorallem auch seinen Frauen gehört unsere volle Solidarität. Wir unterstützen euren Aufruf zum weltweiten Aktionstag am 1. November und rufen unsere Gruppen auf sich in den Städten, wo wir vertreten sind, an den Aktionen zu beteiligen. Wir finden auch zu den Aktionen am der 25. November, dem Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, gehören der Mut und der Kampf der kurdischen Frauen unbedingt dazu als Brennpunkt und Bestandteil des Kampfs um der Frauen der Welt gegen Gewalt und Unterdrückung und für ihre Befreiung.

 

Dr. Michael Ramminger, Institut für Theologie und Politik Münster/ Westf.:
Rojava ist kein Kriegsschauplatz unter vielen. Die kurdische Selbstverwaltung und ihr Projekt eines multiethnischen und multireligiösen Zusammenlebens zeigt vielmehr, dass ein friedliches Zusammenleben ganz unterschiedlicher Menschen in Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit möglich ist, dass es also zum Fundamentalismus, gleich welcher Herkunft, Alternativen gibt. Dafür, und gegen alle, die an solch einem Projekt kein Interesse haben, müssen wir am 1.11. auf die Strassen gehen.