Von Türken, die im Schnee laufen und Geräusche machen

cüneyt özdemirCüneyt Özdemir* / Journalist und Kolumnist, 30.04.13

Jahrelang ist der Krieg der Republik Türkei (TR) gegen die PKK nicht nur in den rauen Bergen und den schroffen Felsen geführt worden, sondern er ist parallel dazu auch psychologisch mit Hilfe der Medien geführt worden.
Ich vermute, dass der erste Dienst, den der Friedensprozess leistet, der ist, dass über viele Themen, deren wir uns bewusst waren, aber nie zur Sprache bringen konnten, offen gesprochen wird. Beziehen wir die dutzendfachen Gespräche mit Führungskräften der PKK noch mit ein, dann kann sogar gesagt werden, dass die türkische Presse eine „Zeit der Aufklärung“ erlebt.

Abgesehen davon, dass Tabus gebrochen werden, werden Themen, über die wir bis gestern nicht einmal wagten nachzudenken, in den Mainstream-Medien als Alltagsrealität dargestellt. Dass all dieses, sehen wir von Inhalt, Wahrheit oder Lüge einmal ab, überhaupt zum ersten Mal in den Medien des Mainstreams wiedergegeben wird, ist für sich gesehen schon eine „Kommunikationsrevolution“.

Jahrelang ist der Krieg der türkischen Republik (TR) gegen die PKK nicht nur in den rauen Bergen und den schroffen Felsen geführt worden, sondern er ist parallel dazu auch psychologisch mit Hilfe der Medien geführt worden. In den 1990er Jahren war es beispielsweise von der TR verboten worden, das Wort „Kurden“ überhaupt zu benutzen. Die Definition der damaligen Minister und Ministerpräsidenten, „die Türken, die im Schnee laufen und Geräusche wie „kart-kurt“ machen, nenne man Kurden“, ist ein Erzeugnis davon und lässt einen Menschen vor Scham erröten.
Als sie gemerkt haben, dass ihnen das niemand ihnen abnimmt, ist das Kurdenproblem zum Südostproblem geworden. Auf Befehl des Generalstabs („Befehle sind unter allen Umständen auszuführen“) wurde aus den Nachrichtensendungen das Wort „Kurden“ verbannt und stattdessen das Wort „Südosten“ hinein montiert.
Jahrelang konnte noch nicht einmal PeKeKe [korrekte Aussprache für PKK] richtig ausgesprochen werden. Übereinstimmend legte sich der Mainstream auf die Definition „PeKaKa-Terrororganisation“ fest und wendete sie an.
Auch Abdullah Öcalan wurde im Rahmen dieser Antipropaganda durch nahezu jedes Stadium gezogen. Am Anfang wurde Öcalan – als sei es eine Schande – zum Armenier erklärt. Für die TR bedeutete Armenier zu jeder Zeit ein „ich mag es kaum Aussprechen“. (Leider erkennen wir, dass sich in der Sprache des Staates in Bezug auf Vorurteile noch immer nichts geändert hat.) Im Anschluss ist Öcalans Namen das Wort „Babymörder“ vorangestellt worden. Einige Zeit später wurde der Begriff aktualisiert und in „Kopf der Separatisten“ geändert. Nebenbei gesagt, die PKKler und Öcalan haben während dieser Zeit ständig entweder die Religions- oder die Volkszugehörigkeit gewechselt. Mal wurden sie zu Syrern erklärt, mal zu Armeniern, dann wieder zu Irakern. Nach Ansicht der TR waren unter ihnen nur sehr wenige aus der Türkei. Und sowohl Öcalan als auch die PKK wurden entweder zu Gottlosen, Atheisten, Christen oder Zarathustra-Anhängern erklärt und offiziell von einer Religion in die andere transferiert. Mit der offiziellen Propagandasprache hat die TR alles mögliche versucht, um die PKK zu bezwingen und auszugrenzen. Diese offizielle Propagandasprache der Medien hat auf den Kriegsschauplätzen zu unvergesslichen Bildern geführt. In den 1990ern wurden bei Getöteten oder in Gefangenschaft genommenen PKKlern Beschneidungskontrollen durchgeführt, die Ohren der getöteten PKKler abgeschnitten … Es ist in diesem schmutzigen Krieg alles Erdenkliche passiert, das man nicht einmal einem offiziellen Beauftragten, geschweige denn ein Mensch einem Menschen antun kann, und mir nicht über die Lippen kommt und ihr nicht ertragen könnt.
Einen PKKler PKKler nennen
In diesem Bereich aktive Propagandisten (wie Ertürk Yöndem) sendeten zur Institutionalisierung der offiziellen Staatssprache wöchentliche Programme; die Mainstream-Medien nahmen diese Tipps zur Sprachregelung an, die unter Führung großer Zeitungen zur Umgangssprache wurden.
Diese Gehirnwäsche dauerte jahrelang. Nur ganz wenige Medienleute haben sich dieser offiziellen Propagandasprache widersetzt. Ich will als Medienmann ein Beispiel aus der Praxis vorstellen: In den 1990ern, der Zeit der grausamsten Phase, war das einzig Neutrale in der Sendung 32. Tag [32.Gün], was wir tun konnten, die PKKler PKKler nennen. Und sogar das hat uns, einschließlich Birand [Programmchef und Moderator der Sendung] nicht wenig Probleme bereitet.
Die heutigen, eigentlichen Schwierigkeiten bestehen nicht darin, dass nicht sofort der Frieden kommt, sondern dass sich nicht sofort die Sprache des Friedens entwickelt.
Es ist ein Trugschluss darauf zu warten, dass sie auf einmal da ist. Es wird eine Zeit dauern bis die offizielle, propagandistische Sprache der TR bereinigt ist.
Es ist keine leichte Aufgabe. Generationen sind mit dieser Propagandaprache der TR aufgewachsen. Und dies ist auch die Ursache dafür, dass diese Generationen die in den letzten Wochen von den Mainstream-Medien gehörten Dinge nicht verdauen können. Wir fahren durch einen Zeittunnel, der abkommt vom jahrelangen Schema F.
Die ersten Guerillas
Falls ihr es gemerkt habt, die Hauptmedien haben damit begonnen, die PKKler zum ersten Mal „Guerillas“ zu nennen.
Es wurde zugegeben, dass die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistan KCK nicht eine „sogenannte“, sondern eine wirkliche Organisierung ist und wer Vorsitzender oder Verantwortlicher ist.
Die Frage, ob die binnenmeergroßen Staudämme im Südosten nicht Teil einer militärischen Strategie seien, konnte in den Hauptmedien zum ersten Mal so klar und deutliche zur Sprache gebracht werden.
Wir hören zum ersten Mal aus dem Mund der PKKler, dass es, im Gegensatz zu den Nationalisten, die ihn „in drei Tagen einnehmen“ würden, mehr als drei Monate dauert, allein um nach Kandil zu gehen. Aus viele Aussagen der PKKler, einschließlich der über Uludere, erfahren wir, dass die US-Predator-Drohnen die PKK im Kandil wirklich aus nächster Nähe beobachten und die Beschwerde, „die USA geben uns keine Auskünfte“, ein Komplott sei.
In den Medien des Mainstream ändert sich sehr viel.
Früher wurden diejenigen, die den Kandil aufsuchten, sowohl von der TR, der Justiz als auch von den Medien regelrecht in der Luft zerrissen. Und jetzt gilt dies beinhaer für diejenigen, die nicht dorthin gehen.
Dass die nationalistische Presse darüber witzelte, die PKKler hätten Bananen gegessen, zeigt den Zustand ihres Unterbewusstseins. So wie in Istanbul/Kandil die Menschen Bananen essen, so können auch die PKKler im Kandil Bananen essen.
Nach soviel Vorurteilen, wie soll man sich nicht mehr wundern!

*Cüneyt Özdemir ist Journalist beim TV Sender CNNTurk und Kolumnist der linksliberalen Tageszeitung Radikal in der Türkei

Der Originaltitel der Kolumne heißt “TC/PKK” (TR/PKK)

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