Türkei: Haftbefehl gegen Mitarbeiter von Reporter ohne Grenzen

erol-onderogluElke Dangeleit für Telepolis, 21.06.2016

Auch die türkische Stiftung für Menschenrechte (TIHV) und das Internetportal bianet geraten in die Fänge der türkischen Justiz

Gegen den Türkeiexperten von der NGO Reporter ohne Grenzen (ROG), Erol Önderoglu, wurde Haftbefehl wegen Terrorpropaganda erlassen. Ihm wird unterstellt, für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK geworben zu haben, so der Anwalt Özcan Kilic. Schon am Montagabend sollte er in Untersuchungshaft genommen werden.

Die Staatsanwaltschaft führt die Ermittlungen auf der Grundlage der international kritisierten Anti-Terrorgesetze. Danach können vor allem Journalisten, Wissenschaftler oder Politiker aufgrund von kritischen Äußerungen wegen “terroristischer Propaganda” verurteilt werden. Die Anpassung des Anti-Terrorgesetzes an europäische Gesetze und Normen ist eine Voraussetzung für die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Erdogan weigert sich aber beharrlich, das Gesetz zu ändern. Denn er braucht dieses Gesetz, um auch die letzten möglichen Nischen von Widerstand zu eliminieren.

Auch die Vorsitzende der Türkischen Menschenrechtsstiftung, Sebnem Korur Fincani (TIHV) und der bianet.org- Reporter Ahmet Aziz Nesin wurden mit gleichen Vorwürfen verhaftet. Hintergrund ist, dass die drei Journalisten aus Solidarität mit der prokurdischen Zeitung Özgür Gündem, die den türkischen Behörden seit Jahren ein Dorn im Auge ist, symbolisch die Leitung übernommen haben. Sie haben eine Kampagne gestartet unter dem Namen “Wacht auf”, um auf die Gleichschaltung von Medien, Justiz und anderen Institutionen aufmerksam zu machen. Als Reaktion wurden 44 weitere Unterstützer der Zeitung ins Visier genommen, über deren Situation momentan nichts bekannt ist.

Özgür Gündem wird von der türkischen Regierung als Sprachrohr der PKK diffamiert, obwohl die Zeitung über die PKK auch kritisch berichtet. Sie versteht sich in erster Linie als kurdische Zeitung, die für die Rechte der Kurden eintritt. Schon in den 90er Jahren wurden zahlreiche Reporter verhaftet, die Zeitung wurde zeitweilig verboten. Viele Journalisten der Zeitung, wie z.B. der ehemalige Chefredakteur Şeyh Davut Karadağ oder der damalige Besitzer der Zeitung, Yaşar Kaya, gingen damals ins Ausland, um den hohen Haftstrafen zu entgehen. Sie erschien dennoch unter verschiedensten Namen weiter.

Erst Anfang 2011 konnte sie ihre Arbeit wieder unter ihrem ursprünglichen Namen aufnehmen. Doch die Ruhe währte nicht lange. Schon im Dezember 2011 wurden knapp 50 Journalisten festgenommen, darunter der Chefredakteur von Özgür Gündem, Ziya Çiçekçi. 36 Journalisten wurde damals die Mitgliedschaft und Unterstützung einer “illegalen Organisation” vorgeworfen. Reporter ohne Grenzen kritisierte schon damals das Vorgehen der türkischen Behörden und erklärte, dass “die kurdische Frage nicht durch Versuche, die Äußerungen von Dissidenten im Namen der Terrorismusbekämpfung zu unterdrücken, gelöst werden” könne.

Can Dündar, der Chefredakteur der Oppositionszeitung Cumhurriyet kommentierte die Gerichtsentscheidung auf Twitter mit : “Aufgeben kommt nicht infrage.” Dündar wurde im Mai dieses Jahres wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt.

Reporter ohne Grenzen verurteilen den erneuten Angriff auf die Pressefreiheit. In der Rangliste der Pressefreiheit, die die NGO erstellt hat, belegt die Türkei einen der untersten Plätze weltweit: Platz 151 von 180.

Und das ist ein Problem für die unabhängige Berichterstattung, wenn es um die Türkei geht. Die türkischen Medien sind praktisch gleichgeschaltet. Printmedien, Radio und Fernsehen sind der Kontrolle der Regierung unterstellt. Jeder Kolumnist, Journalist, Kommentator riskiert ein Verfahren wegen Terrorismuspropaganda oder Präsidentenbeleidigung, wenn er es wagt, sich kritisch gegen die Regierung zu äußern.

Die kurdischen Medien berichten logischerweise mit kurdischer Brille. Was nicht heißt, dass sie – wie vor allem von der türkischen Regierung behauptet -, ein Sprachrohr der PKK seien. Auch die kurdische Presse begleitet die Entwicklungen kritisch. Viele westliche Medien beziehen sich, mangels Alternativen, mittlerweile auf diese Medien.

Natürlich haben die Menschen in den kurdischen Gebieten die Nase voll von Terror, Vertreibung und Enteignung. Natürlich gibt es Kritik an der PKK – wie auch an der AKP. Aber wer weiß denn wirklich etwas darüber, was die PKK macht? Wer spricht mit den Verantwortlichen und fragt ehrlich, was die PKK-Guerilla will? In unseren Leitmedien steht nichts darüber, dass die Führung der PKK den Einfluss auf die Jugendlichen in den Städten verloren hatte. Dass der Zorn dieser Generation, die im Krieg groß geworden ist, aus dem Ruder gelaufen ist. Dass die PKK-Führung immer wieder um internationale Unterstützung gebeten hat, um den Friedensprozess voranzutreiben. Dass es Angebote gab, die Waffen niederzulegen. Wo kann dies veröffentlicht werden, ohne dass ihm oder ihr gleich PKK-Propaganda unterstellt wird?

Quelle: http://www.heise.de/tp/artikel/48/48596/1.html