Türkische Intrigen und die Phase nach al-Bab

Seyit Evran, Firatnews, 24.02.2017

Die türkische Armee und die an sie gebundenen Gruppen haben nach einer Übereinkunft mit dem IS die Stadt al-Bab eingenommen. Noch ist es zu früh, um die türkische Gegenleistung für den Rückzug des IS auszumachen. Auf der anderen Seite wartet die syrische Armee in Tedef, das ca. 3 km von al-Bab entfernt liegt, und die ihrerseits mit dem Rückzug des IS zwei weitere Dörfer unter ihre Kontrolle gebracht hat. Zeitgleich gab der frührere Verteidigungsminister und jetzige “Minister für gesellschaftliche Übereinkunft” des syrischen Regimes, Ali Haydar, eine bemerkenswerte Erklärung ab. Die Frage, die sich jetzt stellt, ist: Was passiert jetzt in al-Bab und seiner Umgebung?

Was war die türkische Gegenleistung für Bab?

Die türkische Regierung hat nach ihrer Aleppo-Übereinkunft mit Russland die von ihr abhängigen islamistischen Gruppen aus dieser Stadt abgezogen. Die hier abgezogenen Gruppen wurden anschließend auf al-Bab losgelassen. Das ganze geschah vor ca. drei Monaten. Der IS hat in al-Bab versucht, die Stadt zu halten und hat hierbei der türkischen Armee schwere Verluste zugefügt. Verschiedene Gerüchte kursierten noch vor einigen Tagen: Der IS werde die Stadt zwar verlassen, aber dem syrischen Regime die Kontrolle übergeben und nicht der Türkei, da sie sich von der Türkei hintergangen fühle. Jetzt ist es doch anders gekommen und die türkische Armee und ihre Mitstreiter nahmen die Stadt ein. Diese Übereinkunft mit dem IS ist zweifelsohne an eine Gegenleistung gekoppelt. Wir erinnern uns an die Geschichte mit dem türkischen Konsulat in Mossul: Die Türkei hatte all ihre IS-Inhaftierten freigelassen. Ähnliches geschah auch für den Rückzug des IS aus Dscharablus, Rai und Dabiq. In den Medien wurde von Waffen- und Munitionslieferungen gesprochen. Zweifelsohne ist es noch zu früh, um sagen zu können, was dem IS dieses Mal versprochen wurde. Aber schon sehr bald wird sich zeigen, was dahinter steckt…

Was bedeutet die Erklärung von Ali Haydar?

Zurück zu der Erklärung von Ali Haydar: Nachdem die türkische Armee und ihre Banden in die Stadt vorgerückt sind, ist auch die syrische Armee weiter vorgerückt. Die Einnahme von zwei Dörfern sollte eine Message an die Türkei sein, die zusammen mit der Erklärung von Haydar nicht weiter an Deutlichkeit gewinnen konnte: “Wir sind [geografisch] derzeit an einem Punkt, wo eine militärische Auseinandersetzung mit der türkischen Armee nicht mehr ausgeschlossen ist. Wir möchten keine Gefechte mit der türkischen Armee. Unser Wunsch ist es, dass sie sich nach einem politischen Dialog zurückziehen. Wir rufen Russland dazu auf, die Türkei zum Rückzug zu überreden”, so Haydar. Diese Message kann ein wichtiger Vorbote von jenen Ereignissen sein, die uns in den nächsten Tagen und Wochen in al-Bab erwarten. Die syrische Armee könnte eine Offensive gegen die sogenannte “Freie Syrische Armee”, mit der sie sich seit fünf Jahren im Kriegszustand befindet, starten.

Falls dies passieren sollte: Wird die türkische Armee dann einen Krieg gegen die syrische Armee riskieren? Man darf nicht vergessen, dass der türkische Syrien-Einmarsch auf keiner rechtlichen Grundlage fußt. Falls sie also einen Zusammenstoß mit dem Regime riskiert, würde dies einen neuen Krieg, in dem internationale und regionale Mächten involviert sind, bedeuten. Das syrische Regime und Russland haben dem türkischen Kampf in al-Bab bewusst zugestimmt. Ab dem jetzigen Zeitpunkt jedoch wird man versuchen, die Türkei sowohl international als auch regional als Besatzer darzustellen, damit sie sich aus den besetzten Gebieten al-Bab, Dscharablus, Rai, Soran, Exterin etc. zurückzieht.

Eine andere Option: Der Krieg gegen die Kurden

Seit der Invasion von Dscharablus haben die an die Türkei gebundenen Banden die Städte Manbidsch und Tal Rifat zu ihren “nächsten Zielen” erklärt. Manbidsch war auch das erste Ziel nach Dscharablus, nur ein Schlichtungsversuch der USA hat den Angriff gestoppt. Danach intensivierten die Angriffe sich in den Dörfern Tal Rifat, Sey Isa und Hesiye. Hier fanden heftige Gefechte statt und die türkische Armee bzw. ihre Banden haben schwere Verluste hinnehmen müssen. Nachdem türkische Soldaten von unbekannter Seite “versehentlich” bombardiert wurden, haben die Angriffe aufgehört.

Es könnte zwar sein, dass Russland nun einem Angriff der Türkei und ihrer Banden gegen die Kurden zustimmt, zumal über solche Pläne auch in der Vergangenheit schon gesprochen wurde. Jedoch wissen alle Kräfte, USA und Russland eingeschlossen, dass in Manbidsch und Shahba nicht der IS stationiert sind und dass die Kräfte in diesen Städten nicht für irgendwelche Gegenleistungen die Städte räumen werden. Und das bedeutet, dass die Türkei mit dem zehnfachen an Verlusten wie in al-Bab rechnen muss. Des Weiteren besteht jetzt noch die Chance “irgendwie” das Land zu verlassen. Nach einem solchen Angriff wird dies nicht mehr möglich sein. Es darf nicht vergessen werden, dass das Volk aus Manbidsch 264 ihrer Kämpfer verloren hat, um die Stadt zu befreien. Die Stadt der Türkei zu überlassen ist also ausgeschlossen.

Der Krieg gegen die Kurden und das Referendum in der Türkei

Ein Angriff auf Manbidsch oder Shahba könnte andererseits bedeuten, dass das Referendum in der Türkei abgesagt wird. Denn die Türkei und ihre Banden sind sich dessen bewusst, dass sie in diesen Städten keinen Sieg einfahren werden. Im Gegenteil: es wäre ein Krieg über Monate, wenn nicht über Jahre.

Umfragen bezüglich des Referendums ergeben, dass das Ergebnis ein starkes “NEIN” sein wird. Es gibt in der Türkei derzeit aber keine rechtliche Grundlage zur Absage des Referendums. Es könnte also sein, dass der türkische Staatspräsident das Land bewusst in einen Krieg zieht, um doch noch das Referendum absagen zu können. Es kann also sein, dass der Staatspräsident bis zum letzten Moment die Umfragen und Prognosen zum Referendum verfolgen wird, um dann womöglich grünes Licht für ein weiteres militärisches Abenteuer in Syrien zu geben.