“Um diese Umzingelung zu brechen, brauchen wir dringend einen Korridor”

asiya_abdullah1Aktuelles Interview mit Kovorsitzende der PYD Asia Abdullah über die Lage in Kobanê, ANF, 11.10.2014

In den letzten Tagen soll die IS weitere Kampfeinheiten in Richtung Kobanê verlegt haben. Es wird auch berichtet, dass junge Araber vom IS zum Kampf in Kobanê gezwungen werden. Was kannst du uns dazu berichten?

Der IS hat große Verluste in seinen Reihen zu verzeichnen. Deswegen werden ständig neue Kämpfer aus Städten wie Minbic, Dscharabulus  Raqqa, Tel Ebyad und Eyn Issa nach Kobanê beordert. In den letzten Tagen haben wir auch mehrfach davon gehört, dass der IS junge Menschen aus den Gebieten, die sie unter ihrer Kontrolle hat, belügt und sie anschließend zum Kampf zwingt. So soll vielen Jugendlichen gesagt worden sein, dass der IS bereits Kobanê eingenommen habe und die Jugendlichen die Stadt plündern dürften. Angekommen in Kobanê müssen sich diese Jugendlichen dann dem Kampf anschließen.

Gibt es Reaktion aus der arabischen Bevölkerung gegen diese Praxis des IS?

Ja, die gibt es. Viele arabische Familien haben sich bereits zur Flucht aus den IS Gebieten entschieden, weil sie fürchten, dass auch ihre Kinder ihnen von den Islamisten entrissen werden. Die Banden des IS terrorisieren also auch die arabische Bevölkerung. Uns wird auch berichtet, dass der IS in vielen Städten über Moscheelautsprecher die Menschen dazu aufruft, sich dem Krieg und dem Dschihad anzuschließen.

Gib es einen Aufruf, den du an die arabische Bevölkerung an dieser Stelle richten möchtest?

Wir halten an unserem gesellschaftlichen Projekt der Demokratischen Autonomie fest. Und dieses Projekt sieht das demokratische Zusammenleben aller Völker der Region vor. In unseren Kantonen leben verschiedene Religions- und Volksgruppen friedlich miteinander und die YPG und die YPJ verteidigen alle diese Gruppen. Egal welche dieser Gruppen angegriffen wird, die Verteidigungseinheiten sind für die Verteidigung aller Gemeinschaften in unseren Gebieten bereit.  Wir appellieren an die arabische Bevölkerung, sich nicht von der Politik des IS instrumentalisieren und sich in keinen Kampf zwischen den Volks- und Religionsgruppen hineinziehen zu lassen. Der IS verübt nicht nur ein physisches Massaker an den Menschen dieser Region, er will auch den Gedanken der Völkerverständigung auf diesem Boden vernichten.

Der türkische Staat behauptet, dass es in Kobanê keine Zivilisten mehr gibt. Stimmt das?

Tausende Zivilisten sind noch in der Stadt. Sie unterstützen den Widerstand. Auch die gesamte Verwaltung des Kantons Kobanê ist weiterhin hier. Es sind dutzende Familien, welche ihre Angehörigen, die in den Reihen der YPG und YPJ kämpfen, nicht alleine lassen wollen und deswegen die Stadt nicht verlassen. Bislang sind 15 Zivilisten durch die Angriffe ums Leben gekommen.

Hat der IS Zivilisten entführt?

Wir gehen von hunderten Menschen aus, die sich in der Hand des IS befinden. Dabei handelt es sich vor allem um Menschen aus den umliegenden Dörfern von Kobanê, die nicht rechtzeitig fliehen konnten. Darunter befinden sich auch Kinder. Es gibt Meldungen, dass der IS ein Teil der Kinder wieder freigelassen hat. Aber bis zu 30 Kinder gelten noch als vermisst und wir gehen davon aus, dass sie sich in den Händen des IS befinden.

Ihr habt die Forderung, dass ein Korridor nach Kobanê errichtet werden soll. Kannst du uns dazu was sagen?

Der IS greift mit schweren Waffen an. Damit wir uns und die Zivilisten hier besser verteidigen können, haben wir mehrfach erklärt, dass die Errichtung eines Korridors notwendig ist.  Die Luftangriffe sind wichtig. Aber damit wir den Widerstand auch hier führen können, brauchen wir einen Korridor. Über diesen sollte dann sowohl der Waffennachschub ermöglicht werden, aber auch Lebensmittel und humanitäre Hilfe. Der IS kontrolliert derzeit die Nachschubwege und die Wasserdepots, deswegen können wir hier auch nicht die Bedürfnisse für das Überleben der Menschen sichern. Um diese Umzingelung zu brechen, brauchen wir dringend einen Korridor.

Habt ihr diese Forderung auch an die internationalen Ansprechpartner gerichtet?

Das haben wir getan. Es gibt auch Institutionen, die derzeit über die Forderung sprechen. Wir hoffen, dass dies bald zu einem positiven Ergebnis führt.