Von Imrali bis Afrin

Internationale Initiative “Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan” zum 19. Jahrestag der Verschleppung Abdullah Öcalans, 15.02.2018

Der 15. Februar 2018 markiert den 19. Jahrestag der Verschleppung Abdullah Öcalans aus Nairobi/Kenia im Jahre 1999 in einer koordinierten Aktion, an der viele Staaten beteiligt waren. Die Empörung über die Verschleppung und Auslieferung Öcalans an die Türkei, wo er später zum Tode verurteilt wurde, führte im März 1999 zur Gründung der Internationalen Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan«

Imralı

Im Jahre 2002 schaffte der türkische Staat infolge internationalen Druckes und der Proteste von KurdInnen und Menschenrechtsorganisationen die Todesstrafe ab. Momentan gibt es jedoch Diskussionen um ihre mögliche Wiedereinführung. In jedem Fall wird Abdullah Öcalan unter Bedingungen festgehalten, die denen in einem Todestrakt gleichkommen. Er befindet sich unter Kontaktsperre und Totalisolation im Gefängnis auf der Insel Imralı im Marmarameer vor der Küste Istanbuls, zwischen Bosporus und Dardanellen. Das bedeutet: Keine Besuche, keine Briefe, keine Anrufe. Er ist jetzt seit beinahe drei Jahren vollständig von der Außenwelt abgeschnitten – mit einer kurzen Unterbrechung von insgesamt 30 Minuten.

Natürlich ist die Türkei nicht alleine verantwortlich für Öcalans Haftbedingungen und diese drastischen Verletzungen seiner unveräußerlichen Menschenrechte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Europäische Antifolterkomitee (CPT) haben jämmerlich dabei versagt, ausreichend Druck aufzubauen, um die Isolation zu beenden. Kein Staat hat öffentlich das Imralı-Gefängnissystem kritisiert, und NGOs wie Amnesty International oder Human Rights Watch hüllen sich vollständig in Schweigen was Öcalans Situation angeht.

Afrin

Seit dem 20. Januar 2018 führt das NATO-Mitglied Türkei im Verbund mit dschihadistischen Söldnern einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und versucht eine Invasion des überwiegend kurdische bevölkerten Kantons Afrin in Nordsyrien. Dabei massakrieren die Truppen lokale Verteidigungseinheiten genauso wie Zivilistinnen. 19 Jahre nach Öcalans völkerrechtswidriger Verschleppung schweigen die internationalen Akteure heute zum türkischen Versuch, Afrin zu besetzen. Während Russland die versuchte Invasion aktiv gestattet, bleibt die NATO-Staaten zu den türkischen Angriffen und den gut dokumentieren Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen in Afrin stumm. Der Unterschied zwischen Öcalans Verschleppung und der Invasion in Afrin – beide unter Beteiligung dritter Staaten – ist die heftige Kritik der Öffentlichkeit, die diesmal den lokalen kurdischen Widerstand, seine politischen Führungsfiguren und seine Verbündeten nicht völlig ignoriert.

Inspiration für Befreiungskämpfe

Öcalan ist einer der beliebtesten politischen Führer im Mittleren Osten, mit Anhängern in der türkischen und arabischen Bevölkerung und unter Kurdinnen und Kurden innerhalb und außerhalb der Türkei. Seine Stärke ist, dass er komplexe und weit verbreitete Probleme wie Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, Umweltzerstörung und staatliche Unterdrückung nicht nur anspricht, sondern Wege aufzeigt, wie diese durch den Kampf der unterdrückten Völker hier und jetzt überwunden werden können. Obwohl er isoliert und inhaftiert ist, inspirieren seine Ideen und seine Widerständigkeit viele. Darüber hinaus hat Öcalan bei vielen Gelegenheiten die Fähigkeit unter Beweis gestellt, vom Gefängnis aus einen Friedensprozess zu initiieren und zu entwickeln und so den türkischen Staat, die PKK und die Völker der Türkei positiv zu beeinflussen. Während der Gespräche 2013–2015 trug sein Einfluss wesentlich zur Ausweitung der Demokratie in der Türkei bei. Als die Gespräche vom türkischen Staat einseitig abgebrochen wurden, eskalierten die Konflikte wieder, staatliche Repression wurde verstärkt und viele Menschen verloren ihre Hoffnung auf eine sichere und demokratische Zukunft. Wie einst Nelson Mandela in Südafrika ist Abdullah Öcalan diejenige Person, die das Blatt wenden kann.
Öcalans Einfluss reicht weit über die Grenzen der Türkei hinaus. Seine umfangreichen Gefängnisschriften werden bereits in 20 Sprachen gedruckt und weltweit gelesen – insbesondere im Mittleren Osten, wo seine Ideen die größte sichtbare Wirkung entfalten. In Rojava (Nordsyrien) bauen Menschen, die von seinen Schriften inspiriert sind, eine multiethnische, multireligiöse, demokratische Selbstverwaltung auf – einen Leuchtturm der Hoffnung in einer Region, die so oft als hoffnungslos verstrickt in Nationalismus und konfessionelle Gewalt dargestellt wird. Im Gegensatz zur Propaganda internationaler staatlicher Eliten beziehen in Rojava Araber, Jesiden, Assyrer und besonders Frauen seine Ideen auf sich, und nicht nur auf das kurdische Volk und seine Selbstbestimmung. Sie erkennen vielmehr, dass seine Ideen Teil eines demokratischen Programms für die Emanzipation aller unterdrückten Völker in der von Kriegen geplagten Region des Mittleren Ostens ist.
Dank der Revolution in Nordsyrien und des breiten Anklangs, die sie bei verschiedenen Völkern und Gemeinschaften findet, und seiner Popularität während der friedlichen Phase von 2013 bis 2015 in der Türkei sind Öcalans Ideen – von Selbstverwaltung und demokratischem Konföderalismus bis zur Frauenrevolution – heute sichtbarer als je zuvor. Diese Tatsache stärkt uns in unserer Überzeugung, die wir bereits vor 19 Jahren in unserem Gründungsdokument bekundeten: »So erscheint die Annahme realistisch, dass die Lösung der kurdischen Frage in der Türkei eng mit dem weiteren Schicksal des Kurdenführers verbunden ist.«
Dies gilt heute umso mehr. Die einzige mögliche Lösung für den jahrzehntealten Konflikt in der Türkei ist eine politische Verhandlungslösung, und Abdullah Öcalan ist derjenige, der einen Friedensprozess wieder in Gang bringen kann. Aus diesem Grunde verknüpfen wir die beiden Forderungen: »Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan«. Das eine geht nicht ohne das andere. Öcalans Freiheit muss ganz nach oben auf die lokale und internationale Tagesordnung, damit Friede und Demokratie in der Türkei einkehren können. Die Zeit ist reif!

Für uns gilt es zunächst, eine Bresche in die Wände zu schlagen, die zurzeit Abdullah Öcalan und seine Mitgefangenen auf Imrali Island isolieren. Ihre Totalisolation symbolisiert die Haltung der Türkei gegenüber Demokratie und Menschenrechten. Um Aufmerksamkeit auf Öcalan, seine Ideen, Errungenschaften und die andauernde Verletzung seiner Menschenrechte zu lenken, werden wie jedes Jahr seit 1999 am Jahrestag seiner Verschleppung weltweit Demonstrationen stattfinden.
Kurdische Massenproteste 1999 führten zur Abschaffung der Todesstrafe. Massenproteste unterstützten 2014 die Verteidigung von Kobanê und halfen, das Blatt zu wenden. Heute brauchen wir internationale Massenproteste für ein Ende der türkischen Invasion in Afrin und für Öcalans Freiheit. Die Zeit ist reif! Freiheit für Abdullah Öcalan, Frieden in Kurdistan! Jetzt, sofort!

 

Erstunterzeichner
Mairead Maguire (Friedens­no­belpreis, Irland), Dario Fo (Lite­raturnobelpreis, Italien), Adolfo Perez Esquivel (Friedensnobelpreis, Argenti­ni­en), José Ramos-Horta (Frie­dens­no­bel­preis Ost­timor), José Saramago (Lite­ra­turno­bel­preis Portugal), Danielle Mitterrand (Stiftung France Liberté, Frank­reich), Ramsey Clark (ehem. Justiz­minister, USA), Uri Avnery (Gush Sha­lom, Israel), Noam Chomsky (Lin­guist, Publizist, MIT, USA), Alain Lipietz (MdEP), Pedro Marset Carpos (MdEP), Lord Eric Avebury (House of Lords, UK), Harry Cohen (MP Labour, UK), Cynog Dafis (MP Plaid Cymru, Wales, UK), Lord Raymond Hylton (House of Lords, UK), Lord John Nicholas Rea (House of Lords, UK), Walid Jumblat (Vor­sitzender der Sozialisten, Liba­non), Rudi Vis (MP Labour, UK) Paul Flynn (MP Labour, UK), Máiréad Keane (Sinn Fein, Nordirland), Domenico Gallo (ehem. Se­nator, Italien), Livio Pepino (Magis­tra­tura Demo­cratica, Ita­lien), Xabier Arzalluz (Natio­na­listische Bas­kische Par­tei), Tony Benn (MP Labour, UK), Alain Calles (Präsident MRAP, Frank­reich), Gianna Nannini (Künst­lerin, Ita­lien), Geraldine Chaplin (Schau­spielerin, Spa­nien), David MacDowall (Schrift­stel­ler, UK), Dietrich Kittner (Ka­ba­rettist, Deutsch­land), Alice Walker (Schrift­stellerin, USA), Franca Rame (Autorin, Schau­spiele­rin, Ita­lien), Chris Kutschera (Schrift­steller, Frank­reich), Prof. Dr. Jean Ziegler (Na­tio­nal­rat und Pu­blizist, Schweiz), Prof. Dr. Angela Davis (University of Ca­li­fornia, San­ta Cruz, USA), Prof. Dr. Norman Paech (Völ­kerrecht), Prof. Dr. Werner Ruf (Völ­ker­recht, Deutsch­land), Prof. Dr. Gerhard Stuby (Völkerrecht, Deutsch­land)