Vorbereitungen auf einen türkischen Einmarsch in Afrin

Der Journalist Seyit Evran analysiert die türkischen Vorbereitungen für einen Angriff auf den Kanton Afrin. Er stellt die Frage nach der Haltung Russlands und des Westens zu einer solchen Operation und erläutert, mit welchen Gruppen die Türkei den Angriff plant, 04.07.2017

Die Vorbereitungen der Türkei für einen Einmarsch im nordsyrischen Kanton Afrin und der Region Shahba sind im vollen Gange. Die Gebiete, von denen der Angriff ausgehen soll, wurden zur militärischen Sperrzone erklärt. Dörfer, die sich im Gebiet der Sperrzone befinden, werden aktuell geräumt. Wie die Haltung Russlands, der USA und anderer westlicher Länder zu einem solchen Einmarsch sein wird, ist noch nicht abzusehen.

In den letzten 15 Tagen haben die Vorbereitungen für den erwarteten Angriff der Türkei auf Afrin deutlich an Fahrt aufgenommen. In Orten wie  Ezaz, Exterin, Rai, Cebel Akil, Bab und Marea werden hierfür derzeit militärische Stützpunkte ausgehoben. Parallel dazu hat die Türkei bestimmte Gebiete zu militärische Sperrzonen erklärt. Dörfer, die in diese Gebiete fallen, werden geräumt. Vielfach handelt es sich dabei um kurdische Dörfer. In den verlassenen Dörfern lassen sich militärische Einheiten der Türkei samt ihrem schweren Geschütz nieder.  In den nächsten Tagen wird der Beginn des Angriffs erwartet. Erste Angriffsziele dürften dann die Orte Shahba und Tall Rifaat sein.

Der schwierige Bündnispartner Ahrar al-Sham und Wege der Einigung mit Al-Nusra

Bei ihrem ersten Einmarsch in Syrien im August 2016 hat die Türkei vor allem auf die russische Unterstützung gesetzt. Die Türkei sollte im Gegenzug hierfür dazu gedrängt werden, die bisher von ihr unterstützten FSA-Gruppen zu Terroristen zu erklären und die Fortführung der Herrschaft von Assad zu akzeptieren. Das war nicht der einzige Preis, den die Russen für den türkischen Einmarsch in Dscharablus verlangten. Es wurde auch über Aleppo verhandelt und im Endergebnis sorgte die Türkei dafür, dass die Gruppen der FSA in der lange umkämpften Stadt die weißen Fahnen hissten. Mit türkischer Unterstützung übernahm das Regime die Kontrolle über Aleppo. Dafür durfte die Türkei mit russischer Genehmigung ein begrenztes Gebiet im Norden Syriens unter ihre Kontrolle bringen, um so eine mögliche Verbindung zwischen Afrin und den übrigen Kantonen zu kappen.

Die Türkei versuchte ihrer Intervention stets den Schein zu geben, als handele es sich um eine gemeinsame Aktion mit der Freien Syrischen Armee. Dies tat sie, um mit dem Syrienkurs ihrer NATO-Partner nicht zu kollidieren. Doch die sog. FSA-Gruppen, die von der Türkei stets präsentiert wurden, waren im Wesentlichen niemand anderes als die Truppen von Ahrar al-Sham, also der militärische Arm der syrischen Muslimbrüder, sowie einige turkmenische Kampfverbände.

Vor ihrer letzten Intervention versuchte die Türkei zunächst die Nusra-Front und Ahrar al-Sham unter einem Dach zu vereinen. Weil sowohl Russland als auch die USA allerdings die Zusammenarbeit mit Ahrar al-Sham ablehnten, bemühte sich die Türkei ihrem Partner ein anderes Erscheinungsbild überzustülpen. Das hinderte die Islamisten allerdings nicht daran, in den Gebieten, die sie gemeinsam mit der Türkei eroberten, ihre Scharia-Gerichte zu errichten. Die Türkei ist sich im Klaren darüber, dass diese Praxis international auf Ablehnung stößt. Aus diesem Grund hat die Türkei ihren Partner nun vor der Afrin-Offensive zu einem Statement gedrängt, in welchem diese erklärten, dass sie in Zukunft auf verfassungsrechtlicher Grundlage und nicht auf Basis der Scharia Gesetze erlassen würden.

Parallel zu diesen Bemühungen ihren islamistischen Bündnispartnern Legitimität zu verleihen, sucht die Türkei auch erneut verstärkt den Dialog zur Al-Nusra Front. Denn die Türkei würde gerne den Al-Kaida Ableger in Syrien in die Operation auf Afrin integrieren. Zu diesem Zweck führten türkische Verantwortliche in der vergangenen Woche in Antep Gespräche mit der Führungsriege der Nusra Front. Die Message, die dem al-Kaida Ableger auf dem Treffen vermittelt wurde, dürfte wie folgt lauten: „entweder agiert ihr so, wie wir es von euch verlangen, oder wir machen euch gemeinsam mit Russland platt.“ Da nun in den letzten Tagen al-Nusra gemeinsam mit Ahrar al-Sham Dörfer in Afrin bombardiert hat, können wir davon ausgehen, dass die Drohungen Wirkung gezeigt haben.

Die russischen Beziehungen zu den Kurden Rojavas

Russland zielt darauf ab,  seinen Einfluss in Syrien stetig auszuweiten und agiert dementsprechend flexibel. So suchte Moskau auch mit Beginn der Revolution von Rojava den Kontakt zur PYD. Es wurde eine Vielzahl von diplomatischen Gesprächen geführt und eine Vertretung der Rojava-Verwaltung in Moskau eröffnet. Auf militärischer Ebene kam es ab 2013 zu ersten Kontakten, die zu einer punktuellen Zusammenarbeit führten. Doch die Zusammenarbeit wurde zunächst sehr diskret gehalten. Erst als die USA mit dem Widerstand von Kobanê offen Beziehungen zu den kurdischen Einheiten aufbauten, hatte Russland auch kein Problem mehr damit, ihre Zusammenarbeit mit den Kurden öffentlich zu gestalten.

Die kurdische Seite hat seit Beginn der Revolution an ihrem Kurs des dritten Wegs festgehalten. Doch die russische Annäherung an die Kräfte Rojavas stand immer im Lichte des Versuchs, die Position des syrischen Regimes zu stärken. Die Vertreter Rojavas haben diese Annäherung abgelehnt, was Russland dazu bewog, mit Drohungen und Erpressungen den Versuch zu starten, die Kurden gefügig zu machen. Die jüngste Frucht dessen ist der „freundliche“ Hinweis der Russen auf die türkische Gefahr, mit welcher das Projekt Rojava konfrontiert ist. Auch einen Ratschlag, wie man diese Gefahr bannen könne, hatte Moskau parat: Die Zusammenarbeit mit dem syrischen Regime.

Die Türkei hingegen begibt sich gerne in die Rolle, die ihr Russland aufträgt, und zieht derzeit ihre schweren Waffen für den Angriff auf Afrin vor dem Kanton zusammen. Russland hatte zuvor in diesen Gebieten ihre eigenen Soldaten stationiert, die scheinbar einen Pufferschutz vor einem möglichen türkischen Angriff darstellen sollten. Doch nun könnte es passieren, dass Russland diese Soldaten abzieht und somit dem türkischen Angriff vollständig grünes Licht gibt.

Entscheidet sich Russland für diesen Schritt, könnte das aber auch zu einem Eigentor werden. Denn wenn die Kurden nicht vor den Forderungen Russlands einknicken und sich auf die Verteidigung Afrins gegen den türkischen Angriff einrichten, könnten sie gegebenenfalls auch um die Unterstützung der US-geführten Koalition bitten. Kommt es dann zu dieser Unterstützung, würde das dann Russlands Einfluss in dem Gebiet deutlich schwächen.

USA und die westlichen Länder

Doch wir müssen auch festhalten, dass bislang auch die Haltung der USA und der westlichen Länder zu einem möglichen türkischen Angriff auf Afrin nicht abzusehen ist. Das einzige Statement aus diesem Lager lautete bislang, dass man keine Aktion dulden werde, die den Kampf gegen den IS schwächen würde. Mit diesem Statement haben die USA und die Internationale Koalition die Türkei zumindest wohl ein wenig ausgebremst.

Wir können also sagen, dass trotz der anhaltenden Kriegsmobilisierung der Türkei der Angriff auf Afrin zumindest ins Stocken geraten ist. Eigentlich wollte die Türkei ihre Besatzungsoperation am 27. Juni starten. Dazu ist es nicht gekommen. Die Gründe sind unklar. Der Druck des Westens kann ebenso Ursache dafür sein, wie ein Umdenken Russlands. Erdoğan hat in den letzten Tagen Trump angerufen. Auch ein Anruf bei Putin wird erwartet. Und in beiden Gesprächen ist die Operation auf Afrin sicherlich ein zentrales Thema. Der türkische Präsident versucht die Erlaubnis für den Startschuss einzuholen.

Natürlich müssen wir auch sehen, dass diese Kriegsdrohungen aus Ankara genau in die Zeit fallen, in welcher die Demokratischen Kräfte Syriens, zu denen auch die YPG und YPJ gehören, dem IS in seiner vermeintlichen Hauptstadt das Leben schwer machen. Diese Kriegsgebärden Erdoğans als indirekte Unterstützung für den IS zu werten, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen. Zumal der türkische Präsident in der Vergangenheit auch auf viel direktere Weise den IS unterstützt hat.

Egal welches Szenario nun am Ende eintritt, die Türkei also tatsächlich den Angriff wagt oder doch einen Rückzieher macht, die Verteidigungseinheiten von Afrin und Shehba bereiten sich auf die Verteidigung ihrer Heimat vor. Und es sind nicht nur die Kurden, die dies tun. Auch die Araber, die Turkmenen und die übrigen Völker und Stämme des Kantons befinden sich bereits in der Verteidigungsposition. Greift die Türkei also an, müssen wir uns auf erbitterte Kämpfe vorbereiten.

Im Original ist die Analyse am 03.07.2017 unter dem Titel “Türkiye’nin Efrîn’i işgal hazırlıkları” auf der Seite der Nachrichtenagentur Firatnews erschienen.