Während in Rojava der Stellvertreterkrieg endet

meral cicekKolumne von Meral Çiçek, Yeni Özgür Politika, 06.Dezember 2015

Der Begriff des „Stellvertreterkrieges“ fand erstmals während des kalten Krieges Eingang in die politische Literatur, er wurde zuerst während des Vietnamkrieges als solcher verwendet. Der Krieg, der im Englischen “proxy war”, im deutschen „Stellvertreterkrieg“ genannt wird, meint statt der direkten Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr Mächten den militärischen Kampf in einem Land über Dritte. Die Dritten, Staaten oder Kräfte, kämpfen stellvertretend für die Interessen derjenigen, die hintergründig und nicht involviert scheinen.

Dieser Term, der die Kriege zwischen den USA und seiner Verbündeten gegen den Ostblock benennt, findet seit dem Jahr 2012 in Bezug auf den Krieg in Syrien und Rojava zusehends Verwendung. Denn es war evident, dass der Krieg, der in erster Linie zwischen den Kräften des Regimes und der Freien Syrischen Armee [FSA, Anm. d. Red.] ausgetragen wird und sich insbesondere durch die seit 2013 intensivierenden Angriffe der Al-Nusra Front und IS/ DAESH auf Rojava kennzeichnet, tatsächlich durch Mächten von außerhalb gelenkt wird.

Doch der Charakter des Krieges in Syrien und Rojava (sowie im Irak und im Başûr [gemeint ist Südkurdistan, die kurdische Autonomieregion, Anm. d. Red.]) verändert sich immer mehr, die Phase des „Stellvertreterkrieges“ neigt sich dem Ende zu. Gefolgt von einigen regionalen Kräften fangen die internationalen Mächte an, eine unmittelbare Stellung in diesem Krieg einzunehmen. Die von den USA angeführten Kräfte der internationalen Koalition beschießen den IS/ DAESH seit vergangenem Jahr aus der Luft. Seit September nimmt auch Russland unmittelbar und offiziell an dem Krieg in Syrien teil. Mit der direkten und durch das syrische Regime bewilligten Teilhabe Russlands hat sich das Kräfteverhältnis gewandelt. In der Konsequenz ist am stärksten die Türkei in Bedrängnis geraten.

In diesem in Rojava und im Başûr [kurd. Südkurdistan, Anm. d. Red.], auf dem Boden Kurdistans, geführten Krieg befinden sich Deutschland und Großbritannien in diesen Tagen gerade zu in einem Wettlauf um eine aktivere Rolle.

Die Vertreter beider Mächte haben in letzter Zeit ihre Besuche in Südkurdistan vermehrt. Deutschland hat seine Kontakte im Oktober und Großbritannien sie im November auffällig stark intensiviert. Nach diesen Kontakten hat das britische Parlament ihrer Regierung am 03.Dezember das Mandat erteilt, den IS/ DAESH in Syrien aus der Luft anzugreifen. Nur wenige Stunden nach der Abstimmung haben vier vom englischen Luftstützpunkt in Zypern gestartete Flieger IS-Ziele in Syrien attackiert. An den Luftangriffen im Irak nahm Großbritannien bis dahin innerhalb der internationalen Koalition bereits teil.

In der Abstimmung im deutschen Parlament vom 04.Dezember wurde die Beteiligung Berlins an dem Krieg in Syrien beschlossen. Die deutsche Regierung beabsichtigt mit sechs Kampffliegern des Typs „Tornado“ sowie 1200 Soldaten nach Syrien zu gehen.

Da weder ein UN-Mandat noch eine offizielle Zustimmung der syrischen Regierung vorliegen, ist die direkte Intervention Deutschlands in den Krieg nach ihren eigenen Gesetzen eigentlich rechtswidrig. Deshalb begründet die deutsche Regierung ihren Beschluss durch den Artikel 42 des EU-Vertrages [nach Lissabon, Anm. d. Red.], unter Berufung auf die Angriffe in Paris. Nach Artikel 42 Abs. 7 „schulden“ die übrigen Mitgliedsstaaten, einem EU-Mitgliedsland im Falle eines bewaffneten Angriffs Beistand.

Frankreich bat die EU-Mitgliedsstaaten gemäß diesem Artikel um Unterstützung, welcher trotz zahlreicher ähnlicher Angriffe innerhalb der Grenzen der EU bisher keine Erwähnung fand.

Ob dieses Ersuchen bei den übrigen Staaten Widerhall findet ist unklar, Berlin jedoch gab dem Antrag vom 25. November aus Paris innerhalb von 24 Stunden seine Zustimmung. Wenn zudem nach bereits einer Woche sowohl über Luftangriffe als auch über die Stationierung von 1200 Soldaten gegen den IS im föderalen Parlament votiert werden soll, so erscheinen die Angriffe auf Frankreich lediglich als juristischer Deckmantel für den deutschen Staat.

Auf der einen Seite setzen sich die Angriffe des IS auf Rojava und der Stellvertreterkrieg in Teilen fort, auf der anderen beteiligen sich sowohl die West- als auch Regionalmächte unmittelbar an dem Krieg, wodurch sich nicht nur die Art, sondern gleichzeitig die Anzahl der Kräfte an sich ändert.

Innerhalb dieser Kräfte verfügen in erster Linie die KurdInnen als Akteure über Gestaltungsmacht. Die vehement an der “dritten Linie“ [auch „Dritter Weg“, gemeint als eigenständige Lösung für Syrien außerhalb der Sphären der FSA und des Regimes, Anm. d. Red.] festhaltenden KurdInnen müssen gerade in dieser Zeit sowohl ihren militärischen Widerstand gegen den IS und die das türkische Militär verstärken als auch ihren Status durch politisch-diplomatische Initiativen verteidigen. Ebenso müssen sie eine aktive, wegweisende Rolle in der Bestimmung der Ausrichtung ganz Syriens annehmen.

Es ist von großer Bedeutung, in dieser Zeit, in der sich die Qualität des Krieges ändert, Politik sich verfeinert und die Zahl der Akteure stark zunimmt, dieser neuen Phase gut vorbereitet entgegenzutreten.

Ein letzter Punkt: Der türkische Staat, der von Beginn an die Entwicklung einer Selbstverwaltung der KurdInnen in Rojava durch Investitionen in einen Stellvertreterkrieg zu verhindern suchte, ist zwischen seiner alten und neuen Politik in ernsthafte Bedrängnis geraten. Die zuletzt mit Russland erlebte Krise ist eine Erscheinung dessen. Die Türkei, die durch die USA einen Einbezug in die internationale Koalition anstrebt, beharrt sie auf der anderen Seite durch die Bemächtigung von Terrorbanden wie den IS, die Al-Nusra Front und Ahrar-al Sham und ihre Angriffe auf Rojava auf ihrer Linie. Doch sie wird diese Linie offensichtlich nicht fortsetzen können. Denn die Neugestaltung Rojavas und Syriens durch Außen- und Regionalmächte wird am meisten die Türkei anstrengen. Dies wird in den nächsten Wochen noch konkreter zu beobachten sein.