Warum eine Website für Jineolojî?

Heval Rumet zum Aufbau einer deutschsprachigen Internetpräsenz für Jineolojî, 19.07.2017

Angesichts des realen Leids, der Armut, Gewalt, Folter und tausenden anderen Formen von Brutalitäten, die wir wieder und immer wieder erleben: ist demgegenüber eine solch ungreifbare und künstliche, virtuelle Website nicht eines der letzten Bedürfnisse von Frauen? Seit tausenden von Jahren werden zahllose Städte auf dem Boden dieser Erde gebaut, diedie Welt zu einem leblosen Ort gemacht haben – warum fügen wir dem eine solche Homepage im Namen von Jineolojî hinzu? Warum ist das nötig? Ist diese Notwendigkeit eine ebenso reale wie unser Leiden?

Schauen wir uns die Tante (oder vielleicht nennt Ihr sie lieber Mutter, Frau, Ahnin, Weise, Schwester) im Logo einmal an: wie sie mit einem greifbaren Werkzeug an ihrem Arbeitsplatz wahrhaft ihren Platz einnimmt. Wie sie die Spindel wahrhaftig in ihren Händen hält und ihre Kunst spinnt, Wissen hervorbringt und eine Technik entwickelt, die mit einer realen Notwendigkeit korrespondiert. Mit ihrer so ruhigen, so stolzen, und zugleich so würdevollen Haltung. Sie ist nicht bloß eine Frau, die vor tausenden von Jahren gelebt hat. Sie ist eine Frau, die sich dem Schicksal nicht ergeben hat, sie berührt und beeinflusst uns bis heute. Sie hat es geschafft, ihren Faden nicht abreißen zu lassen. Es scheint als würde sie den Faden spinnen, um Strickjacken, Socken, Tücher für uns zu stricken. Sie macht keine Unterschiede, diskriminiert niemand. Wer immer auch sie fragt, sie wird antworten: „Ich mache diese Arbeit für dich, meine Liebe“. So viel Verbundenheit, so viel Wahrheit. Möglich, dass Ihr ihre Arbeit als einfach, geringschätzig oder rückständig erachtet. Möglich, dass einige sogar bemerken, der gesponnene Wollfaden sei zu dick und grob und damit unästhetisch.

Aber diejenigen unter uns, die ein wenig historisches Verständnis haben, wissen um ihr Erbe und ihren Beitrag für uns alle und achten diese Ahnin (oder wie Ihr sie nennen wollt): Hätte sie nicht existiert, hätte es ihre Spindel nicht gegeben, durch die sie in beständiger Suche Wunderbares hervor gebracht hat, dann wären heutiges Wissen und Technologien, mit denen wir unsere Bedürfnisse erfüllen und auch diese künstliche Technologie, mit der wir nun mit Euch in Kontakt treten können, nicht möglich gewesen.

Wo wären wir heute, ohne die magischen Hände dieser Frau, ohne ihr liebevolles Herz, das sie für jedes Teilchen des Universums öffnet, ohne ihre zärtliche und einfühlsame Intelligenz, ihren gestaltenden Verstand? Wie viel würde uns fehlen? Wie hätten wir die verschiedenen Evolutionsstadien durchlebt? Wir wissen es nicht.

Diese Ahnin hat ihren Arbeitsplatz nicht grundlos in irgendeiner Gegend aufgebaut, sondern in Mesopotamien, im Mittleren Osten. Sie hat ihren Webstuhl auf dem Boden einer Gegend voll von Geheimnissen, Mysterien,und weisen Erkenntnissen errichtet. Mit ihrer Spindel hat sie den Faden in jedem Augenblick, an jedem vorübergehenden Tag, in jedem Monat, Jahr, Jahrhundert weitergesponnen. Sie hat ihre Gefühle in ihre Wolle eingewebt und jeder menschlichen Verfassung in ihren Strickmustern Ausdruck verliehen. Auf jedem Stück Erde, auf den sie ihren Fuß setzte, schuf sie Geschichte. Diese Geschichte verewigte sie in den Samen, die sie mit kräftigen Händen auf den Äckern säte und in den Stoffen, die sie webte. Sie war ihre eigene Schöpferin und ihre eigene Schöpfung. In doppelter Hinsicht hat sie mit ihrem Wirken Leben hervorgebracht: Mit der Spindel und der Erde. Mit Samen und Gefühl. Mit ihren Händen und ihrem Herzen hat sie ihre Spindel gedreht. Die Schwielen von der Feldarbeit an ihren Händen und die Spuren des Lebens in ihrem Herzen fließen in den Faden ein, den sie spinnt und in die Erzeugnisse, die sie berührt.

Diese Ahnin erzählt uns viel mehr als das, was sie uns auf diesem Bild zeigt. Sie spricht ohne zu schreien, mit einer kraftvollen, langsamen, ruhigen und weichen Stimme, die ihre tief verwurzelte Verbindung zu ihrem Herzen, zu ihrer Seele und zu ihrer Geschichte verdeutlicht. Wenn du ihr nicht zuhörst, fühlst du dich, als hättest du dich von dir Selbst abgewendet. Es ist ein Lied in deiner Muttersprache von der Erde, auf der du groß geworden bist, von der Muttermilch, die du getrunken hast, von den Geschichten, die dir deine Großmütter erzählt haben. Um weiterhin wahrhaftig existieren zu können, musst du ihr zuhören:

„Meine Kinder, meine schönen Kinder! Ich war die Mutter der Geschichte, welche die Erde , Mann und Frau geboren hat. Ich war diejenige, die mit ihren fruchtbaren Händen den Samen am richtigen Ort angepflanzt und das unfruchtbare Land fruchtbar gemacht hat. Ich war diejenige, die für Hunger, Kälte, Tod, schwere Wunden, Obdachlosigkeit ein Mittel und eine Lösung gefunden hat. Wir haben so schwere Zeiten erlebt, dass wir beinahe ausgestorben wären, aber wir haben immer wieder Lösungen gefunden. Wenn ich mir jetzt eure Situation anschaue, ihr habt jetzt so viel Erde und Wasser zur Verfügung. Jetzt gibt es keine unkontrollierbaren Brände mehr, keine wilden Tiere, die nicht zu bändigen sind und keine Krankheiten, deren Ursachen euch unbekannt sind. Auch gibt es kaum andere Hindernisse, die euch Schaden zufügen könnten. Euer Verstand hat Techniken und fortschrittliches Wissen geschaffen. Aber trotzdem sehe ich, dass ihr für euch selbst keine Lösung findet. Ihr schafft es nicht, diese vielfältigen Möglichkeiten richtig in Einklang zu bringen und zu nutzen. Erforscht das, was ihr primitiv nennt, findet einen Weg um das Geheimnis und den Sinn des Lebens zu verstehen. Ich bin die Stimme in euch, die niemals verstummen wird. Ich bin das Potential eures Verstandes, das niemals verloren gehen wird. Ich bin eure Geschichte. Ich bin der Garten voller Blumen und Intuitionen, den ihr in eurer Gefühlswelt immer wieder erblühen lassen könnt. Dafür ist es allein notwendig, dass Ihr Euch selbst kennt und mich, also Eure Geschichte, kennenlernt…“

Unsere Homepage, unser Logo, unser Name sind tatsächlich ist es ein Symbol, ein Konzept. Aufmerksamen Geistern und Herzen sagt dies vieles! Aber als diejenigen, die wir in der Realität des gegenwärtigen Systems leben und in jedem Moment dagegen kämpfen, wissen wir, dass wir in diesem Jahrhundert in jeder Sekunde unseres Lebens mit der Gefahr der Vernichtung unseres Lebens, unserer Gesellschaften, mit Genozid und Feminizid konfrontiert sind. Deshalb sagen wir, dass die Gesellschaft, das Leben, die Frauen in jedem Augenblick ihr Bewusstsein schärfen müssen. Genau das ist der Grund, weshalb wir sagen: Jineolojî.

Mit der Jineolojî Website wollen wir jeden Bereich des Lebens angehen und als ein zeitgenössisches Kommunikationsmittel nutzen, der virtualisiert wurde. Wir haben diese Arbeit mit dem Wunsch begonnen, die Seite möge so einfach und bescheiden sein wie die Spindel in Händen unserer Ahnin und möge den wirklichen Bedürfnissen des Lebens dienen. Wir sind die Enkelkinder dieser Ahnin, wir sind die Kinder dieser Erde! Wir tragen die Anstrengungen, mit denen sie ihre Spindel drehte, in unseren Genen. Und während wir an der Homepage gearbeitet haben, drehtet sie weiter ihre Spindel, spann den Faden und zerstreute die Bequemlichkeit, die uns umgibt. Es entstanden neue Energie, neues Engagement, neue Herausforderungen…

Welcher Name, was für ein Logo, was für ein Inhalt, welche Themenüberschriften… ? Unsere Diskussionen gehen weiter und werden weiter andauern. So wie sich die Spindel unsere Ahnin immer weiter dreht. Die Webstühle, die sie mit Trotz und Ausdauer gegen die Lügeninstrumente der Intrigen und List des patriarchalen Geistes errichtet hat, sind nie vollständig zusammengebrochen. Sie hat immer weiter die Menschheit genährt und beschützt. Und sie versucht uns mit Liebe und Erfolg unter den schwierigsten Bedingungen vorangehen zu lassen. Wir bekommen neue Hoffnung, wenn wir auf ihr Kunstwerk schauen. Wir wissen, dass die Menschheit ihr ihre Existenz verdankt. Wissenschaft, Kunst, Handwerk wurden mit ihren Händen gewebt, geformt und fließen in unser heutiges Leben ein. Unser wissenschaftliches Vorhaben, an dessen Umsetzung wir arbeiten, ist ebenfalls diesem Gewebe entsprungen. Wir spinnen eine Wissenschaft der Frauen mit der Spindel unserer Ahnin und mit der Schönheit ihres kontinuierlichen, endlosen Fadens. Wir werden an diese Schönheit anknüpfend auf dieser Website schreiben. Hiermit wollen wir auch die Zerstörung des Lebens durch Virtualisierung beenden. Wir sind davon überzeugt, dass das reale Leid und die Grausamkeiten, die Frauen unterdrücken, gestoppt werden können. Hierfür sind die Mentalität, der Geist und die Intelligenz von Frauen notwendig, die aus der Arbeit den Herzen und Seelen von Frauen resultieren. Wir hoffen, dass immer mehr Frauen erkennen, dass sich die Spindel dieser Frauen noch immer weiter dreht und nie aufhören wird. Der hier gesponnene Faden wird nie abreißen. Es ist der Faden, der die Menschheit mit ihrem Herzen sehen lässt. Hierzu möchten wir beitragen. Wir möchten, dass diejenigen unter uns, die mit ihren Herzen sehen können, ihren ganzen Geist und ihre ganze Intelligenz auf die gegenwärtigen Erfordernisse fokussieren und sich aktiv gegen jede Form von Feminizid und Genozid stellen, die unsere Leben bedroht. Wenn Jineolojî dies nicht erreicht, verliert sie ihre eigene Existenzgrundlage. Dann wird der Faden des neolithischen Erbes, der Faden der Spindel der Göttin immer dünner werden. Dann wird es der Jineolojî – trotz guter Absichten – nicht gelingen, zu einer Wissenschaft zu werden, die Genozide und den Feminizid stoppen kann. Wir können die Geschichte lesen, indem wir in den Fluss der Unendlichkeit blicken, der durch das Herz der Mutter-Frau fließt, indem wir die Melodie der Liebe auf ihren Lippen und den Ton der Poesie in ihrer Seele hören, die die emotionale Last der Jahrhunderte in sich tragen.

Wir werden diese Webseite weder nur mit emotionaler, noch nur mit analytischer Intelligenz gestalten. Wie unsere Ahnin wollen wir unser Spinnrad, unsere Webseite als Ergebnis unseres schöpferischen analytischen Geistes errichten, und zugleich als Frucht unserer emotionalen Intelligenz ästhetisch gestalten und schmücken. Im Endeffekt werden wir uns auf die Lebenskultur der Mutter-Gottheit beziehen. Jineolojî wird sich weder auf eine Ideologie einlassen, die Verstand von Frauen einengt oder gefangen hält noch auf eine, die ihr Vernunft und Verstand abspricht. Jineolojî wird derartige Sichtweisen aus ihrem Arbeitsbereich fernhalten, es sei denn, es geht darum, sie kritisch zu analysieren.

Unsere Webseite soll dazu betragen den Weg zur Wissenschaft der Frauen zu ebnen. Mit den Worten einer Weisen: „Es mag nur einen Gott geben, aber es gibt tausende von Wegen, ihn zu erreichen.“ Diese Seite ruft dazu auf, die 104 Me (Weisheiten und Erzeugnisse der Göttin Ishtar) zurück zu holen, die von den Frauen gestohlen wurden und sie mit der Menschheit zu teilen. Sie knüpft an den halb-vollendeten Kampf von Ishtar an! Die Ereignisse, die sich 2014 auf diesem Erdboden abspielten, sind der lauteste Appell an das Gewissen der Menschheit, dass der unvollendete Kampf Ishtars gewonnen werden muss. Es war ein lauter Aufschrei der Frauen und Kinder, kurdische, turkmenische und anderer Volksgruppen, die entführt und auf Sklavinnenmärkten verkauft wurden. Diese Seite ist eine Antwort auf diesen Aufschrei. Wir, die Frauen dieser Länder, müssen die Stimmen der Göttinnen wahrnehmen, die jeden Tag zu uns sprechen. Diese Seite bedeutet, diesen Stimmen zuzuhören und zu antworten. Mit dem Anspruch, eine Frauenwissenschaft aufzubauen, geben wir den Göttinnen Antwort.

„Ich habe verstanden, dass sie Stück für Stück sehr subtil meine Mutter-Gottheit und die Frau der Liebe bis zum heutigen Tag zerstückelt, ausgebeutet und vernichtet haben. Die Überreste haben sie in Form der institutionalisierten Ehe als Schweigegeld vor den männlichen Sklaven abgeladen. Indem ich dieses zweifelhafte Geschenk von Herzen zurückweise, desto mehr glaube ich, dass ich ein guter Sohn der Mutter-Göttin werden könnte und umso mehr erfüllen mich Freude und Stolz.“

Mit Frauen, die diesen Aufruf und Vorschlag von Abdullah Öcalan für wichtig erachten, haben wir die Initiative zum Aufbau dieser Seite begonnen. Sie teilt seine Freude und seinen Stolz und beabsichtigt, an die Tradition der Mutter-Göttinnen anzuknüpfen. Jineolojî entstand aus den Werten des jahrelangen Kampfes und des Widerstands auf dieser Erde. Mit diesen Werten wird Jineoloji weiter wachsen und universal werden.

Der Kampf, den die Göttinnen für das Leben, die Liebe und Wissen hier in dieser Gegend begonnen haben, dauert an. Die Webstühle, die inmitten des Lebens aufgebaut wurden, funktionieren und arbeiten noch immer. Die Spindel der Göttin dreht sich noch immer. Jede, die weben möchte, ist bei Jineolojî willkommen!

Zum Link der Website: http://jineoloji.org/de/