Warum sind die Verhandlungen von Oslo zum Stillstand gekommen?

muzakereMahmut Hamsici, Journalist / BBC Türkce

Zübeyir Aydar, Mitglied des KCK Exekutivrates, war beteiligt an den Osloer Verhandlungen zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und der PKK. Er hält die türkische Regierung dafür verantwortlich, dass die Verhandlungen zum Stillstand gekommen sind und erklärt zugleich, dass sie sich einen erneuten Verhandlungsbeginn wünschen würden.
Aydar erklärte, dass ihre Seite in der Verhandlungsphase zwar alles in ihrer Macht stehende getan habe, die türkische Regierung habe jedoch ihre Versprechungen nicht erfüllt, auf eine Hinhaltetaktik gesetzt und schließlich die Verhandlungen ohne Vorwarnung einseitig beendet.

‘KCK-Operationen haben in der Phase der Waffenruhe begonnen’
Aydar erklärte, dass 2009 die Verhandlungen sehr schnell abliefen. Allerdings habe der Staat in einer Phase, in der die PKK die Waffenruhe eingehalten hat, die KCK-Operationen in Gang gesetzt. Dies sei der erste große Rückschlag für die Verhandlungen gewesen.

Aydar kommentiert den Beginn der KCK-Festnahmewellen wie folgt:
“Die Gegenseite hat einfach keinen Lösungswillen an den Tag gelegt. Sie wollte die (kurdische) Bewegung in einer Phase der Waffenruhe halten, um ihr eigenes Projekt problemlos umsetzen zu können. Ihre Logik funktionierte ungefähr so ‘Wir halten sie hin bis zu den Wahlen und bis dahin versuchen wir, unsere Regierungsmacht über alle staatlichen Institutionen zu festigen’”.

‘Sie hatten versprochen, die Friedensgruppen nicht festzunehmen’
Aydar erklärte auch, dass der Staat versprochen hatte, die Friedensgruppen, die am 19.Oktober 2009 vom Grenzposten Habur ins Land gekommen sind, nicht festnehmen zu wollen. Aber auch dieses Versprechen wurde nicht eingehalten, so Aydar.

“Sie wollten Friedensgruppen, wir haben sie geschickt. Sie sagten, dass keiner von ihnen festgenommen oder verurteilt werden würde. Aber jetzt sitzen die Leute aus diesen Gruppen im Gefängnis. Das Staatsversprechen lautete, ihnen werde nichts passieren. Jetzt sehen wir, was aus diesem Staatsversprechen geworden ist.”

Auf die Kritik, dass die Ankunft der Friedensgruppe sich zu einer Show der PKK entwickelt und deshalb die Öffentlichkeit empfindlich gestört habe, entgegnet Aydar wie folgt:
“Keiner hatte diese Ankunft vorher organisiert. Das Volk wollte die Ankunft des Friedens feiern. Zum ersten Mal sollte die Bevölkerung anstatt Leichname lebendige FriedensbotschafterInnen empfangen. Bei solch einem Ereignis sollten sich doch alle freuen. Stattdessen wurde ein Bild geschaffen, als seien diese Menschen gekommen, um sich zu ergeben. Dabei hatten wir sie als FriedensbotschafterInnen entsendet.

‘Das Gefecht von Silvan war nicht geplant’
Aydar gab an, dass die PKK die Phase der Gefechte nicht begonnen habe. Die erste militärische Operation gegen die PKK sei im April 2011 durchgeführt worden und die PKK habe bei einem Gefecht in Hatay wieder ihre ersten sieben Gefallenen verzeichnen müssen. Bis zu den Wahlen am 12. Juni 2012 seien insgesam 56 PKKler getötet worden und die PKK habe bis zu diesem Datum ihrerseits keine einzige Aktion durchgeführt.

Auf die Behauptungen, dass die Gespräche von Oslo nach einem Gefecht am 14.Juli 2011, bei dem in Silvan 14 Soldaten getötet worden sind, ihr Ende gefunden habe, entgegnet Aydar mit folgenden Worten:
“Die Aktion in Silvan war keineswegs geplant. Dort sind bei einer militärischen Operation zwei Kräfte aufeinandergestoßen. An jenem Tag hätten die Soldaten auch die anderen töten können. Aber diejenigen, die zuerst reagiert haben, haben die Gegenseite geschlagen.”

‘Beim letzten Kontakt mit dem Staat ging es um die Protokolle Öcalans’
Aydar fügt hinzu, dass Ende 2010/Anfang 2011 die Türkei mit dem Iran, dem Irak und Syrien eine Vereinbarung im Kampf gegen die PKK geschlossen habe. Diese Vereinbarung habe die Verhandlungen ebenfalls negativ beeinflusst. Laut Aydar sei diese Vereinbarung allerdings aufgrund der Niederlage des Irans beim Invasionsversuch in das Kandilgebiet und dem Ausbruch der inneren Probleme in Syrien ins Leere gelaufen.

Der letzte Kontakt mit dem Staat habe im Mai 2011 stattgefunden. Hierbei sei es zu einer Übereinkunft bei den Diskussionen über die drei von Abdullah Öcalan vorgelegten Protokolle gekommen. Nun hätte es im Juni eine Rückmeldung des Staates geben müssen. Diese sei aber nicht mehr gekommen.

‘Wir haben unsere Antwort durch die Fernsehansprache des türkischen Ministerpräsidenten erhalten’
Aydar fährt wie folgt fort:
” Am 9.Juni hält der türkische Ministerpräsident in Istanbul live vor 60 Fernseh- und Radiosendern eine Rede. Zu diesem Zeitpunkt sind es noch drei Tage bis zu den Wahlen. Er sagt: ‘Abdullah Öcalan ist für dieses Land zu einem Unheil geworden. Hätte man ihn gehängt, als er festgenommen wurde, wäre dies alles heute nicht passiert. Solange wir an der Macht sind, wird er aus seiner Zelle nicht herauskommen.’ An jenem Tag haben manche noch gedacht, dass er so rede, weil die Wahlen kurz bevorstehen und er im Teich der MHP nach Stimmen fischen wolle. Aber wir hatten unsere Antwort erhalten. Das war der eigentliche Beginn des Stillstands im Verhandlungsprozess.”

Kritik an der CHP
Aydar kritisierte die CHP dafür, dass sie die Verhandlungsdokumente öffentlich gemacht habe. Man dürfe nicht für den simplen politischen Profit (durch die Fortsetzung des Krieges) den möglichen Tod in Kauf nehmen. Der CHP-Vorsitzende Kemal Kiliçdaroglu forderte damals, dass die PKK zunächst die Waffen niederlegen müsse, bevor die Gespräche von Oslo fortgesetzt werden sollten.

Aydar zufolge zeuge solch eine Haltung schlichtweg von Unwissenheit. “Niemand kann vor Verhandlungen dem Gegenüber vorschreiben, wie er oder sie dort aufzutreten habe. Aber sobald man an einem Tisch sitzt, kann natürliche jedes Thema besprochen werden.”

Die Rolle der Gülen-Gemeinde beim Durchsickern der Informationen
Über die Frage, wie die Informationen über die Verhandlungen an andere Kreise durchgesickert seien, stellte Aydar folgende These auf:
“Diejenigen, die die Informationen haben durchsickern lassen, waren Kreise, die nicht wollten, dass die kurdische Frage durch einen Dialog gelöst wird. Hinzu kommt meiner Meinung nach ein weiterer Faktor und dieser Faktor sind die Auseinandersetzungen zwischen der AKP und Gülen-Gemeinde. Die Gülen-Gemeinde hat eine Menge staatlicher Institutionen infiltriert und eingenommen. Beim MIT ist ihr das bislang allerdings nicht gelungen. Um auch den MIT nach ihren Wunschvorstellungen zu formen, musste sie zunächst ein paar Leute ins öffentliche Visier nehmen, um sie schließlich durch die Staatsanwaltschaften mit Sonderbefugnissen hinter Gittern bringen zu lönnen. Hätte die Regierung hiergegen damals nicht interveniert, wären diese MIT-Leute vermutlich heute im Gefängnis.”

‘Wir sind bereit für einen Neuanfang’
Auf die Frage, ob seine Seite bereit sei, die Verhandlungen von Neuem aufzunehmen, antwortete Aydar mit ‘selbstverständlich’ und fügte hinzu:
“Unsere Basis ist nicht erst seit gestern bereit für einen Frieden. Wir haben unsere Bevölkerung schon lange hierauf vorbereitet. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Frieden unbedingt durch einen Dialog realisiert werden muss. Es ist während der Verhandlungen immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Aber wären die Verhandlungen fortgesetzt worden, hätte weder unsere noch die gegnerische Seite diese Verluste hinnehmen müssen. Beides sind letztlich die Verluste dieses Landes.”

Aydar fügte hinzu, dass ihre Seite die Verhandlungen ohne Vorbedingungen wiederaufnehmen würde, sollte ein entsprechendes Angebot von der Gegenseite kommen. Daran anknüpfend ergänzte Aydar abschließend: “Seit 424 Tagen erhalten wir von unserem Vorsitzenden Apo (Abdullah Öcalan) kein Lebenszeichen. Selbt wenn wir als Organisation eine Entscheidung treffen würden, hätten wir ohne sein Zutun große Schwierigkeiten, diese Entscheidung umzusetzen. Deshalb forderte er stets, dass für seine Beteiligung an einem Friedensprozess seine Gesundheits- und Sicherheitslage garantiert und seine Bewegungsfreiheit gewährleistet werden muss. Wir sehen dies genau so.”

Infobox:
Was sind die Oslo-Verhandlungen?
Als Oslo-Verhandlungen werden die Gespräche zwischen türkischen Staatsvertretern und Vertretern der PKK in der norwegischen Hauptstadt Oslo bezeichnet. Die Phase, in der diese Gespräche geführt worden sind, wird auch als ‘Oslo-Phase’ bezeichnet. Obwohl vermeintliche Sprachaufzeichnungen und Skizzen der Gespräche existieren, gab es bisher keine offizielle Erklärung zu den Gesprächen. Es wird behauptet, dass im Auftrag von Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan der Unterstaatssekretär des MIT Hakan Fidan als ‘spezieller Vertreter’ teilgenommen hat. Gemeinsam mit seinem Vertreter Afet Günes soll er auf Seiten des Staates die Gespräche geführt haben. Für die kurdische Seite nahmen vermutlich Mustafa Karasu, Sabri Ok und Zübeyir Aydar an den Gesprächen teil. Aufgrund der vorliegenden Informationen wird vermutet, dass die Gespräche im Sommer 2011 gestoppt wurden. Am 8.Februar wurden schließlich die beiden Teilnehmer der Oslo-Gespräche Fidan und Günes, sowie der ehemalige Unterstaatssekretär des MIT Emre Taner im Rahmen der KCK-Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaft zum Verhör zitiert. Noch bevor es zu diesem Verhör kam, wurde in der darauffolgenden Woche quasi über Nacht das MIT-Gesetz im türkischen Parlament geändert. Von nun an dürfen die Angestellten des MIT nur mit Erlaubnis des Ministerpräsidenten zum Verhör durch die Staatsanwaltschaft geladen werden. Deswegen kam es zu keinem Verhör. Diese Situation wurde in der Öffentlichkeit als Auseinandersetzung zwischen der AKP und der Gülen-Gemeinde interpretriert. Zuletzt kamen die Oslo Gespräche erneut auf die Tagesordnung, weil die CHP ein Papier veröffentlichte, welches sie als Skizze der Oslo-Gespräche präsentierte.

Quelle: BBC Türkce – 24.9.2012, Übersetzungskollektiv von ISKU

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