Warum wir Erdogan als rechtsextrem bezeichnen sollten

Ali Çiçek, Mitarbeiter von Civaka Azad, in einem offenen Ratschlag an die ARD, 02.04.2019

Rechtspopulistische und nationalistische Parteien sind international auf dem Vormarsch. Breit wurde Ende des vergangenen Jahres die Wahl von Jair Bolsonaro zum neuen brasilianischen Präsidenten diskutiert. Fremden- und frauenfeindliche Äußerungen des „Trump der Tropen“ hatten bereits während des Wahlkampfs international für großes Aufsehen gesorgt.

So griff auch der deutsche Außenminister Heiko Maas in seiner Rede zum diesjährigen Internationalen Frauentag den Aufstieg von Rechtspopulisten mit folgenden Worten auf: Und auch manch internationale Entwicklung deutet leider eher auf einen Rückschritt als auf einen Fortschritt hin. Der populistische Ruf nach starken Führern à la Erdogan, Orban, Putin oder Bolsonaro, der macht mir zusätzlich Sorgen.“

Im Kontext des offensichtlichen Erstarkens von rechtspopulistischen Parteien ist es auch eine Herausforderung für die (Massen-)Medien diesen Prozess der politischen und gesellschaftlichen Polarisierung kritisch zu begleiten und ihrer Meinungsbildungsfunktion gerecht zu werden.

Im Falle des brasilianischen Präsidenten hat die ARD eine klare Entscheidung getroffen, in der sie sich dazu entschlossen hat, den brasilianischen Präsidenten als rechtextrem zu bezeichnen und damit, wie es in dem ARD Beitrag „Warum wir Bolsonaro als rechtsextrem bezeichnen“ heißt „trennscharf zu definieren“ wie Bolsonaro politisch einzuordnen sei. Die ARD hat dafür die wesentlichen Merkmale eines Rechtsextremisten aufgezählt und am Beispiel der Äußerungen Bolsonaros deren Gültigkeit dargelegt.

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In diesem Artikel, möchten wir uns nun vergleichend anschauen, ob die im ARD-Beitrag herangezogenen und auf Bolsonaro zutreffenden rechtsextremen Merkmale auch für türkischen Präsidenten Erdogan gelten. Die ARD greift in ihrem Artikel auf die folgende Definition des deutschen Verfassungsschutzes zurück: „Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab und wollen – auch unter Anwendung von Gewalt – ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten.“

Für ein autoritäres Staatssystem

Seit dem sogenannten Putschversuch im Juli 2016 hat Recep Tayyip Erdogan bereits mehrfach öffentlich ankündigt, man müsse über die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei nachdenken. Erdogan will mit der Todesstrafe seine politischen Gegner ausschalten. Auf die Frage, was mit den mutmaßlichen Putschisten passieren werde und ob ihnen die Todesstrafe drohe, antwortete Erdogan: „Wieso soll ich sie durchfüttern und jahrelang in Gefängnissen versorgen? Es gibt das eindeutige Verbrechen des Verrats.“ Wenige Tag vor den Kommunalwahlen sagte er im türkischen Fernsehen, das Volk wolle die Todesstrafe für Kemal Kılıçdaroğlu, den Chef der Republikanischen Volkspartei (CHP). Der rechten Oppositionsführerin Meral Akşener drohte Erdogan persönlich mit Verhaftung und der ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP Selahattin Demirtaş ist bereits inhaftiert, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Freiheit fordert. Darüber hinaus drohte der Präsident den HDP-Anhängern im Wahlkampf,  sollten sie sich wieder für Bürgermeister entscheiden, „die mit der PKK verbunden“ seien, dann werde man sofort handeln und wieder Zwangsverwalter einsetzen. Inzwischen dehnt Erdogan seine Terrorvorwürfe auf alle Oppositionsbündnisse aus. Er nennt es „Allianz des Bösen“ und „Verräterbündnis“. Er hat die Kommunalwahlen vom 31. März, einem normalerweise demokratischen Routinevorgang, zum Datum des „Kampfes zwischen zwei Feinden“ stilisiert. Erdogan schreckte nicht einmal davor zurück, die Anschläge auf zwei Moscheen in Christchurch vom 15. März für seinen Wahlkampf zu missbrauchen. Trotz Protesten der neuseeländischen Regierung spielte er auf Kundgebungen mehrmals Filmaufnahmen des Terrorangriffs ab und forderte die Todesstrafe für den Täter.

Erdogans rechtsextreme Äußerungen

Bei einer Trauerfeier für Opfer des blutigen Putschversuchs hatte Erdogan öffentlich verkündet, regierungsfeindliche Strukturen hätten sich „wie ein Krebsgeschwür im Staat ausgebreitet“ und diese hätten „Metastasen produziert“. Gegen die Kurdinnen außerhalb des türkischen Staatsterritoriums nutzt er dieselbe Sprache. So will er Nordsyrien von „kurdischen Terroristen säubern“ lassen.  Bereits im Jahr 2006 erteilte der damalige Ministerpräsident Erdogan einen Freibrief für Morde an kurdischen Kindern und Frauen: „Unsere Sicherheitskräfte werden die notwendigen Interventionen gegen all diejenigen durchführen, die sich zum Werkzeug des Terror machen, auch wenn es Kinder oder Frauen sind. Ich möchte, dass dies klar verstanden wird.“

Wiederholt verherrlichte Erdogan die gewalttätigen Übergriffe gegen die kurdische Zivilbevölkerung. So gab er dem ehemaligen Generalstabschef der türkischen Streitkräfte Necdet Özel eine Ehrenmedaille. Özel war als General für seine Missachtung des internationalen Rechts bekannt. Er soll persönlich einen Giftgaseinsatz gegen kurdische Guerillakämpfer befehligt haben und für die Luftangriffe auf kurdische Dörfer wie Kortek, Roboski und Zergelê verantwortlich sein, bei denen zahlreiche Menschen getötet wurden.

Erdogans Hang zum Militarismus hat er sinnbildlich während einer Rede im Februar 2018 in Maraş auf einem Kongress seiner Partei AKP dargelegt, als er ein Mädchen in Soldatenuniform auf die Bühne geholt und gefragt hat, ob sie Märtyrerin werden will. Dem Kind, dem wohl vor Aufregung die Tränen gekommen waren, erklärte er: „Soldaten weinen nicht. Wenn du fällst, werden wir dich mit einer Fahne zudecken, bereit für alles, richtig?“

Voraussetzungen für rechtsextremes Weltbild erfüllt

Diese Diffamierungen und die wiederholt geäußerte Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats erfüllen im Einklang mit der Definition des deutschen Verfassungsschutzes die Voraussetzungen für ein rechtsextremes Weltbild des türkischen Präsidenten. So wie Bolsonaro pflegt er neben einem aggressiven Nationalismus auch die Ablehnung der pluralistischen Gesellschaft und wünscht sich einen Staat mit militärischen Ordnungsprinzipien (Militarismus).

Die im ARD-Beitrag vom Politikwissenschaftler Richard Stöss als wesentlichen Merkmale des Rechtsextremismus angeführten Aspekte, wie übersteigerter Nationalismus, Beschwörung äußerer Bedrohung, Negierung der universellen Freiheits- und Gleichheitsrechte der Menschen, tendenzielle Gegnerschaft zu parlamentarisch-pluralistischen Systemen, gesellschaftliches Leitbild einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft mit einem Führer, treffen wie maßgeschneidert auch auf Erdogan zu. Darüber hinaus ist Erdogan ein überzeugter Antisemit. So schimpfte er im vergangenen Jahr über die New York Times, hinter der »jüdisches Kapital« stecke. Darüber hinaus äußert sich Erdogan öffentlich immer wieder frauenfeindlich und homophob. Erdogan hetzte auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten in der Türkei wie Aleviten, Christen und Armenier. Obwohl in der Türkei dutzende verschiedene ethnische und religiöse Identität leben, wiederholt Erdogan immer wieder die Formel „Ein Staat, eine Sprache, eine Nation, eine Religion” und negiert damit die Existenz anderer Idenitäten.

Da auch von Erdogan keine substanzielle Distanzierung von seinen Äußerungen zu erwarten ist, erachten wir den Begriff „rechtsextrem“ für am besten geeignet, um trennscharf zu definieren, wie Erdogan politisch einzuordnen ist.