Was für eine Rolle spielten die USA, Deutschland und Großbritannien bei der Entführung von Öcalan?

Der Kolumnist Ferda Çetin erinnert an die Unterstützer des internationalen Komplotts, das vor 19 Jahren seinen Anfang nahm, 11.10.2017

Die kurdische Gesellschaft bezeichnet die Phase vom 9. Oktober 1998 bis zum 16. Februar 1999 als das „internationale Komplott”. Binnen dieser Zeitspanne wurde Abdullah Öcalan zunächst in Syrien zur persona non grata erklärt, durchlebte anschließend eine Odyssee durch verschiedene Länder Europas, um schließlich in der kenianischen Hauptstadt Nairobi entführt und an die Türkei ausgeliefert zu werden. An dieser langatmigen Operation gegen einen der bedeutendsten Führungspersönlichkeiten der Kurden waren zahlreiche internationale Unterstützer beteiligt. Doch heute können wir sagen, dass das internationale Komplott ihr eigentliches Ziel nicht erreicht hat. Die kurdische Freiheitsbewegung ist weiter gewachsen, ihr Kampf hält weiterhin an. Die von der kurdischen Gesellschaft jedes Jahr organisierten Protestaktionen verhindern, dass das Komplott, an dem die USA und Europa mitschuldig sind, vergessen wird.

Abdullah Öcalan wurde direkt nach seiner Landung auf dem Flughafen von Rom am 12. November 1998 festgenommen. Die italienischen Gerichte stützten ihre Festnahme auf die Entscheidung der Bundesstaatsanwaltschaft in Karlsruhe vom 12. Januar 1990 mit der Nummer 1 BSJ 195/ 88-3 BGS 9/90. Deutschland hatte im selben Jahr diese Entscheidung an Interpol und Interpol im Juni 1990 an alle Länder weitergeleitet.

Öcalan sollte nach dieser Entscheidung entweder in Italien verurteilt oder nach Deutschland ausgeliefert werden. Jede der Möglichkeiten hätte ein langes Gerichtsverfahren nach sich gezogen. Je nach dem, wo es zum Verfahren gekommen wäre, hätten Italien oder Deutschland für die Sicherheit des „Angeklagten” Öcalan sorgen und die Wahrung seiner nach der Europäischen Menschenrechts garantierten Rechte garantieren müssen.

Deutschland und Italien waren somit in dieses Problem in direkter Weise involviert. Am 16. November 1998 ist der damalige Kanzler Schröder mit seinem italienischen Amtskollegen Massimo D’Alema in Bonn zusammengekommen. Auf dem Treffen wurde über die Haltung Europas gegenüber der kurdischen Frage und Öcalan diskutiert. In der Erklärung nach dem Treffen wurde verkündet, dass Europa sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage in Bewegung setzen und die Außenministerien beider Länder in diesem Sinne arbeiten werden.

Der Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye erklärte am 20. November 1998, dass die von der Bundesstaatsanwaltschaft am 12. Januar 1990 erlassene und an Interpol weitergeleitete Entscheidung zur Festnahme Öcalans aufgehoben sei. Ohne Zweifel war dies keine juristische Entscheidung, sondern eine Entscheidung des deutschen politischen Willens. Somit wurde der Weg für eine Ausreise Öcalans aus Italien geebnet. Deutschland und Italien waren von der Verantwortung befreit, Öcalan unter Beobachtung zu halten und ein Gerichtsverfahren gegen ihn einzuleiten.

Die USA war äußerst beunruhigt von der Friedensinitiative Europas gegenüber der kurdischen Frage. So forderte am 28. November 1998 der nationaler Sicherheitsberater der USA Samuel Berger, dass Öcalan der Türkei ausgeliefert und dort ihm der Prozess entsprechend türkischen Rechts gemacht werden solle. Italien gegenüber erhob er schwere Anschuldigungen.

Ein Tag nach dieser Erklärung der USA sind die Außenminister Italiens und Deutschlands, Dini und Fischer, am 29. November 1998 in Rom zusammengekommen. Beide Minister erklärten, dass sie die Arbeiten zur „europäischen Lösungsinitiative der kurdischen Frage” begonnen hätten. Sie teilten beide die Meinung, dass für Öcalan ein internationales Gericht auf die Beine gestellt werden müsse. Kommissionen bestehend aus Experten aus beiden Ländern hätten Arbeiten begonnen, um innerhalb einer Woche das Gericht ins Leben zu rufen und die nachfolgenden Schritte festzulegen.

Am 3. Dezember 1998 ist der Ministerrat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zusammengekommen. Nach der Versammlung trat der deutsche Außenminister Fischer vor die Presse und erklärte nun plötzlich: „Italien und Deutschland können beim Thema Öcalan kein internationales Gericht einberufen.” Deutschland hatte also innerhalb einer Woche die Idee eines internationalen Gerichts verworfen.

Der italienische Ministerpräsident Massimo D’Alema ist nach dieser Positionsänderung Deutschlands auf Großbritannien zugegangen. Dazu hat er seinen britischen Berater Philip Robins am 7. Dezember 1998 nach London zu einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten Tony Blair geschickt.  Blair und andere britische Verantwortliche erklärten Robins mit einer klaren Sprache, dass Europa Öcalan nicht akzeptieren werde und sie für keine Initiative zu einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage bereit seien.

Mit diesen Gesprächen hatten Deutschland und Großbritannien offen verkündet, dass sie nicht unabhängig von den USA handeln und keine Rolle für einen politischen Lösungsweg der kurdischen Frage übernehmen werden. Die USA, Großbritannien und Deutschland haben anstelle einer Lösung der kurdischen Frage mit friedlichen und politischen Methoden, die militärischen Methoden des türkischen Staates, die sich auf Verleugnung und Vernichtung stützen, bevorzugt.

Zwei Monate nach dem Komplott hat das internationale strategische Forschungszentrum in Großbritannien einen Bericht veröffentlicht. In dem Bericht hieß es, dass nach der Auslieferung Öcalans an die Türkei die Organisationsleitung der PKK eine Spaltung erleben werde, die Organisation deshalb nicht mehr geführt könne und zusammenbrechen werde. Später werde die gesellschaftliche Organisierung in Kurdistan ohne Führung und Leitung zusammenbrechen. Zuletzt, so heißt es im Bericht, werden die in den letzten 20 Jahren von der kurdischen Gesellschaft mit viel Mühe und Arbeit aufgebauten legalen Institutionen, Vereine, Stiftungen und Büros geschlossen werden und das „System” der Kurden, als organisierteste Bevölkerung ohne eigenen Staat, werde sich auflösen.

Der Organisierungsgrad der PKK und der kurdischen Gesellschaft wächst bis in unsere Gegenwart mit jedem Tag allerdings weiter an. Am 19. Jahrestag des internationalen Komplotts dauert der Freiheitskampf der kurdischen Gesellschaft in den Bergen, Gefängnissen, Städten und Plätzen mit voller Begeisterung an. Das internationale Komplott hat also sein Ziel verfehlt.

Die Kolumne erschien im Original am 09.10.2017 unter dem Titel “ABD, Almanya ve İngiltere 9 Ekim komplosunun neresindeydi?” in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika.