Was passiert zwischen Washington und Ankara?

Aslı Aydıntaşbaş über den gegenwärtigen Stand der türkisch-amerikanischen Beziehungen; 08.09.2017

Ein Journalist der Tageszeitung Hürriyet hat in seiner letztwöchigen Kolumne einige interessante Informationen mit der Öffentlichkeit geteilt. Demnach haben die USA, wie sie es auch in der Vergangenheit tat, Informationen über einen möglichen Anschlag des Islamischen Staats (IS) in der Türkei den Verantwortlichen in Ankara übermittelt. So soll der IS planen, mittels einer Drohne einen Anschlag auf den Luftwaffenstützpunkt Incirlik oder die US-Botschaft in Ankara durchzuführen. Nach Übermittlung dieser Information hat die Türkei ihre Sicherheitsmaßnahmen erhöht und die Nutzung von Drohnen deutlich eingeschränkt.

Die Informationen aus der Kolumne wirkten auf mich sehr interessant. Denn sie sind ein wunderbares Beispiel dafür, in welcher Weise die Beziehungen zwischen Washington und Ankara tatsächlich laufen.

Schaut man sich die mediale Darstellung des Verhältnisses der beiden Staaten nämlich Mal an, so entsteht ein ganz anderes Bild. Es scheint, dass die seit den 1950er Jahren anhaltende Freundschaft zwischen den USA und der Türkei mit dem Putschversuch vom 15. Juli zerbrochen sei. Dass die USA den Prediger Fethullah Gülen nicht ausliefern wollen und dass im Syrienkonflikt die Strategen im Pentagon eher auf die Zusammenarbeit mit den Volksverteidigungseinheiten (YPG) als mit Ankara setzen, wirkt da auch nicht gerade zuträglich. Aufgrund dieser Ausgangslage spricht eine Vielzahl von Beobachtern von der schwierigsten Phase der letzten 50 Jahre in den türkisch-amerikanischen Beziehungen. Einige Kolumnisten von regierungsnahen Zeitungen in der Türkei gehen da gar noch weiter. Sie präsentieren die USA geradezu als „Hauptfeind“ in ihren Schlagzeilen. Parallel dazu betrachten laut einer Untersuchung des Pew Research Centers 72% der türkischen Bevölkerung die USA als eine „Bedrohung“.

Doch trotz dieser Umstände scheint das Bündnis zwischen der Türkei und den USA mit seinen Schwierigkeiten weiterzulaufen. Der institutionelle geheimdienstliche Austausch läuft ebenso glatt wie die militärische Zusammenarbeit. Kommen aus Europa von Zeit zu Zeit leise Töne, die einen Rauswurf der Türkei aus der NATO fordern, werden diese umgehend aus Washington zum Schweigen gebracht. Die Türkei hat ohnehin kein Interesse daran freiwillig die NATO zu verlassen. Auch wenn die Türkei mit dem Kauf des russischen S400-Raketensystems oder dem Empfang des iranischen Generalstabschefs in Ankara mal ausschert, ist sie doch im „westlichen Bündnissystem“ weiterhin tief verankert.

Beim Kampf gegen den IS ist die USA weiterhin auf die Türkei, insbesondere auf den Luftwaffenstützpunkt Incirlik, angewiesen. Selbst die US-Kampfflugzeuge, die den Kampf der YPG gegen den IS in Rakka unterstützen, fliegen aus Incirlik ab. Die Türkei benötigt die USA bei der Ausbildung ihrer F-16 Kampfpiloten. Die USA verlangt die Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus. Auch die Energieversorgung, die Stabilität im Mittleren Osten, die Wirtschaftsbeziehungen und zahlreiche weitere Unterpunkte sind Themen dieses fortbestehenden Bündnisses.

Wenn also in den Medien (und das gilt auch für die US-Medien) das Bild erzeugt wird, dass diese Partnerschaft sich in einer tiefen Krise befindet, so können wir davon ausgehen, dass bei jedem Treffen von politischen Vertretern beider Länder hinter verschlossenen Türen sich gegenseitig versichert wird, wie sehr man den anderen doch braucht.

Als in den letzten Wochen der US-Verteidigungsminister Jim Mattis die Türkei besuchte, wurde auch für die Öffentlichkeit deutlich wahrnehmbar, dass dieser mit der Mission anreiste, die Beziehungen zu Ankara „zu richten“.  Laut einer Meldung in Al-Monitor soll Mattis, um das Unbehagen Ankaras gegenüber der Zusammenarbeit der USA mit der YPG zu glätten, Ankara weitere Unterstützung im Kampf gegen die PKK zugesagt haben. Zu seinen Vorschlägen sollen ein erweiterter geheimdienstlicher Austausch bezüglich der PKK und die Vorbereitung von gezielten Mordanschlägen gegen hochrangige PKK-Verantwortliche gehört haben.

(Als ich über diese Informationen mit türkischen Verantwortlichen sprach, erklärten sie nüchtern, dass die USA auch in der Vergangenheit ähnliche Vorschläge unterbreitet hätte. Anschließend sei es allerdings bloß zu einem begrenzten geheimdienstlichen Austausch gekommen, weswegen man die Vorschläge als unaufrichtig betrachte.)

In der Zusammenfassung können wir also festhalten, dass wir bei der Bewertung der Beziehungen zwischen Washington und Ankara nicht auf die Zeitungsschlagzeilen, sondern eher auf die Informationen zwischen den Zeilen achten sollten. Die öffentlich geäußerten Vorwürfe gegen die jeweils andere Seite sollen wohl eher die Öffentlichkeit im Inland beschwichtigen. Das Rückgrat der Beziehungen hingegen, also die militärische Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den USA, funktioniert gestern wie heute reibungslos.

Die Kolumne ist zuerst am 31.08.2017 in der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet unter dem Titel „Washington-Ankara hattında ne oluyor?“ erschienen.